Darum gehts
- Leandro Riedi qualifiziert sich erstmals für ein Grand-Slam-Hauptfeld
- Der Zürcher blickt auf zwei Knieoperationen im letzten Jahr zurück
- Wer ihm in der Leidenszeit zurück in die Spur half
Als Leandro Riedi am Donnerstag seine letzte Quali-Runde mit einem 6:3, 4:6, 6:3, 6:4-Sieg über Hamish Stewart (Gb, 25) überstand, brach es aus ihm heraus: Er sank zu Boden, liess allen angestauten Emotionen freien Lauf. Mit 23 Jahren hat es endlich geklappt mit der Hauptfeld-Premiere an einem Grand-Slam-Turnier – nach Jahren, die geprägt waren von vielen gesundheitlichen Rückschlägen. «Nach dem verwerteten Matchball konnte ich meine Emotionen nicht mehr kontrollieren. Ich dachte an all den Mist, den ich durchgemacht habe. Und auch daran, wie ich als Bub in unserem Garten in Bassersdorf Wimbledon spielte. Jetzt geht ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung», sagt Riedi.
2020 war der Zürcher im French-Open-Final der Junioren gestanden. Er verlor damals gegen Landsmann Dominic Stricker (22), der durch den Erfolg seine Karriere ankurbelte und deutlich mehr in der Öffentlichkeit stand als Riedi, der seinerseits immer wieder mit seinem Körper zu kämpfen hatte. Vor allem im vergangenen Jahr. Dank fünf Challenger-Finals und zwei Turniersiegen stand er damals eigentlich kurz vor dem Sprung in die Top 100, als er sich im September nach einem Knochenabriss einer Knieoperation unterziehen musste. Er stellte sich auf eine monatelange Reha ein – und war bereits auf gutem Weg zurück, als er im Januar im Training nach einer unglücklichen Bewegung das selbe Knie noch einmal lädierte.
Jener Meniskus-Innenriss just im Moment der Hoffnung, bald wieder Matches spielen zu können, liess Riedis Welt zwischenzeitlich zusammenbrechen. «Ich dachte zwar nicht ans Aufhören, aber Tennis war für mich einige Wochen lang ein Tabuthema. Ich konnte es nicht ertragen, dass mich erneut andere Leute herumchauffieren mussten.»
Schöne Autos statt Tennis
Riedi lenkte sich ab, studierte an seiner anderen Leidenschaft herum: an schönen, schnellen Autos. Früher habe er von einem Lamborghini Urus geträumt, heute von einem BMW M8 Sport. «Das hat mich auf andere Gedanken gebracht», erzählt er, «und irgendwann merkte ich dann, dass mein Feuer fürs Tennis einfach zu gross ist, ich bekam wieder richtig Bock auf diesen Sport».
Heute fühlt sich Riedi wieder «richtig gut». Und zwar in jeglicher Hinsicht. Im letzten Jahr waren nämlich auch noch Magendarm-Probleme hinzugekommen, die ihn an den schlimmsten Tagen «30 Mal» auf die Toilette haben springen lassen. Die Diagnose: Laktoseintoleranz. Mittlerweile habe er die Probleme aber, auch aufgrund von Tabletten, die er bei Bedarf nehmen kann, im Griff.
Riedi sagt, dass er sich überhaupt «menschlich sehr entwickelt» habe. Er führt dies auf die vielen gesundheitlichen Herausforderungen zurück, aber auch auf regelmässige Gespräche mit einem Psychologen oder die Zusammenarbeit mit der Ernährungsberaterin Nadia Leuenberger, die auch Super-League-Klub YB betreut.
Lob von Murray – und ein Alcaraz-Duell ist möglich
In der Wimbledon-Quali hat sich Riedi nun erstmals für seinen Aufwand in den letzten Jahren belohnt. Der starke Lauf bei seinem Lieblingsturnier ist ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere, in der ihm von Experten viel zugetraut wird. Blick-Experte Heinz Günthardt (66) sieht ihn in den Top 50, sollte der Rechtshänder endlich mal für lange Zeit gesund bleiben. Sogar der dreifache Grand-Slam-Champion Andy Murray (38) zeigte sich in der Vergangenheit beeindruckt von Riedis Qualitäten, indem er sagte: «Ich habe noch nie jemanden so retournieren sehen wie ihn.»
Riedi (ATP 506) selbst will vorerst nichts überstürzen. Erst einmal steht am Montag die Startpartie gegen den britischen Qualifikanten Oliver Tarvet (21, ATP 719) an.
Nach der erfolgreichen Quali gönnte er sich mit seinem Coach Yannik Steinegger (24) «einen fetten Burger» in der Londoner Innenstadt. Eine weitere Belohnung könnte der Zweitrundenmatch gegen Titelverteidiger Carlos Alcaraz (22) sein, sollte dieser Fabio Fognini (38) schlagen. Es wäre das nächste Kapitel in Riedis Wimbledon-Märchen.