Interview mit Weltmeister
Rudi Völler über Granit Xhaka, Florian Wirtz und Julian Nagelsmann

Der Sportdirektor des Deutschen Fussballbunds erklärt, warum er Xhaka mehrfach in der Woche trifft. Warum er Florian Wirtz lieber noch ein Jahr in Leverkusen gesehen hätte. Und warum er andere manchmal besser findet als sich selbst.
Publiziert: 02.06.2025 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2025 um 07:44 Uhr
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«Ich sehe ihn jede Woche zwei-, dreimal.» Rudi Völler über seine Nachbarschaft zu Granit Xhaka.
Foto: imago/Jacob Schröter

Darum gehts

  • Rudi Völler spricht über seine Rolle beim DFB und Julian Nagelsmann
  • Völler erklärt, wie er das deutsche Nationalteam nach dem WM-Aus in Katar aufgerichtet hat
  • Von Granit Xhaka spricht der Weltmeister in den höchsten Tönen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Er ist eben aus Rom angereist. Der Stadt, aus der seine Ehefrau stammt. Am Abend wird Rudi Völler am Bilanz Business & Football Summit in Zürich vor Publikum reden. Dazwischen nimmt sich der Weltmeister von 1990 Zeit, SonntagsBlick zu erklären, wie er als Sportdirektor des DFB das deutsche Nationalteam aus dem Jammertal geführt hat.

Rudi Völler, wenn im Dezember 2022 in Katar ein Ball 1,88 Millimeter weiter über eine Linie gerollt wäre, wären Sie dann heute zufriedener Pensionär?
Rudi Völler: Gute Frage. Es zeigt, welch kleine Dinge im Fussball den Unterschied machen können. Wäre der Ball damals über die Linie gegangen, hätte Japan nicht gegen Spanien gewonnen. Deutschland wäre weiter weitergekommen – und wer weiss, was dann erreicht worden wäre mit der Mannschaft, die Hansi Flick zur Verfügung hatte? So aber scheidest du zum zweiten Mal in der Gruppenphase aus. Dann ist das Geschrei natürlich gross.

Und dann ruft man in Deutschland nach Rudi Völler.
Als die Anfrage vom DFB für die Taskforce kam, konnte ich nicht Nein sagen. Der Fussball hat mir alles gegeben. Jetzt versuche ich, auf meine Art etwas zurückzugeben. Es war ja erst geplant, dass ich nur ein paar Monate als Sportdirektor im Amt bleibe, bis zur Europameisterschaft in Deutschland. Danach wollte ich wieder zurück in den Aufsichtsrat von Bayer Leverkusen und gemütlich ein paar Fussballspiele gucken. Aber es ist mittlerweile anders gekommen, ich habe meinen Vertrag zweimal verlängert.

Warum?
Das hängt mit Julian Nagelsmann zusammen. Ich habe ihn mit als Bundestrainer verpflichtet. Einmal habe ich ja selbst ausgeholfen als Teamchef gegen Frankreich. Und ich hätte es auch weiter machen können, …

… aber das war nie ein Thema für Sie? Noch einmal Bundestrainer werden?
Nein, nein. Ich war das einmal, obwohl ich ja eigentlich gar nie Trainer werden wollte. Ich wollte immer ins Management. Weil ich wusste: Es gibt Trainer, die können das schon noch besser als ich.

Sie kamen 2002 immerhin in den WM-Final.
Ja, das war eine schöne Zeit. Aber es bleibt dabei: Es gibt Trainer, die können es besser. Und 2023 war mir sofort bewusst, dass mit Julian Nagelsmann ein Toptrainer auf dem Markt ist. Das war ein Geschenk.

Wie haben Sie ihn überzeugt? Junge Trainer suchen doch eher den Erfolg mit Vereinen, die grossen europäischen Klubtitel?
Grundsätzlich haben Sie recht. Und er hatte auch viele Anfragen von Topklubs aus Europa. Aber auch die Chance, deutscher Nationaltrainer zu werden, ist etwas Besonderes. Und das hat er auch gespürt. Jetzt hat er ja, ähnlich wie ich, zweimal verlängert. Wir bleiben zusammen beim DFB bis 2028 nach der Europameisterschaft. Also für mich ist dann auf jeden Fall Schluss. Vielleicht macht er ja noch weiter.

