Im Leben der Diemtigtaler Ski-Brüder Delio (26) und Florian Kunz (25) spielen gleich zwei grosse Champions eine besondere Rolle. Schwingerkönig Kilian Wenger (35) hat den grössten Teil seiner 110 Kränze und 23 Kranzfestsiege in Oey-Diemtigen im Gasthof Hirschen gefeiert, der von der Familie Kunz geführt wird. Franjo von Allmen (24) ist knapp zwanzig Autominuten von Oey-Diemtigen entfernt in Boltigen aufgewachsen. Deshalb kreuzen sich die Wege des amtierenden Abfahrtsweltmeisters seit der Jugendzeit regelmässig mit den sportlichen Wirtesöhnen. Seit die «Kunzes» 2018 im Firmengebäude ihres Onkels einen gut bestückten Fitnessraum eingerichtet haben, absolviert Franjo sein Kraft- und Konditionstraining regelmässig an der Seite der «Hirschä-Büeblä».
Das Drama beginnt mit einem steifen Arm und einem Hodenknoten
Bis im Oktober 2022 befinden sich Delio und Florian sportlich auf einem ähnlich guten Weg wie ihr Kumpel Franjo. Mit Top-Ergebnissen bei FIS-Rennen gelingt den beiden Technik-Spezialisten der Sprung in das Swiss-Ski-Kader. Aber dann beginnt bei den Brüdern eine schmerzliche Leidenszeit.
«Ich bin eines Morgens mit einem steinharten Arm aufgewacht», erinnert sich Delio. «Der Arm ist zwar mit der Zeit wieder ein bisschen geschmeidiger geworden, dafür wurde ich auf einmal von Atembeschwerden geplagt. Das ging so weit, dass ich beim normalen Treppensteigen einen Puls von 180 hatte». Praktisch zum selben Zeitpunkt entdeckt sein ein Jahr jüngerer Bruder ein Problem im Intimbereich. «Schmerzen hatte ich zwar keine, aber irgendwann habe ich an meinem Hoden einen Knoten ertastet.»
Die schockierende Diagnose
Wenige Tage später fahren die Berner Oberländer gemeinsam nach Zürich zu Swiss-Ski-Chefarzt Walter O. Frey. Florian erhält eine Schockdiagnose: Hodenkrebs! Die Ärzte erklären ihm zum Glück, dass die Chancen auf eine vollständige Heilung sehr gut stehen. Wenig später wird der talentierte Slalomfahrer operiert.
In dramatischer Manier entwickelt sich auch Delios Zustand. «Mein Blutbild war miserabel und die Ärzte diagnostizierten eine Thrombose im Arm. Damit sich diese zurückbildet, musste ich eine Menge Blutverdünner zu mir nehmen.» Diese «Überdosis» entwickelt sich zwei Wochen später zum grossen Problem, als sich bei Delio auch noch der Blinddarm entzündet. «Im Berner Inselspital hat man mir erklärt, dass mein Blut für eine Operation am Blinddarm zu dünn sei. Ich habe deshalb zur Überbrückung fünf verschiedene Antibiotika ausprobiert. Dummerweise hat das nichts genützt, ich bin vor lauter Schmerzen fast draufgegangen.»
Das führt dazu, dass Delio nach zwei Horrorwochen notoperiert wird. «Letztendlich habe ich einen speziellen Blutverdünner erhalten, welcher für eine Stunde seine Wirkung verliert – in dieser Zeit hat man mich dann operiert.» Nach diesem Eingriff geht es dem Riesenslalom-Spezialisten sechs Wochen richtig mies. «Ich habe in kürzester Zeit 20 Kilo verloren und fühlte mich nur noch wie ein Schluck Tee!»
«Zum Glück hat niemand gesagt, was auf mich zukommt»
Als sich Delios Zustand nach knapp zwei Monaten langsam, aber stetig verbessert, beginnt die schlimmste Phase im Leben von Bruder Florian. «Unmittelbar nach der Operation am Hoden waren sich die Ärzte nicht sicher, was es noch braucht, um den Krebs gänzlich zu besiegen. Ich musste deshalb immer wieder Bluttests abliefern. Dann haben die Spezialisten erkannt, dass mein Krebs sehr aggressiv ist. Weil sich bereits Ableger in der Bauchregion gebildet haben, musste ich Ende November 2022 mit der Chemotherapie beginnen.»
Florian läuft es eiskalt den Rücken hinunter, wenn er daran zurückdenkt: «Zum Glück hat mir damals kein Arzt gesagt, was durch die Chemo auf mich zukommt.» Wie heftig die Auswirkungen von einer solchen Therapie sind, bemerkt der gelernte Polymechaniker erstmals rund drei Tage nach der ersten Dosis. «Ich hatte Schüttelfrost und starke Übelkeit. Am heftigsten war für mich aber die enorme Müdigkeit, ich bin phasenweise nicht mehr aus dem Bett herausgekommen. Und als mir dann auch noch die Haare ausgefallen sind, war das für die Psyche auch nicht wirklich förderlich.»
Rauswurf aus dem Swiss-Ski-Kader
Im Februar 2023 schliesst Florian die Chemo ab. «Zu diesem Zeitpunkt war meine körperliche Leistungsfähigkeit unter null. Zudem hat der Verarbeitungsprozess für mich erst dann begonnen. Während der Chemotherapie war ich mental in einem Tunnel.» Weil sich die Kunz-Brüder bei diesen so schwierigen Prozessen gegenseitig Kraft geben, schaffen sie die Rückkehr auf die Rennpisten erstaunlich schnell. Delio schafft bereits im Januar 2024 beim Europacup-Riesen auf dem österreichischen Pass Thurn den Sprung in die Top 10, Florian klassiert sich im Januar 2025 beim Slalom in Berchtesgaden erstmals in den Top 12 eines Europacup-Rennens.
Dennoch kommt im letzten Frühling der nächste Rückschlag – die leidgeprüften Brüder werden aus dem Swiss-Ski-Kader gestrichen! Ungerecht behandelt fühlen sie sich von den Selektionierern aber nicht. «Die Kriterien sind klar: Für einen Platz in einem Swiss-Ski-Kader muss man sich in einer Disziplin in den Top 80 der Weltrangliste platzieren. Das haben wir beide einigermassen knapp verpasst, deshalb können wir uns auch nicht beklagen.»
Der harte Kampf geht weiter
Für beide war auch schnell klar, dass sie ihre Rennfahrerkarrieren trotz allem nicht beenden wollen. «Die Tatsache, dass wir die Selektion knapp verpasst haben, stellt für uns eine grosse Motivation dar, auf eigene Rechnung weiterzumachen. Wir sind im letzten Winter technisch so stark gefahren wie nie zuvor. Und wir sind davon überzeugt, dass unser Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.»
Eine Wettkampfsaison kostet auf Stufe FIS- und Europacup rund 50’000 Franken. Deshalb waren die Kunz-Brüder im letzten Sommer auf einen Nebenerwerb angewiesen. Florian war in der Zimmerei seines Onkels als Handlanger tätig, der gelernte Sanitär-Installateur Delio hat auf dem Bau gearbeitet. «Aber wir wären natürlich dankbar, wenn wir noch den einen oder anderen Sponsor finden könnten.» Einen ordentlichen finanziellen Zustupf erhoffen sich Delio und Florian auch durch das kürzlich lancierte Crowdfunding. Auf diese Weise hat sich vor nicht allzu langer Zeit übrigens auch Franjo von Allmen die Fortsetzung seiner Rennfahrerkarriere gesichert.