2 Milliarden nach Deutschland
Warum lassen die SBB nicht Stadler die neuen Züge bauen?

Siemens Mobility gewinnt den Grossauftrag der SBB für 116 Doppelstockzüge: Während die Schweizer Industrie kriselt, fliessen zwei Milliarden Franken an Steuergeldern nach Deutschland ab. Der Thurgauer Zugbauer Stadler geht leer aus. Das sorgt für Diskussionsstoff.
Publiziert: 09:30 Uhr
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Aktualisiert: 09:43 Uhr
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Siemens Mobilty gewinnt den SBB-Grossauftrag.
Foto: keystone-sda.ch

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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Es geht um den grössten und teuersten Auftrag, den die SBB je vergeben haben – und der grosse Schweizer Zugbauer Stadler Rail geht leer aus. Wenig überraschend betonen SBB-CEO Vincent Ducrot (63) und der Leiter Personenverkehr Reto Liechti (45) mehrfach, wie die Punkte für die Vergabekriterien völlig «mathematisch» verteilt wurden. «Wir vergeben nicht einfach mal zwei, drei Punkte, weil uns etwas gefällt», betont Liechti bei der Bekanntgabe des Zuschlags in Bern.

Überraschend dagegen: Gewonnen hat den Auftrag über 116 Doppelstockzüge – Volumen gut zwei Milliarden Franken! – der deutsche Stadler-Rivale Siemens Mobility. «Es war ein klarer Entscheid», sagt Ducrot. Den Unterschied gemacht hätten unter anderem die Investitionskosten, Betriebsaufwand, Energie- und Instandhaltung sowie Nachhaltigkeit.

Auch Schweizer Stadler-Zulieferer gehen leer aus

Lange Gesichter bei Stadler. CEO Markus Bernsteiner (58) spricht von «einer grossen Enttäuschung», lobt die eigenen extrem zuverlässigen Doppelstockzüge, die bei den SBB im Einsatz sind. Stadler betont, dass trotz Schweizer Werkplatz eine effektive Preisdifferenz von lediglich 0,6 Prozentpunkten vorgelegen habe.

Stoff für Diskussionen gibt es reichlich: So hat Siemens im Gegensatz zu Stadler keine Unterhaltswerke in der Schweiz – und schneidet bei der Instandhaltung gemäss SBB trotzdem besser ab.

Stadler betont bei ihrem Angebot, dass fast 80 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz entstehen. So kommen die Aluminiumprofile für die Rahmenkonstruktion von Constellium in Siders VS, und die Züge werden in den Werken in Bussnang TG und St. Margrethen SG zusammengebaut.

Siemens fährt jedoch auch bei der Nachhaltigkeit mehr Punkte ein.

Der Stadler-Rivale wird die Züge im deutschen Krefeld herstellen: Rund 25 Prozent des Investitionsvolumens sollen in der Schweiz investiert werden.

«Haben den Auftrag an Siemens erteilt»
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CEO Ducrot zu SBB-Entscheid:«Haben den Auftrag an Siemens erteilt»

Siemens-Zug existiert erst auf dem Papier

Während Stadler mit dem Kiss ein bewährtes Zugmodell modifiziert ins Rennen geschickt hat, stellt Siemens aus bestehenden Elementen ein neues Konzept zusammen. Apropos Konzept: Die SBB haben sich mit dem als «Schüttelzug» bekannten FV-Dosto von Bombardier, der damals ebenfalls nur als Konzept existiert hat, so manchen Ärger eingefahren.

Experimentieren auf Kosten der Reisenden? Im hoch ausgelasteten Netz der SBB mit spezifischen Anforderungen an das Rollmaterial sei es kaum möglich, ein Fahrzeug ab Stange zu beschaffen, so die SBB auf Blick-Nachfragen. Die Anpassungen wären jedoch nicht mit dem Ausmass beim FV-Dosto vergleichbar.

Kritik von Gewerkschaften und aus der Politik

Mit dem Auftrag fliessen zwei Milliarden Franken nach Deutschland! Das sorgt bei Gewerkschaften und in der Politik für Reaktionen: Die Stadler Rail AG ist mit knapp 6000 Arbeitsplätzen eine der grössten Arbeitgeberinnen in der Schweizer Industrie. «Der Bundesrat nennt in seiner Botschaft zum Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen explizit ‹die Berücksichtigung von Unternehmen, die zu einer Stärkung des inländischen Werk- und Ausbildungsplatzes beitragen und wirtschaftliche Innovationen fördern›», heisst es etwa bei der Unia.

Der Aargauer SVP-Nationalrat Thomas Burgherr (63) hat am Freitag im Parlament einen Vorstoss zur Vergabe eingereicht: Er will wissen, ob die Interessen und die Arbeitsplatzsituation der Schweizer Industrie berücksichtigt worden sind.

Ein SBB-Sprecher: «Die Grundsätze des öffentlichen Beschaffungsrechts schreiben weiter eine Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Anbieterinnen und Anbieter vor.» Die Bevorzugung von inländischen Unternehmen oder die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen für inländische Unternehmen seien nicht zulässig.

Stadler will nun die Begründung der SBB-Vergabe sorgfältig prüfen. Die Frist für einen Rekurs ist angelaufen.

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