Darum gehts
Ohne Täler gibt es keine Berge. Ohne Tiefen keine Höhen. Das weiss wohl keiner besser als Thomas Tumler (35). Als Skirennfahrer kämpft er sich durch die rot-blauen Tore. Im Februar wird er im österreichischen Saalbach Vize-Weltmeister im Riesenslalom. Nur wenige Wochen davor gewann der Bündner in Beaver Creek, USA, sein erstes Weltcuprennen überhaupt – im Alter von 35 Jahren. Der Knopf ist aufgegangen, endlich – Tumler fährt die Saison seines Lebens ein.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Was zu diesem Zeitpunkt keiner weiss: Privat geht er gleichzeitig durch das tiefste Tal. Heute lacht er, gabelt ein Stück seines Fischs auf, den er sich in der Pizzeria in der Marina Lachen bestellt hat. Lachen SZ ist seine neue Heimat, hier fühlt er sich wohl, hier will er alt werden. Im vergangenen Dezember ist klar: Seine Ehe mit Svenja, die er erst wenige Monate zuvor, im Juni, geheiratet hat, ist gescheitert. Für Thomas Tumler ein Schock. «Es war eine sehr harte Zeit», erinnert er sich heute. «Sie sagte mir, dass sie keine Gefühle mehr für mich hat. An der Hochzeit war das alles null Komma null vorhersehbar.» Er ist ein Stehaufmännchen, will um die gemeinsamen sieben Jahre kämpfen, doch es reicht nicht mehr. Zehn Kilo verliert er durch den Liebeskummer. «Ich habe mich vor allem versteckt.» Die Emotionen kommen plötzlich, unerwartet. «Manchmal lag ich den ganzen Tag im Bett und heulte. Für die Rennen riss ich mich zusammen.»
Skisaison als Achterbahnfahrt
Unter solchen Voraussetzungen sind seine Leistungen im vergangenen Winter noch stärker einzustufen. Thomas Tumler hat die Aufarbeitung gemacht, zeigt sich im Interview besonnen und emotional. «Es war eine Achterbahnfahrt. Eigentlich habe ich mich vor jedem Rennen angelogen und mich aufgebaut.» Die fehlenden zehn Kilo hinterlassen Spuren: Am Tag vor dem WM-Riesenslalom muss Tumler die Skischuhe wechseln. Er hat nicht mehr genügend Kraft, die alten, härteren Schuhe richtig durchzudrücken. «Früher hätte mich so etwas aus der Bahn geworfen. In diesem Moment war das angesichts aller anderen Umstände einfach nicht relevant.» Was zählt: Tumler holt Silber – hinter dem Österreicher Raphael Haaser (27) und vor seinem Teamkollegen Loïc Meillard (28).
Heute stuft Tumler den WM-Riesenslalom als «das beste Rennen meiner Karriere» ein. Er sei nicht nervös gewesen. Womöglich sei das der Schlüssel gewesen. Es gehe ihm aktuell sehr gut, erzählt er beim Zmittag in der Pizzeria. «Der eigentliche Verarbeitungsprozess begann nach der Saison.» Er habe seine Erfolge natürlich geniessen können. «Danach hat mich aber alles wieder eingeholt. Mitten auf einer Skitour bin ich zusammengebrochen und habe im Schnee geheult. Ich war ein fröhlicher Vize-Weltmeister – und dann zack. Das war schlimm.» Im Mai wird er nominiert als Bündner Sportler des Jahres. «Bei der Preisverleihung haben die Organisatoren eine Zusammenfassung gezeigt von meinem Sieg in Beaver Creek und vom Riesenslalom in Saalbach», sagt Tumler. «Da habe ich erst realisiert: Wow, das bin ja ich. Das war alles in mir drin. Klar wusste ich, ich bin Vize-Weltmeister. Doch in diesem Augenblick kam endlich auch der Stolz, als ich verstand, das habe ich wirklich alles erreicht.»
