Vom Pionier über Stamm-Fans bis zum Superstar-Kenner
So viel Schweiz steckt in Wimbledon

In den Championships in Wimbledon verbirgt sich mehr Schweiz als nur der Spirit von Rekordmann Roger Federer. Eine Spurensuche beim prestigeträchtigsten Tennisturnier der Welt.
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Foto: Sven Thomann
Auf Spurensuche: So viel Schweiz steckt in Wimbledon
Publiziert: 14:58 Uhr
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Aktualisiert: vor 16 Minuten

Wer Berührungspunkte zwischen der Schweiz und Wimbledon sucht, kommt nicht am achtmaligen Sieger Roger Federer (43) und dem Triumph von Martina Hingis (44) im Jahr 1997 vorbei. Heuer sorgte Leandro Riedi (23) für sein persönliches Karrierehighlight, indem er es erstmals in Hauptfeld schaffte. Als einziger Mann neben Belinda Bencic (28), Viktorija Golubic (32) und Jil Teichmann (27). Doch in und um die Wimbledon-Anlage steckt noch viel mehr «Swissness». Von Stamm-Fans bis zu Hintergrund-Arbeitern. 

Aufschlag Golubic: Die Profis stehen in Wimbledon im Rampenlicht – im Hintergrund aber tummeln sich noch mehr Schweizer.
Foto: Sven Thomann

Fabienne Benoit: Sie managt die Weltnummer eins

Wenn sich der Männer-Weltranglistenerste Jannik Sinner (23) über das Areal an der Church Road bewegt, ist meist auch sie nicht weit: Fabienne Benoit (45) ist seit vergangenem Jahr PR- und Logistikchefin im Team des Südtiroler Superstars. Die Bernerin mit langer Vergangenheit im Tennis-Zirkus kümmert sich um sämtliche Presseanfragen aus aller Welt, sie begleitet ihn an Medienkonferenzen oder an Shootings und Termine mit Sponsoren wie Gucci, Rolex, Nike oder Lavazza.

Daneben sieht sie zu, dass im Alltag des dreifachen Grand-Slam-Gewinners alles möglichst reibungslos abläuft. Benoit bucht die Reisen, beantragt die Visa fürs ganze Team und organisiert Zimmer in Hotels. Oder, wie jetzt, die Unterkünfte im Wimbledon Village.

Fabienne Benoit reist mit Superstar Sinner um die Welt.
Foto: Sven Thomann

Viele frei Tage hat die Tochter des früheren Sportjournalisten und Kommunikationschefs des Fussballverbands, Pierre Benoit, nicht. Doch die Hektik und Spontanität im Tennis-Geschäft lächelt sie längst einfach weg. Vor dem Job bei Sinner war sie ab 2005 PR- und Marketingmanagerin bei der ATP, also der Vereinigung, die das professionelle Männertennis orchestriert. Sie führte Roger Federer (43) durch das monströse Medienprogramm bei seinem Heimturnier in Basel, wenn wieder mal alle etwas von ihm wollten. Und sie war jahrelang Mediensprecherin von Stan Wawrinka (40) und Teammanagerin des Schweizer Davis-Cup-Teams. Letzteres Mandat hat sie noch immer inne.

Bei ihrem letztjährigen Wechsel von der ATP zu Sinner half auch, dass sich Benoit sprachlich elegant durchs Team des Pustertalers bewegen kann. Mit dem Spieler selbst spricht sie Deutsch, mit den lokalen Medien in seinem Heimatland oder dem Grossteil seines restlichen Staffs Italienisch. Daneben ist sie auch des Englischen, Französischen und Spanischen mächtig. Und ein bisschen des Arabischen, weil ihr Ehemann ehemaliger Tennisprofi aus Marokko ist.

Sie hat ihren Platz auf dem Centre Court: Meist ist die Bernerin in der Box von Sinner anzutreffen.
Foto: Sven Thomann

Benoit hat ständig mit den Medien zu tun – nur zitieren lassen will sie sich seit der Anstellung im Team Sinner nicht mehr. Dort herrscht die Devise: Einzig der Spieler und die Coaches reden öffentlich. Der Rest arbeitet im Hintergrund. Auch in Wimbledon.

