Fast 20 Jahre nach ihrem Rücktritt als Skirennläuferin steht Sonja Nef (53) im Wohnzimmer ihres Hauses vor der zwei Meter hohen Glasvitrine mit all den Medaillen, Pokalen und Kristallkugeln, die sie im Laufe ihrer Karriere gewonnen hat – und staubt die Trophäen mit einem Putzlumpen ab. «Das war mal wieder höchste Zeit», sagt sie lachend.
Siegpreise abstauben, allerdings im übertragenen Sinn, das möchten auch Sonja Nefs Töchter Sophia (18) und Anna (17) – und zwar im Skiweltcup. Die Schwestern, bisher für den Skiclub Gossau bei internationalen FIS-Rennen in den Disziplinen Slalom und Riesenslalom am Start, haben sich aufgrund ihrer starken Platzierungen in der U21-Weltrangliste nun fürs C-Kader von Swiss-Ski qualifiziert. Seit 1. Mai gehören Anna und Sophia Flatscher (sie tragen den Familiennamen ihres Papis Hans Flatscher (51) zur Trainingsgruppe Elite Nachwuchs Frauen im Ski-Alpin-Team – und damit zu jener Gruppe junger und talentierter Skirennläuferinnen, die das Potenzial für eine Karriere im Weltcup haben.
Dass Sophia und Anna diesen Schritt geschafft haben, darüber freuen sich im Haus Nef/Flatscher alle. «Dass uns das gemeinsam gelungen ist, ist echt cool», sagt Sophia erleichtert. Selbstverständlich ist das nicht, denn Sophias gerade mal 15 Monate jüngere Schwester Anna war vergangenes Jahr noch durch eine schwere Kreuzbandverletzung aus der Bahn geworfen worden. «Der erste Schock war gross», erinnert sich Anna. Doch sie sei fest entschlossen gewesen, «für meinen Traum zu kämpfen».
Sowohl Anna als auch Sophia träumen beide von einer Karriere als Spitzenathletin – so wie ihre Mutter Sonja einst eine war. «Irgendwann einmal eine Weltmeister- oder Olympia-Medaille zu holen, das wäre schon toll», schwärmt Sophia. Das sprichwörtliche Sahnehäubchen obendrauf aber wäre, gemeinsam auf dem Podest zu stehen. «Das schafften wir zwei zwar schon bei FIS-Rennen, aber noch nie an Weltcup-Wettbewerben», fügt Anna lachend an.
«Der Weg ist noch ein sehr weiter»
Bis es so weit ist, braucht es aber noch einiges. Das weiss keine besser als ihre Mutter: «Ich freue mich extrem für beide! Sie haben viel Mühe und Zeit investiert, sind aber noch längst nicht am Ziel, und der Weg dahin ist ein sehr weiter.» Die Aufnahme ins Swiss-Ski-Kader sieht Sonja Nef als einen wichtigen Meilenstein. Nicht nur, weil er ihre Töchter in deren sportlicher Entwicklung weiterbringe, sondern dies auch mit einer enormen Erleichterung für ihre ganze Familie verbunden sei: angefangen bei den Trainingsmöglichkeiten über die medizinische Betreuung bis hin zum professionellen Skiservice.
Der oblag bisher Vater Hans Flatscher – zusätzlich zu dessen Job als Alpin-Direktor von Swiss-Ski, wo der gebürtige Österreicher für 117 Athletinnen und Athleten und über 100 Mitarbeiter zuständig ist. «Oft präparierte er an seinem Feierabend bis weit nach Mitternacht noch die Ski für unsere Mädchen. War er beispielsweise wie zuletzt an der Ski-WM in Saalbach zwei Wochen von daheim weg, kamen unzählige Paar Ski zusammen, die er vorab fertig machte», erzählt Sonja.
«Dass das jetzt wegfällt, darüber bin ich nicht traurig», zeigt sich Papa Hans erleichtert. Dass es seine Töchter ins Kader geschafft haben, macht auch ihn happy. «Um die nächste Stufe zu erreichen, sind jetzt gute Resultate nötig, aber viel wichtiger ist beiden, sich weiterzuentwickeln und besser und stärker zu werden.» Denn auch wenn ihr Vater Alpin-Direktor bei Swiss-Ski ist, eine bevorzugte Behandlung haben die Flatscher-Kinder nicht zu erwarten. Das wollen Anna und Sophia auch gar nicht. «Aber Feedback von ihm ist für uns das Wichtigste!» Natürlich wisse im Swiss-Ski-Kader jeder, wer ihre Mutter und ihr Vater sind. «Wobei der Name Flatscher mehr Eindruck macht als Nef, aber das liegt daran, dass der vom Papi bei unseren Kolleginnen präsenter ist», sagt Sophia lachend.
Hart trainieren statt nur träumen
Während sie und Anna noch vor drei Jahren für die Schweizer Skirennfahrerin Wendy Holdener schwärmten, nennen beide heute als ihr grösstes Vorbild die Österreicherin Anna Fenninger (36), die seit ihrer Heirat 2016 Veith heisst. Die 2020 vom Spitzensport zurückgetretene Athletin hat vor allem mit ihrer «schönen Technik auf Ski» einen Eindruck bei Sonja Nefs Töchtern hinterlassen – zudem haben sie die ehemalige Olympia- und Weltcup-Gesamtsiegerin auch schon persönlich getroffen.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Blick+ Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Vom eigenen Erfolg nur zu träumen, ist weder Annas noch Sophias Ding. Für ihr Ziel trainieren sie beide hart – nicht nur auf der Piste, sondern – wie jetzt im Sommer – im Kraftraum oder beim Velofahren. Das kann schmerzhaft sein, wie Sophia gerade zu spüren bekommen hat. Bei einer Trainingsfahrt auf dem Rennrad geriet sie in einer Kurve auf nassem Asphalt ins Rutschen, stürzte – und schlitterte vor ein Auto. «Abgesehen von Schürfwunden ist es glimpflich ausgegangen», sagt Sonja erleichtert. Beim Wakesurfen am nächsten Tag musste ein wasserfestes Pflaster gegen den Schmerz helfen – und festes Zähnezusammenbeissen.
Auch Verzichten gehört zum Traum der Nef-Töchter. «Abends oder am Wochenende in den Ausgang zu gehen, wie es andere in unserem Alter tun, liegt selten drin», sagt Sophia. «Selbst ein spontaner Badi-Besuch nach Schulschluss ist für uns zeitlich kein Thema», pflichtet Anna bei. Beide machen das KV an der United School of Sports in St. Gallen. Während Sophia im Schulsekretariat arbeitet, fängt Anna nach den Ferien in ihrem Heimatort Mörschwil SG auf der Gemeinde an.
Nach der Karriere: Spital statt Ski
«Zu meiner Zeit gab es diese Möglichkeiten gar nicht», sagt Sonja ohne Verbitterung. «Da hiess es: entweder Sportkarriere oder Ausbildung.» Sie selbst wäre damals gern Hebamme geworden. Wenn Tochter Sophia dereinst ihre Ski an den Nagel hängt, möchte sie im Spital arbeiten – als Stationsleiterin. Ein Wunsch, den sie schon von klein auf hat. «Ich war sogar schon schnuppern, und es hat mir mega gefallen.» Anna dagegen weiss noch nicht, was sie nach dem Spitzensport machen möchte.
So einig sich die Schwestern in vielen Dingen sind, bei der Frage, wer von ihnen die Ehrgeizigere ist, kommen sie schwer ins Grübeln. Und antworten schliesslich salomonisch: «Beide, aber jede auf eine andere Art.»