Schweizer Ski-Ass Boisset stellte die Sinnfrage
«Will ich täglich mein Leben riskieren?»

Arnaud Boisset spricht mit Blick offenherzig über die schwierigste Zeit in seinem Rennfahrer-Leben.
Publiziert: 00:00 Uhr
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Arnaud Boisset hat seine Arbeit als Skirennfahrer hinterfragt.
Foto: Sven Thomann

Darum gehts

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Marcel W. PerrenSki-Reporter

Die Geschichte von Arnaud Boisset ist ein Hühnerhaut erregender Beleg dafür, dass im alpinen Rennsport der Grat zwischen überschwänglicher Freude und purer Verzweiflung besonders schmal ist. Am 22. März 2024 erlebt der Speed-Spezialist aus Martigny (VS) den vorläufigen Höhepunkt seiner Weltcup-Laufbahn – beim finalen Super-G in Saalbach (Ö) gelingt ihm als Dritter erstmals der Sprung aufs Podest.

Neun Monate später liegt der 27-Jährige in Beaver Creek (USA) nach einem missglückten Sprung über den «Harrierr» bewusstlos am Boden. Im Krankenhaus in Vail werden beim Walliser eine schwere Gehirnerschütterung sowie schmerzhafte Prellungen an der Schulter und im Gesicht diagnostiziert. Sechs Wochen später klassiert sich Boisset zwar als 28. beim Lauberhorn-Super-G bereits wieder in den Weltcuppunkten, acht Tage später stürzt er bei der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel (Ö) aber erneut.

Der Romand kommt in diesem Fall zwar ohne gravierende Verletzungen davon. Aber weil er im Februar im Training zur Abfahrt in Crans-Montana (VS) erneut crasht, bricht Boisset seine Wettkampf-Saison vorzeitig ab. In der Vorbereitung auf den Olympia-Winter wird dem hochintelligenten Athleten mit dem Bachelor in Wirtschaft bewusst, dass er nach diesen schweren Rückschlägen psychologische Hilfe benötigt.

Psychologische Hilfe

«Ich habe in Lausanne einen sehr guten Fachmann gefunden, der Psychologe ist. Er will aber nicht, dass ich ihn als Psychologen bezeichne. Er betrachtet sich selber als mein Coach», erklärt Boisset. Dass dieser Coach beim abgestürzten Draufgänger offensichtlich die passenden Methoden anwendet, zeigen die guten Leistungen, die Boisset im September im Abfahrts-Camp in Chile abgeliefert hat. Aufgrund des tödlichen Unfalls des Italieners Matteo Franzoso ist der 1,85-Meter-Mann in Südamerika jedoch ein weiteres Mal im mentalen Bereich an den Anschlag geraten.

Dazu muss man wissen: Boisset hat Franzoso ziemlich gut gekannt. «Weil Matteo nur ein Jahr jünger war als ich, sind wir uns im Europacup regelmässig begegnet. Er war ein richtig guter Typ. Während sich andere Italiener nie mit ausländischen Rennfahrern unterhalten, war Matteo ganz anders», erzählt Boisset und geht ins Detail: «Unsere Gespräche haben meistens einen ziemlich lustigen Verlauf genommen. Matteo hat ein paarmal versucht, Französisch mit mir zu parlieren, umgekehrt habe probiert, Italienisch mit ihm zu reden. Letztendlich haben wir uns dann aber doch auf Englisch unterhalten.»

Arnaud Boisset stürzt nach Landung auf den Kopf
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Schreckmoment in Beaver Creek:Arnaud Boisset stürzt nach Landung auf den Kopf

Boisset stellt die Sinnfrage

Kurzzeitig die Sprache verschlagen hat es Boisset wegen Franzoso am 15. September. «Ich war mit meinen Teamkollegen in Chile im Kondi-Training. Als ich zwischen einer Übung kurz aufs Handy geschaut habe, sah ich die Nachricht von Franzosos Tod. Ich habe mir danach ernsthaft die Frage gestellt, ob ich weiterhin als Skirennfahrer nahezu jeden Tag mein Leben riskieren will.» Am liebsten hätte Boisset diese Frage sofort mit seinem Mental-Coach besprochen. «Aber weil es um diese Zeit in der Schweiz bereits 22 Uhr war, habe ich ihm lediglich geschrieben, dass ich gerne am nächsten Morgen mit ihm reden möchte.»

In der Zwischenzeit hat Boisset ein längeres Gespräch mit seinem Servicemann David Bouchardi geführt, der nach Franzosos Tod ein unschönes Flashback hatte. «David war der Servicemann von David Poisson, der 2017 im Abfahrtstraining in Nakiska (Ka) tödlich verunglückte. Logisch, dass bei ihm in diesem Moment diese grausamen Erinnerungen wieder hochgekommen sind.» 

Abfahrts-Film bringt schlechte Erinnerungen hoch

Am Tag waren die Gedanken bei Boisset und seinem Servicemann aber schon wieder sehr viel positiver. «Mein Coach aus Lausanne hat mich in einer Facetime-Session in Hypnose versetzt. Danach ist es mir wesentlich besser gegangen.» Nicht so gut ist es Boisset am 1. Oktober gegangen, als er in Zürich zusammen mit seinen Teamkollegen den neuen Film «Downhill Skiers» angeschaut hat. «In diesem Film sind viele heftige Abfahrts-Stürze zu sehen, die mir heftig eingefahren sind. Deshalb bin ich an diesem Abend mit einem schlechten Gefühl nach Hause gegangen.»

Weil er danach erneut in die Hypnose versetzt wurde, fühlt sich Boisset in der Zwischenzeit wieder richtig gut. «Meinem Coach gelingt es offensichtlich immer wieder, dass er mir während der Hypnose alles Schlechte aus meinem Kopf herausputzen kann.» Boisset ist deshalb zuversichtlich, dass er anfangs Dezember ohne schlechte Gefühle an seinen Absturzort in Beaver Creek zurückkehren kann.

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