Im Fitnessraum in Einsiedeln trainiert Thomas Tumler mit seinem Coach Ramon Zürcher hart für die kommende Saison. Vier- bis fünfmal pro Woche ist er in den Sommermonaten hier zu finden. Körperlich ist Tumler fit wie nie. Das zeigen die ausgewerteten Daten. Das spürt er. Warum der Durchbruch erst im hohen Skirennfahrer-Alter von 35 Jahren kam, kann sich der Athlet selbst nicht erklären. Im Dezember 2020 stürzte er im Training, erlitt einen Bandscheibenvorfall, verpasste fast die ganze Saison. «Da habe ich realisiert, dass es schwierig wird weiterzufahren. Das Comeback war meine letzte Chance. Doch ich hatte Freude am Skifahren, wollte noch ein Jahr dabei sein mit diesen Cracks.» Er wechselte die Skimarke, arbeitete am Mindset. «Früher war ich Trainingsweltmeister, konnte das aber in den Rennen nicht umsetzen.» Heute weiss er: Er muss im Training nicht der Schnellste sein, um im Rennen zu brillieren.
An seinen ersten Weltcupsieg in Beaver Creek kann er sich genau erinnern. «Ich lag nach dem ersten Lauf schon vorn. Vor dem zweiten Lauf fuhr ich allein auf dem Sessellift zum Start. Da sah ich schon die Bilder vor mir als Sieger. Ich wusste, dass ich dieses Rennen gewinnen würde. Doch ich musste mich immer wieder ermahnen, Thomi, du hast noch nicht gewonnen, du musst noch einen Lauf fahren.» Im Ziel habe er dann die Tafel nicht gesehen, doch er habe erkannt, dass sein Teamkollege Marco Odermatt, 27, ausgeflippt sei. «Er hat geschrien, und ich dachte, was ist passiert? Das ist schon ein tolles Gefühl für einen Sportler, einmal ganz oben zu stehen.»
Ende Jahr wird er 36 Jahre alt. Die Olympischen Spiele in Milano stehen vor der Tür – und 2027 die Heim-WM. «Crans-Montana ist sicher noch mein grosses Ziel. Ich habe mir keine Deadline gesetzt, ich habe so viel Freude wie noch nie und wurde endlich belohnt für meine harte Arbeit.» Natürlich will er an Olympia oder an der Heim-WM nicht nur mitfahren: «Eine Goldmedaille wäre cool. Ich bin dran, das zu verwirklichen.» Er lacht. Und sagt: «Es ist ein langer Weg bis dahin. Beim Saisonauftakt in Sölden fängt man immer bei null an, egal, wie gut die Vorsaison war, wie fit man sich fühlt. Aber natürlich träumt man als Sportler von einem Olympiasieg oder einem WM-Titel.»
Auch von einer Familie träumt Thomi Tumler. Irgendwann. Heiraten möchte er, Stand jetzt, allerdings nicht mehr. «Ja, es ist blöd gelaufen. Wenn ich aber die Richtige kennenlerne und alles passt, will ich ihr das nicht verwehren. Vielleicht ändere ich meine Meinung also noch.» Im Hafen von Lachen warten die beiden Snowboardprofis Ladina (32) und Dario Caviezel (30) die ebenfalls im Städtchen am Zürichsee wohnen. Die drei wollen mit dem Wakeboard auf den See hinaus. Den Sommer geniessen, lachen, reden. Das Tal hat Thomas Tumler hinter sich gelassen – jetzt will er nur noch Gipfel erklimmen.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 5 | 6 | ||
2 | 2 | 4 | 6 | ||
3 | 2 | 2 | 6 | ||
4 | 2 | 2 | 4 | ||
5 | 2 | 1 | 4 | ||
6 | 2 | 0 | 3 | ||
7 | 2 | 0 | 3 | ||
8 | 2 | -1 | 1 | ||
8 | 2 | -1 | 1 | ||
10 | 2 | -2 | 0 | ||
11 | 2 | -5 | 0 | ||
12 | 2 | -5 | 0 |