Rob und Patrick Seal: Sie entdeckten Federer vor dessen Durchbruch

Vor 24 Jahren war Federer noch nicht die Legende, die er heute in Wimbledon ist. Es war die Zeit, bevor der Baselbieter zum Superstar aufstieg – doch er deutete die Magie, die er auf dem heiligen Rasen zu versprühen imstande war, bereits mehrfach an. 2001 hatte er den aufsehenerregenden Sieg über Pete Sampras (53) gefeiert, um im Viertelfinal auf Lokalmatador Tim Henman (50) zu treffen. Federer verlor in vier Sätzen, imponierte in jenem Jahr aber nicht nur der Tenniswelt, sondern auch drei britisch-schweizerischen Fans auf der Tribüne. Patrick Seal, damals 41-jährig, hatte seine Söhne Rob (14) und Harry (12) auf den Centre Court mitgenommen, ausgestattet mit einer Schweizer Flagge. «Hinter uns gab es noch eine französisch sprechende Lady, die ebenfalls Roger unterstützte. Ansonsten waren wir wohl aber die einzigen im ganzen Stadion, die für ihn fanten», sagt Rob, dessen Mutter Anna Marie aus Luzern stammt.

Rob (l.) und sein Vater Patrick Seal sind Doppelbürger und regelmässige Wimbledon-Gänger.
Foto: Sven Thomann

Die Seals fielen derart auf, dass gar ein Schweizer Fernsehteam auf sie aufmerksam wurde. Die Familie sollte später noch interviewt werden und in der Sendung «10 vor 10» vorkommen. «Eine wunderschöne Erinnerung», meint Rob, der an diesem Tag Federer für sich entdeckte.

Was danach folgte, waren die Jahre, in denen Federer auf dem heiligen Rasen alle Gegner in Grund und Boden spielte. «Für mich ist er der Grösste aller Zeiten, ganz egal, was andere für Zahlen aufweisen», sagt Robs Papa Patrick. Als Blick die beiden Fans vor dem Henman Hill trifft, meint er lachend: «Eigentlich sollte dieser Hügel nach Federer benannt sein.»

Die beiden Mediziner – der Vater ist pensioniert, der Sohn praktizierender Arzt – verfolgen das Schweizer Tennis nach wie vor. Und sie sprechen ausserdem beachtliches Schweizerdeutsch. Rob auch deswegen, weil er einst drei Monate am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel arbeitete. Mittlerweile sind sie regelmässige und passionierte Wimbledon-Gänger.

Ursin Caderas: Er schäkert mit Djokovic und fängt Emotionen ein

Er kann mit dem Velo zur Anlage fahren – und lebt seinen persönlichen Tennis-Traum: Ursin Caderas (40) zog von Chur nach England, um hier zu studieren und das Ziel zu verfolgen, dereinst bei CNN zu landen. Heute blickt er auf sechs Jahre beim internationalen Sender zurück und hat mittlerweile eine eigene Produktionsfirma aufgebaut. Diese erhält Aufträge von Grand-Slam-Turnieren und verschiedensten Events auf der ATP-Tour. Immer mit dem Ziel, unterhaltsamen Content zu produzieren.

Der Bündner kennt die Stars dadurch mittlerweile so gut, dass diese keine Berührungsängste mehr haben. Mal schäkert er mit Novak Djokovic, mal massiert er Carlos Alcaraz zum Spass die Schultern. Und mit Jannik Sinner hat er einen ganz besonderen sprachlichen Austausch: «Ich rede mit ihm absichtlich nur Schweizerdeutsch, während er in Südtirolerisch antwortet. Wir verstehen voneinander nur die Hälfte – doch es ist ganz witzig. Er macht sich immer über den Schweizer Dialekt lustig. Und umgekehrt.»

