Eigentlich ist es eine grandiose Story. Mit Jörg Abderhalden stiess dieses Jahr der grösste Schwinger der Neuzeit ins Trainerteam der Nordostschweizer Mannschaft, die nun am ESAF den kompletten Schlussgang und den König stellte. Doch mitjubeln tut Abderhalden in Mollis nur innerlich – denn er sitzt als eigentlich neutraler Experte am SRF-Mikrofon.
Womit wir beim problematischen Teil sind: Der dreifache König aus dem Toggenburg ist durch seinen direkten Bezug zu den Schlussgangkämpfern Samuel Giger und Werner Schlegel derart angespannt, dass er seiner Aufgabe gar nicht mehr so richtig nachkommen kann, was auch Kommentator Stefan Hofmänner auffällt: «Abderhalden Jörg sind die Worte ausgegangen, er kann fast nicht mehr zuschauen.»
«Er hat die Nordostschweizer Brille nie abgelegt»
Dass beim Toggenburger beim rein Nordostschweizer Schlussgang das Herz schneller pumpt als sonst, ist verständlich. Doch Abderhalden schien schon während des ganzen Eidgenössischen Mühe zu haben, seine heikle Doppelrolle als Trainer und TV-Experte klar zu trennen.
Der sechsfache Eidgenosse Christian Oesch verfolgte das Spektakel aus Mollis am TV-Schirm und sagt zu Blick: «Die beiden Berner Könige (Matthias Sempach und Christian Stucki analysierten bei SRF zwischen den Gängen, d.Red.) waren bei ihren Analysen absolut neutral. Sie haben sich sichtlich darüber geärgert, dass dem Innerschweizer König Wicki gegen den Südwestschweizer Collaud vom Kampfgericht ein klarer Sieg aberkannt wurde. Aber Jörg Abderhalden hat als Co-Kommentator die Nordostschweizer-Brille nie abgelegt. Ich habe mich vor dem Fernseher sehr darüber geärgert.»
Tatsächlich vermied Abderhalden auch bei den krassen Fehlentscheidungen klare Aussagen, wenn Schwinger aus seiner Trainingsgruppe beteiligt waren. Am Samstag sind sich die meisten Experten nach dem Zweikampf von Michael Moser gegen NOS-Aushängeschild Giger einig, dass der Berner den Thurgauer auf die gültige Seite gedrückt hat. Aber Abderhalden mag sich nach der Analyse der Zeitlupe nicht gänzlich festlegen: «Der Kampfrichter steht auf der genau richtigen Seite, aber es war sicher, ganz, ganz knapp.»
Bei der engen Entscheidung von «seinem» Schlegel gegen Fabian Staudenmann jauchzt Abderhalden seine Freude über den Sieg richtiggehend ins Mikrofon und legt sich schon vor der Zeitlupe fest: «Das ist eine richtige Entscheidung, das war ein gültiges Resultat.»
Staudenmann hätte am Sonntag den Nordostschweizer Schlussgang verhindern können, wenn er Domenic Schneider platt ins Sägemehl gelegt hätte. Und 97 Prozent in der Arena sind sich nach diesem Gang einig, dass der Berner für seinen Sieg die Maximalnote 10 verdient hätte. Es gibt jedoch nur eine 9,75. Abderhaldens Kommentar: «Man kann in der Zeitluppe nicht genau erkennen, ob es wirklich ein Zähni war...» Mit Nöldi Forrer muss selbst ein anderer Toggenburger im Blick-Talk «Hoselupf» eingestehen: «Staudenmann hätte für diese Aktion die 10 erhalten müssen.»
SRF analysiert die Experten-Auftritte jeweils intern
Wie parteiisch darf ein TV-Experte sein? Das SRF teilt auf Blick-Anfrage mit: «SRF legt grossen Wert auf die Qualität und Objektivität der Expertinnen und Experten. Entsprechend wird die Vereinbarkeit von Ämtern und Tätigkeiten der Betreffenden immer genau geprüft. Etwaige Interessenbindungen müssen transparent gemacht werden.»
Das SRF schildert auch, dass man die Arbeit der Mitarbeitenden sowie der Expertinnen und Experten kritisch reflektiere, um dem Publikum das bestmögliche Programm zu bieten: «Dies geschieht jedoch intern, nicht in der Öffentlichkeit.»
Aber SRF muss sein Experten-Team wohl ohnehin neu aufstellen: Abderhalden dürfte nach Blick-Informationen seine Tätigkeit beenden. Wie auch Christian Stucki, weil er bald eine Rolle im Seeländischen Schwingerverband einnehmen wird. Offenbar soll der fünffache Innerschweizer Eidgenosse Christian Schuler ein SRF-Kandidat sein.