Aber als der FC Bayern noch einmal bei ihm angeklopft hat kurz vor der Europameisterschaft, da mussten Sie richtig Überzeugungsarbeit leisten?
Es gab noch andere Anfragen. Aber den Bayern zu beweisen, dass er es dort halt doch kann, das hat ihn gereizt, ja. Da hat er ein wenig gewackelt. Wir haben ihm dann gesagt: «Du hast jetzt die Wende eingeleitet im deutschen Fussball. Die Leute mögen uns wieder, sie schenken uns wieder Anerkennung. Jetzt gehst du weg – und ab 2026 erntet vielleicht ein anderer die Früchte deiner Arbeit und gewinnt mit diesen Spielern Titel.» Und am Ende hat er sich für uns entschieden. Das hing sicher auch am Verhältnis zu den jüngeren Spielern, das er aufgebaut hat.

Das Geld wird nicht den Ausschlag gegeben haben. Der DFB kann kaum mit den europäischen Topklubs mithalten, nicht?
Er hatte Anfragen, bei denen er das Doppelte oder Dreifache hätte verdienen können. Aber es gefällt ihm bei uns, der DFB übt schon einen besonderen Reiz aus. Wir haben für die nächsten zwei, drei Jahre eine junge Mannschaft mit viel Potenzial. Es ist wichtig, dass du das Gefühl hast, du kannst mit der Mannschaft etwas gewinnen. Und als Nationaltrainer hast du auch Vorteile.

Nämlich?
Wenn ein Spieler nicht funktioniert, dann lädst du ihn einfach nicht mehr ein. Das kannst du bei einem Spieler im Verein nicht machen. Wenn er nicht funktioniert, kommt er am nächsten Tag trotzdem wieder ins Training. Oder du musst hier und da auch schon mal auf Vertragskonstellationen Rücksicht nehmen. Das hast du als Nationaltrainer alles nicht.

Rudi Völler

Rudi Völler (65) kommt nach der verpatzten WM 2022 zurück zum Deutschen Fussball-Bund (DFB). Erst soll er in einer Taskforce Aufräumarbeit leisten, schliesslich lässt er sich überreden, Sportdirektor zu werden. Völler kennt den DFB bestens. Von 2000 bis 2004 war er selbst Bundestrainer und verlor 2002 erst im Final gegen Brasilien. Als Spieler wurde Völler 1990 in Italien Weltmeister. 1993 gewann er mit Olympique Marseille die Champions League. Er spielte als Stürmer ausserdem für Offenbach, Bremen, 1860 München, die AS Roma und Leverkusen. In Leverkusen war er Sportdirektor und sitzt heute noch im Aufsichtsrat.

Rudi Völler (65) kommt nach der verpatzten WM 2022 zurück zum Deutschen Fussball-Bund (DFB). Erst soll er in einer Taskforce Aufräumarbeit leisten, schliesslich lässt er sich überreden, Sportdirektor zu werden. Völler kennt den DFB bestens. Von 2000 bis 2004 war er selbst Bundestrainer und verlor 2002 erst im Final gegen Brasilien. Als Spieler wurde Völler 1990 in Italien Weltmeister. 1993 gewann er mit Olympique Marseille die Champions League. Er spielte als Stürmer ausserdem für Offenbach, Bremen, 1860 München, die AS Roma und Leverkusen. In Leverkusen war er Sportdirektor und sitzt heute noch im Aufsichtsrat.

Der 27 Jahre jüngere Nagelsmann hat Sie schon als «Papa-Figur» bezeichnet.
Wir haben einen guten Austausch und ergänzen uns wunderbar. Er ist der Bundestrainer, er trifft die Entscheidungen. Und ich versuche, ihn auf meine Art zu unterstützen. Ich kenne die Sorgen und Nöte in seinem Job, ich habe ihn selbst mal vier Jahre lang gemacht. Und ich kenne den Verband in- und auswendig. Es ist derzeit einfach gut beim DFB, es macht Spass. Und ich habe nur bis 2028 verlängert, weil Julian vorher dasselbe getan hat.

Lassen Sie uns noch einmal auf die Zeit nach der WM 2022 zurückblicken. Da schien der DFB in einer der grössten Krisen seiner Geschichte. Dann kommen Sie – und fast alles wird wieder gut. Was haben Sie verändert?
Das Problem war nicht nur, dass wir 2018 und 2022 in der WM-Gruppenphase ausgeschieden sind. Wir hatten auch das Vertrauen der Leute verloren, die Anerkennung, die Liebe unserer Fans. Das haben wir uns in den vergangenen zwei Jahren wieder zurückgeholt. Das war die wichtigste Aufgabe. Wir werden auch wieder mal Spiele verlieren, das ist normal. Aber die Menschen haben wieder das Gefühl: Das ist unsere Nationalmannschaft, mit der können wir uns identifizieren.