Ursin Caderas (r.) kennt Novak Djokovic und Co. seit Jahren – er setzt sie vor der Kamera in unterhaltsamer Weise in Szene.
Foto: Scott Barbour

Als im Rahmen der Abschiedszeremonie für Rafael Nadal (38) in Paris auch Federer, Novak Djokovic (38) und Andy Murray (38) zugegen waren und es zum viralgegangenen Highfive-Moment mit dem kleinen Rafa Junior kam, stand Caderas mit seiner Kamera direkt daneben. Davor sei er in den Katakomben von Federer mit einem «Sali, wie gohts?» überrascht worden, erzählt er schmunzelnd: «Die Stimmung unter den vier Legenden – das war wie ein Klassentreffen. Total gelöst. Rührend fast.»

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Caderas ist sich des grossen Privilegs, das sein Job mit sich bringt, bewusst. In Wimbledon ist er dieser Tage für einzelne Produktionsaufträge und Interviews vor Ort. Es ist ein Heimspiel für ihn, der nur eine halbstündige Velofahrt vom Centre Court entfernt wohnt. Er sagt: «Ich reise das ganze Jahr um die Welt, aber jedes Mal, wenn ich hierher komme, fühlt es sich an, als würde man in einen anderen Film eintauchen. Dieser Ort hat seine Seele nie verloren.»

Ein Spässchen fürs Video: Caderas massiert Carlos Alcaraz die Schultern.
Foto: Scott Barbour

Hilary Lewis Ruttley: Ihr Traum-Yogaschüler ist Federer

Sie wurde in Hong Kong geboren, war eine Weltenbummlerin – und hat sich dann vor Jahren im Wimbledon Village niedergelassen. Hilary Lewis Ruttley ist Yogalehrerin und kommt dadurch immer wieder mit dem Tennissport in Berührung. Die britisch-schweizerische Doppelbürgerin ist mit einem Waadtländer aus Lausanne verheiratet. Die beiden haben drei Kinder, die allesamt ebenfalls über den Schweizer Pass verfügen.

Lewis Ruttley hat sich im Südwesten der Weltstadt eine Yogakundschaft aufgebaut, zu der immer wieder auch Tennisspieler gehören. Darunter auch «a very top player», wie sie sagt. Ein echter Star also, der in Wimbledon erfolgreich war. Doch um welchen es sich handelt, will sie aus Rücksicht auf die Privatsphäre ihrer Kunden nicht verraten. Nur so viel: «Sie ist heute eine preisgekrönte TV-Kommentatorin.»

Doppelbürgerin Hilary Lewis Ruttley unterrichtet Yoga im Wimbledon Village.
Foto: Sven Thomann

Wenn Lewis Ruttley von ihrem Beruf spricht, stellt sie rasch die Verbindung zum Tennis her. Sie betont die spirituellen Werte, die innere Balance und die Kraft, die man aus einer Yogaeinheit ziehen kann. Und dann wäre da natürlich der physische Aspekt. Für sie ist es keine Überraschung, dass Djokovic Yoga praktiziert. Seine Flexibilität und Beweglichkeit komme schliesslich nicht von ungefähr. «Und Federer ist übrigens ebenfalls ein perfekter Yogi», sagt sie schmunzelnd und verweist darauf, dass der Maestro Yoga zur Behandlung seiner Rückenschmerzen benutzt habe. Unterrichtet hat sie ihn zwar nie, «doch wenn man ihn anschaut, passt alles perfekt – seine Bewegungen, seine Eleganz, seine Ruhe, seine Höflichkeit, er verkörpert den Yogaspirit».

Andy Egli: Er ist der Problemlöser von Wimbledon

Sein Name ist dem Schweizer Fussballfan ein Begriff – doch es ist nicht der Trainer und frühere Nati-Spieler gemeint. Auch im Tennis gibts einen Andy Egli. Und der taucht dann auf, wenn die Situation brenzlig ist. Egli arbeitet an den Championships als Grand Slam Supervisor, also als Überwacher der Schiedsrichter. Er schreitet ein, wenn es Probleme auf dem Platz gibt. 2020 war er beispielsweise involviert, als Novak Djokovic an den US Open disqualifiziert wurde, weil dieser mit einem Ball eine Linienrichterin getroffen hatte.

