Darum gehts
So hat man Michelle Gisin (31) schon lange nicht mehr gesehen! Die Doppel-Olympiasiegerin strahlt über beide Ohren. «Letztes Jahr hatte ich in der Vorbereitung auf den Winter alles wie mit einem eisernen Griff unter Kontrolle. Das war zu viel, irgendwann war ich mental völlig erschöpft. Nun will ich wieder mehr Spass haben.» Nach ihrer schwächsten Saison seit acht Jahren hat sie an diesem regnerischen Morgen in Giswil NW genau das – Freude.
Gisin unterstützt wie viele andere Schweizer Athletinnen das Projekt «Sportheldinnen» des Bundesamsts für Sport, das vor allem Mädchen für mehr Bewegung motivieren soll. Sie besucht die Primarschule, gibt Turnunterricht, Autogramme und erzählt von ihrem Leben. «Es liegt mir wahnsinnig am Herzen, die jungen Mädchen zu motivieren und ihnen zu zeigen: Ihr habt euren Platz im Sport und es ist cool, wenn man stark und selbstständig ist.»
Tatsächlich hat eine Studie gezeigt, dass bei den 6- bis 13-jährigen Jungen 54 Prozent ein sportliches Vorbild haben, bei den Mädchen es gerade mal 5 Prozent sind. Das will Gisin, die wie andere hoffnungsvolle und etablierte Sportlerinnen in einem Sticker-Album verewigt ist, ändern. «Auch wenn ich künftig wohl weder Turn- noch Skilehrerin werde», wie sie schmunzelnd ergänzt.
Ohne Cortina 2026 hätte sie wohl aufgehört
Gisins Karriereende liegt nicht mehr weit entfernt. Würden die Olympischen Spiele 2026 nicht in Cortina (It) stattfinden, hätte sie wohl aufgehört. «Der letzte Winter war sehr zäh. Aber ich hatte die Aussicht, endlich einmal Olympia in Zentraleuropa zu erleben. So habe ich mich halt durchgeboxt.»
Dazu muss man wissen: Gisin spricht dank ihres Verlobten Luca de Aliprandini (34) nicht nur perfekt Italienisch, sondern lebt vor allem in den Sommermonaten in einem Häuschen am Gardasee.
Auf die Heim-WM 2027 in Crans-Montana VS wird Gisin voraussichtlich verzichten. Umso mehr freut sie sich auf ihren letzten Grossanlass. So sehr, dass sie kürzlich mit Teamkollegin Joana Hählen (33) und Swiss-Ski-Physiotherapeutin Julia Winkler die 397 Kilometer und 5000 Höhenmeter bis nach Cortina unter die Räder nahm. Vier Tage brauchten sie dafür. «Ich bin sonst kein grosser Rennvelo-Fan, aber das hat richtig Spass gemacht. Das war mental für mich sehr wichtig und hat mir Ruhe und Motivation gegeben.»
Gisin lachend: «Arbeite nur noch 50 Prozent»
Auf einen Ski-Markenwechsel hat Gisin verzichtet, sie bleibt bei Salomon. Auch deshalb, weil das Team voll hinter ihr stehe. «Ich gehe diesen Weg von A bis Z», macht sie klar.
Fakt ist: Gisin wird keine Slaloms mehr fahren und zu Beginn der Saisons auch keine Riesenslaloms. Sie konzentriert sich voll und ganz auf die Speed-Bewerbe. «Ich arbeite nur noch 50 Prozent», sagt sie lachend.
Und ergänzt: «Ich hoffe, dass ich so die Motivation nochmals hochschrauben kann, weil ich mehr Zeit habe. Ich freue mich jedenfalls schon jetzt auf das Gletschertraining im Sommer!»