Also sind Sie gekommen und haben gesagt: Jungs, die Leute müssen uns wieder mögen!
Na ja, ganz so einfach ist es nicht. Das kannst du zwar sagen – aber dadurch alleine wird es nicht besser. Wir haben versucht, uns ein wenig zu öffnen. Wir machen wieder vermehrt öffentliche Trainings. Wir versuchen, etwas lockerer zu sein. Aber ich bin kein Träumer. Am Ende ist das Wichtigste, dass unsere Stars wie Florian Wirtz, Jamal Musiala oder Kai Havertz funktionieren, dass die Mannschaft als Ganzes harmoniert und Julian Nagelsmann die richtige Taktik wählt.

Wobei man ja mit Blick auf den aktuellen Höhenflug des FC Barcelona das Gefühl bekommen könnte, dass es an der Qualität des alten Trainers Hansi Flick eigentlich nicht gelegen haben kann.
Hansi hat bei den Bayern bewiesen, was er kann. Und er tut es jetzt wieder in Barcelona. Ich freue mich für ihn, ich habe ihm auch zum spanischen Meistertitel gratuliert. Aber was er damals leider nicht abschütteln konnte, war dieser Rucksack, dieser schwere Rucksack des Ausscheidens in Katar. Diesen Druck habe ich damals gespürt, als ich dazugekommen bin. Und man hat gemerkt, dass ihm das zusetzt. Leider mussten wir uns dann ja zwischen zwei Länderspielen von ihm trennen.

Wie gehen Sie so eine Entlassung an?
Ja, wie gehe ich das an? Ich bin ja grundsätzlich nicht alleine, man bespricht sich in einem Gremium. Aber am Ende ist es Teil vor allem meines Jobs, eine solche Entscheidung zu treffen und nach aussen hin zu vertreten. Der Klub oder der Verband stehen über allem. Manchmal fällt es einem schwerer, weil man zu einem Trainer möglicherweise ein engeres Verhältnis hat als zu einem anderen. Aber harte Entscheidungen zu treffen, gehört dazu. Persönliche Befindlichkeiten müssen irgendwann zurückstehen, zumal Trainer im Spitzenbereich finanziell meistens auch weich fallen … 

Und trotzdem gelten Sie als einer, der eine Arbeitsatmosphäre schafft, in der sich Menschen wohlfühlen. Wie machen Sie das? Sind Sie einfach wahnsinnig nett?
Ich bin nicht einfach nett, das ist ja Blödsinn. Ich bin vor allem einer, der sich von seiner Meinung nicht so schnell abbringen lässt. Nehmen wir das Beispiel Antonio Rüdiger.

Er warf im spanischen Cupfinal ein Klebeband nach dem Schiedsrichter und beleidigte ihn.
Viele haben in den Medien gefordert, dass wir hart durchgreifen. Was Antonio getan hat, war definitiv nicht in Ordnung – und er hat von uns deswegen auch eine Gelbe Karte gesehen. Das war unangenehm für ihn. Aber es geht auch darum, den Teamgeist zu festigen, selbst wenn einer einen Fehler gemacht hat. Falls er ihn denn einsieht. Und das tut Antonio, das hat er uns versichert. Dann muss man eben auch mal das Rückgrat haben, nicht das zu tun, was allen gefällt. Toni wird uns das zurückzahlen. Für diese Mannschaft und für alle, die im Umfeld dazugehören, wird er sich künftig noch mehr zerreissen.

Lassen Sie uns noch auf Ihre Düsseldorfer Nachbarschaft kommen. Sie wohnen gleich neben Granit Xhaka.
Ja, ich sehe ihn zwei-, dreimal die Woche, wenn er seine Kinder in den Kindergarten bringt. Sein Zuzug vor zwei Saisons war enorm wichtig für Bayer Leverkusen. Auch, weil es kein typischer Transfer war für Leverkusen. Er war für sein Alter relativ teuer. Normalerweise werden da ja jüngere Spieler geholt, die wieder weiterverkauft werden können. Es war also ein mutiger Entscheid des Vereins, aber er hat sich mehr als gelohnt. Granit war der Schlüssel zum Meistertitel im vergangenen Jahr.

Und Florian Wirtz? Er kam als Teenager zu Leverkusen, als Sie noch Sportdirektor waren. Jetzt steht eine Ablösesumme von 100 bis 150 Millionen Euro im Raum. Wohin soll er gehen?
Ich würde es begrüssen, wenn er noch ein Jahr in Leverkusen bleiben würde. Das wäre auch für uns vom Nationalteam nicht so schlecht. Aber am Ende muss er es mit seiner Familie entscheiden. Und klar, die Ablöse muss für Leverkusen stimmen. Dass er irgendwann woanders hingehen würde, wussten wir alle von Anfang an. Er kam als riesiges Talent und gehört heute zu den fünf Besten der Welt.

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