Er hat das Tennis-Geschehen an den Championships genau im Blick: Supervisor Andy Egli.
Foto: Sven Thomann

Egli ist seit über 30 Jahren im Geschäft. Zunächst war er selbst Schiedsrichter, seit 2008 steht er eine Stufe darüber im Einsatz und wird damit auch bei der Erstellung des Spielplans miteinbezogen. Kaum ein anderer Schweizer wird die Vorlieben und Macken der Stars auf dem Platz so gut kennen wie er. Ein Tag von ihm hört andererseits aber auch einfach nie auf. Ein Interview mit Egli? War in der vollbepackten ersten Turnierwoche ein Ding der Unmöglichkeit.

Heinz Günthardt: Er gehört fast schon zum Inventar

Heinz Günthardt (66) würde den Weg zum «All England Lawn Tennis and Croquet Club» wohl auch mit verbundenen Augen finden. Nach eigener Schätzung ist der Schweizer Tennis-Pionier heuer «wohl das 45. Jahr» auf der Anlage zugegen.

Seit seinem Wimbledon-Juniorentitel 1976 gab es nur wenige Ausnahmejahre, in denen er verhindert war. Vor 49 Jahren wurde er in der Schweiz schräg angeschaut, so erzählt es der Zürcher, als er seine Ambition verkündete, bei den Junioren triumphieren zu wollen: «Damals wohnte man üblicherweise noch in einer Jugendherberge. Ich habe aber frech nach einem Hotel gefragt, weil ich der Meinung war, dass es die besseren Rahmenbedingungen für einen sportlichen Erfolg mitbringen würde.»

Nun, der Schweizer Tennisverband erfüllte dem jungen Heinz schliesslich den Wunsch. Der Rest ist Geschichte. Aus Günthardt wurde eine eidgenössische Tennis-Legende. Er war der erste Schweizer Wimbledonsieger auf Profistufe, indem er 1985 zusammen mit dem Ungarn Balazs Taroczy (71) den Doppeltitel gewann. Als Einzelspieler stiess er bis in den Viertelfinal vor, im Mixed-Bewerb – an der Seite von Martina Navratilova (68) – ein Jahr danach bis in den Final.

Heinz Günthardt hat in Wimbledon schon viele kommen und gehen sehen – er besucht die Anlage seit 1976.
Foto: Sven Thomann

Als langjähriger Coach der deutschen Tennis-Ikone Steffi Graf (56) bejubelte er insgesamt vier Wimbledon-Siege zwischen 1992 und 1996. In jener Zeit begann er auch, beim Schweizer Fernsehen zusammen mit Stefan Bürer (61) TV-Übertragungen zu kommentieren. Die beiden mauserten sich am Mikrofon zum Kult-Duo, das die Blütezeit von Federer und Wawrinka in die helvetischen Haushalte brachte.

Heute wird Günthardt hin und wieder bei Turnieren als «Master of Ceremony» gebucht, also als Platzspeaker, wie zuletzt bei den WTA-Turnieren in Stuttgart und Berlin. Daneben arbeitet er als Blick-Experte und weiterhin als Billie-Jean-King-Cup-Captain. In letzterer Rolle begleitet er die Schweizer Frauen in Wimbledon, er sass bei den Partien von Golubic, Teichmann und Bencic jeweils «in beobachtender Funktion» in deren Boxen.

Wimbledon habe sich in all den Jahren stark verändert, sagt er, doch es stellt für ihn heute auch ein Herzensort dar: «Alles ist viel grösser als früher, aber es ist für mich noch immer ein gutes Gefühl, einen Fuss auf diese Anlage zu setzen.»

Günthardt war der erste Schweizer Wimbledonsieger – er gewann 1985 im Doppel.
Foto: Sven Thomann
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