Vor 65 Jahren kams zu einem fürchterlichen Unfall
Totenstille auf dem Brünig

Am Sonntag findet der Brünig-Schwinget statt. Vor 65 Jahren kam es auf der Passhöhe zu einem fürchterlichen Unfall. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 08:31 Uhr
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Aktualisiert: vor 52 Minuten
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Beat Thöni als Gast 2003 auf dem Brünig. Hinter ihm steht Martin Grab.
Foto: Blicksport
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Felix BingesserReporter Sport

Beat Thöni wächst mit seinen zwei Brüdern auf. Die Eltern bewirtschaften einen Bauernhof im Wyler oberhalb von Innertkirchen BE und führen parallel dazu einen Lebensmittelladen. Sein Grossvater war Schwinger, sein Vater war Schwinger, seine Brüder schwingen. Auch Beat ist Schwinger. Er macht eine Lehre als Bauer. Die Kraft für den Schwingsport holt er sich bei den Holztransporten, wo noch von Hand auf- und abgeladen wird.

Als Knecht arbeitet er später auf dem Hof des Seeländers Hans Münger. Nicht zuletzt darum, weil Münger 1957 den Kilchberg-Schwinget gewinnt und als Erfinder des Münger-Murks gilt. Beat Thöni verfeinert bei Münger nicht nur das Bauernhandwerk. Er lernt auch noch den Münger-Murks. 

1958 gewinnt Beat Thöni beim Eidgenössischen Schwingfest in Freiburg den Kranz. Er ist zum Spitzenschwinger geworden. In dieser Rolle fährt er 1960 hinauf auf den nahen Brünig, zu einer Wiege des Schwingsports. Das erste Schwingfest auf der Passhöhe findet bereits 1893, zwei Jahre vor der Gründung des Schwingerverbands, statt.

Den kurzen Weg auf den Brünig kennt Thöni bestens. Bereits 1938 ist er als fünfjähriger Bub mit seinem Vater, der damals Kampfrichter ist, mit dem Pferdefuhrwerk erstmals an den Brünig-Schwinget gefahren. 

Das Wetter an diesem Tag im August 1960 ist garstig, ein heftiges Gewitter sorgt für Abkühlung, das Sägemehl ist durch die Nässe relativ hart und kompakt. Der 27-jährige Thöni fühlt sich nicht so gut. Trotzdem schafft er es in den Schlussgang und steht dort dem übermächtigen Winterthurer Gast Karl Meli gegenüber.

Thöni greift an. Und wird gnadenlos ausgekontert. Er stürzt mit Wucht direkt auf den Kopf. Es kracht in der Wirbelsäule. Ein Geräusch, das er nie mehr vergessen wird. Er kann die Beine und die Arme nicht mehr bewegen. Ihm ist in diesem Moment bewusst, dass er nie mehr aufstehen wird.

Es herrscht Totenstille in der Arena. Der Platzarzt und die Helfer wollen ihn aufrichten. «Lasst mich um Himmels willen liegen», stammelt Thöni. Der kreidebleiche und geschockte Karl Meli beugt sich zu ihm hinunter. «Dich trifft keine Schuld, Kari. Es ist ein dummer Zufall», sagt Thöni.

Weil an diesem Tag auf dem Sustenpass ein Reisecar in die Tiefe stürzt, gibt es keine verfügbaren Ambulanzfahrzeuge. Man nimmt eine Sitzbank, sägt sie zurecht, legt Thöni drauf und transportiert ihn auf der Ladefläche eines Kleintransporters auf der holprigen Strasse nach Meiringen. Dort schickt man ihn nach Interlaken, und dann geht die Reise ins Inselspital nach Bern. Die Ärzte geben ihm nur sehr geringe Überlebenschancen.

Thöni ist ein Kämpfer. Aber er ist schlecht versichert. Dank einer grossen Sammelaktion unter den Schwingerfreunden macht er eine Rehabilitation im österreichischen Graz. Zwei Jahre nach dem Unfall kehrt er nach Hause zurück. Er kann die Arme und Beine nicht mehr bewegen und ist 30 Kilo leichter.

Er übernimmt den Lebensmittelladen der Eltern. Und sitzt dort hinter der Theke. 1970 lernt er an einem Schwingfest seine Frau Trudy kennen. Dem Schwingsport bleibt er treu. «Er war ein Stehaufmännchen. Nie verbittert und eine Inspiration für viele», sagt Adrian Thöni über seinen Onkel.

Auch Adrian Thöni ist Kranzschwinger. Mittlerweile führen seine Söhne Reto und Ivan die Dynastie weiter. Reto Thöni gewinnt 2023 auf dem Brünig den Kranz.

Beat Thöni stirbt 2005. An der Beerdigung ist auch Karl Meli dabei. Die zwei Kontrahenten von 1960 blieben sich ein Leben lang freundschaftlich verbunden.

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