Darum gehts
- Marco Odermatt gewinnt Riesenslalom in Sölden unter schwierigen Bedingungen
- Odermatt investierte vermehrt Zeit ins mentale Training vor der Saison
- Mit seinem 46. Weltcupsieg zieht Odermatt mit Marc Girardelli gleich
Vize-Weltmeister Thomas Tumler hat vor dem Start in den Olympia-Winter ein ganz komisches Gefühl. «Obwohl ich in den letzten Trainings sehr gut mit Marco Odermatt mithalten konnte, habe ich ein bisschen Schiss davor, dass sich über den Sommer ein Athlet aus einem anderen Team derart stark entwickelt hat, dass er uns pro Lauf acht Zehntel abknöpft.»
Doch bei Halbzeit vom Sölden-Riesen ist klar, dass es in dieser Sparte keinen neuen Überflieger gibt – Odermatt führt vor den routinierten Österreichern Marco Schwarz und Stefan Brennsteiner. Der 35-jährige Swiss-Ski-Oldtimer Tumler belegt den vierten Zwischenrang. Tumler setzt im Final, welcher aufgrund von Schneefall, mieser Sicht und Wind eine Stunde später als geplant gestartet wird, alles daran, dass diese Weltcup-Saison so beginnt, wie die letzte aufgehört hat – mit einem Schweizer Doppelsieg (Meillard siegte in Sun Valley vor Odermatt).
Doch der Bündner wird auf der Gletscher-Piste im Ötztal von den «Rolling Stones» gestoppt! «Ich habe voll attackiert, im Steilhang ist mir der Ski ständig abgeschmiert. Ich hatte keine Ahnung warum, bis ich nach dem Rennen gesehen haben, dass die Kante völlig zerstört war. Ich bin offensichtlich über einen Stein gefahren!» Der Samnauner muss sich deshalb in der Endabrechnung mit dem 16. Rang begnügen.
Odermatt holt eine weitere Legende ein
Superstar Odermatt schaut sich vor der Entscheidung noch einmal ein Video von Marco Schwarz an, der im Zwischenklassement nur eine Hundertstelsekunde hinter ihm liegt. «Blacky hat mir im letzten Abschnitt vom ersten Durchgang eine halbe Sekunde abgenommen. Damit mir das nicht noch einmal passiert, muss ich diesen Abschnitt noch einmal genau analysieren.» Odermatt gelangt beim Video-Studium zur Erkenntnis, «dass ich im Gegensatz zu Schwarz bei der letzten Welle zu stark abgewürgt habe.»
Ein solcher Fehler passiert dem vierfachen Gesamtweltcupsieger kein zweites Mal. Der 28-Jährige büsst im entscheidenden Durchgang bei extrem schwierigen Bedingungen zwar im Startabschnitt ein paar Hundertstel ein, den Steilhang meistert er jedoch in überragender Manier. Und weil der Riesen-Olympiasieger diesmal auch das Schlussstück sehr viel besser erwischt, liegt er im Ziel über zwei Zehntel vor Schwarz und dem drittplatzierten Norweger Atle Lie McGrath.
Mit dem 46. Weltcupsieg zieht der Stöckli-Pilot im ewigen Weltcup-Ranking mit dem Luxemburg-Österreicher Marc Girardelli (62) gleich. «Ich bin stolz, dass ich mit einem derart grandiosen Athleten wie Odermatt auf einer Stufe stehen kann», sagt der fünffache Gesamtweltcupsieger Girardelli zu Blick und legt nach: «Ich habe dieses Rennen im Fernsehen beobachtet und bin mir ziemlich sicher, dass wir in diesem Winter keinen schwierigeren Riesenslalom sehen werden. Das wertet diesen Sieg von Marco zusätzlich auf. Während andere Top-Athleten bei solchen Verhältnissen ins Straucheln kommt, fährt Marco auch ohne Bodensicht wie auf Schienen.»
Dieser Frau hat Odermatt besonders viel zu verdanken
Odermatt verrät nach diesem besonders schwierigen Erfolg, dass er in den letzten Wochen vermehrt Zeit ins mentale Training investiert hat. «Nachdem ich von den Journalisten immer und immer wieder gefragt wurde, ob ich nach all diesen Erfolgen noch hungrig genug sei und wie ich mich für neue Ziele motivieren könne, habe ich mir solche Fragen ganz ernsthaft selber gestellt. Und es war mir besonders wichtig, dass diese Fragen zu 100 Prozent richtig beantwortet werden.»
Letztendlich war es seine langjährige Mental-Trainerin Monika Wicki-Hess, Cousine der sechsfachen Weltmeisterin Erika Hess, welche mit dem vierfachen Schweizer Sportler des Jahres die richtigen Antworten in dieser Angelegenheit gefunden hat. Deshalb hat Odermatt nach seiner jüngsten Heldentat der ehemaligen Slalom-Spezialistin Wicki-Hess (Rang 11 bei den Olympischen Spielen 1984) im SRF-Interview spezielle Grüsse aus Sölden übermittelt.
Der Ärger vom Alpinchef
Bei aller Freude über diesen Erfolg darf aber nicht vergessen werden, dass Odermatt die Ski-Schweiz in Österreich vor einer Riesen-Blamage bewahrt hat. Neben dem Buochser fungiert einzig Slalom-Weltmeister Loïc Meillard (29, Rang 14) in den Top-15. Swiss Ski-Alpinchef Hans Flatscher gibt vor allem der Auftritt von unserer zweiten Garde um Schweizermeister Livio Siomonet (27, Rang 42) oder Fadri Janutin (25, Rang 56) zu denken: «Weil diese Burschen mit 50er-Nummern gestartet sind, durfte man zwar nicht unbedingt die Qualifikation für den Final der Top-30 erwarten. Aber ich bin unzufrieden, weil sie die Quali derart deutlich verpasst haben!» Das Zuger Top-Talent Lenz Hächler (22) ist genau wie Sandro Zurbrügg (23) ausgeschieden.