In wenigen Tagen startet die Tour de France. Ein Spektakel der grossartigsten Sorte. Die Leidensfähigkeit von Spitzensportlern wird mit den Bildern aus Frankreich so mitreissend und hautnah dokumentiert wie bei keinem anderen Sportanlass. 3320 Kilometer und 51'000 Höhenmeter in gut zwei Wochen.
«Wie schaffen diese Helden der Landstrasse das?», fragen wir uns Jahr für Jahr. Der Generalverdacht fährt immer mit. Sind die Spitzensportler auch Spritzensportler?
Zwischen Amphetaminen, Kokain und Opium
Ein tiefer Blick ins Archiv zeigt, dass leistungsfördernde Substanzen schon immer zum Radsport gehörten. Wer glaubt, die Fahrer seien vor hundert Jahren sauber unterwegs gewesen, der glaubt auch, ein Zitronenfalter falte Zitronen.
Ein ikonisches Bild der Sportgeschichte aus dem Jahr 1927 zeigt beispielsweise, wie ein Kollege dem Belgier Julien Vervaecke während einer Etappe eine Zigarette anzündet. Radfahren mit Dampf. Es war die Zeit, als man Nikotin noch als leistungsfördernde Substanz betrachtet hat.
Und eine Zeit, in der man alles ausprobiert hat: Amphetamine, Äther auf Würfelzucker, Kokain, Strychnin, Opium, Nitroglycerin und das altbekannte Stück Rindfleisch in der Hose, damit der Hintern auf den Stahlrössern der damaligen Zeit nicht nach 200 Kilometern schon wund ist.
Schon 1896 gab es ein erstes Doping-Todesopfer
Die Geschichte des Radsports ist auch die Geschichte des Dopings. Beim 600-km-Radrennen Bordeaux–Paris 1896 wurden dem nach zwanzig Stunden völlig erschöpften Leader Arthur Linton allerhand Zaubertränke gereicht. Zwei Monate später starb er unter mysteriösen Umständen an einer «Erkältung». Er gilt als erstes Dopingopfer des Radsports. Das bekannteste Opfer ist Tom Simpson, der 1967 am Mont Ventoux völlig dehydriert vom Rad fiel und am Strassenrand starb. Mit Amphetaminen und Alkohol im Blut.
In den Zeiten, in denen es noch keine Teamfahrzeuge gab, in denen die Fahrer die Ersatzreifen um den Hals gewickelt hatten und bei den vielen Pannen auf den Holperstrassen die Räder selber reparieren mussten, wurde alles geschluckt. Kontrollen gab es keine.
Verständlich wird das auch, wenn man in Betracht zieht, dass die Strapazen in den Anfängen des Radsports noch extremer waren, als sie es heute sind. Von 1891 bis 1951 wurde beispielsweise das Rennen Paris–Brest ausgetragen. 1200 Kilometer. Der erste Sieger hiess Charles Terront und sass mehr als 71 Stunden im Sattel. Schon damals lautete das Motto: Wer nichts nimmt, der nichts gewinnt. Und an der Tour de France waren Etappen von 300 bis 500 Kilometern bis in die-30er Jahre an der Tagesordnung.
Vervaecke wurde verschleppt und getötet
Vieles hat sich verändert, der Radsport ist ganz sicher sauberer geworden. Aber ist er komplett sauber? Sieht man Tadej Pogacar die Berge hinauffliegen, dann wird man auch in diesem Jahr wieder die Stirn runzeln ob solcher Leistungen.
Was ist eigentlich aus dem rauchenden Radprofi Julien Vervaecke geworden? Er hatte nach der Karriere eine Gaststätte in Belgien eröffnet. Im Zweiten Weltkrieg wurde er verschleppt. Seine Leiche wurde später, von Kugeln durchsiebt, in einem Waldstück gefunden.