Darum gehts
Blick: Riola Xhemaili, nach Ihrem Moment des Jahres muss ich Sie wohl nicht fragen. Wie oft haben Sie sich Ihr EM-Tor gegen Finnland seither noch einmal angeschaut?
Riola Xhemaili: Nicht so oft. Das ist manchmal das Traurige am Fussball: Du geniesst einen Moment, dann geht es aber auch schon weiter. Nach der EM ging es schnell zurück nach Eindhoven. Ein anderes Team, eine andere Umgebung. Die EM-Euphorie wurde schnell vom Liga-Betrieb eingeholt. Aber klar haben wir jetzt über die Festtage in der Familie immer mal wieder darüber geredet.
Welche Erinnerungen haben Sie noch an dieses letzte Gruppenspiel?
Ich weiss noch, dass ich nach dem 0:1 gedacht habe: «Scheisse, es sind vielleicht noch 15 Minuten zu spielen.» Kurz danach bin ich eingewechselt worden. Pia Sundhage hat mir einen Notizzettel mit auf den Platz gegeben. Aber ich wusste nicht, welche Seite oben und welche unten ist. Ob wir jetzt 4-3-3 oder 3-3-4 spielen sollen? Ich hab den Zettel dann einfach Lia Wälti in die Hand gedrückt und selber jede Spielerin nach vorne geschickt. Wir hatten ja nichts mehr zu verlieren (lacht).
Eine Taktik, die aufging, als der Ball in der 92. Minute vor ihren Füssen landete.
Ich habe gesehen, dass Géri (Géraldine Reuteler, d. Red.) in den Abschluss geht. Normalerweise ist der Ball dann auch drin. Trotzdem wollte ich bereit sein, falls es einen Abpraller gibt. Dann kam der Ball aber direkt in meine Richtung und ich habe mich einfach nur darauf konzentriert, dass der Ball nicht übers Tor geht. Das war das wichtigste Tor, das ich je erzielt habe.
Das erste Kapitel Ihres persönlichen EM-Märchens schrieben Sie aber schon einige Wochen vor dem Tor. Nachdem Sie zwei Jahre davor als letzte Spielerin aus dem WM-Kader gestrichen worden waren, hatte es das Mal mit dem Aufgebot geklappt.
Ganz ehrlich: Natürlich habe ich dafür gearbeitet, Leistung gebracht und gehofft, aber ich hatte die EM eigentlich fast schon abgeschrieben.
Warum das?
Vor dem Turnier bin ich fast ein ganzes Jahr nicht mehr aufgeboten worden. Und das, obwohl ich in Eindhoven eine richtig gute Saison gespielt habe. Darum hatte ich irgendwann die Hoffnung aufgegeben. Ich habe mir gedacht, wenn die Trainerin ein Jahr auf mich verzichten kann, warum soll sie mich dann für die EM aufbieten. Darum habe ich mich gar nicht mehr auf die Nati, sondern nur noch auf meinen Klub und mich fokussiert.
In der EM-Vorbereitung überzeugten Sie Pia Sundhage aber derart, dass Sie nicht nur für die EM aufgeboten wurden, sondern im Eröffnungsspiel gegen Norwegen auch gleich noch in der Startelf standen – als Mittelstürmerin!
Ich wollte die Vorbereitung nutzen, um zu zeigen, was ich wirklich kann. Dass ich fit bin, dass ich ein Jahr gespielt habe und dass ich viel Selbstvertrauen getankt habe. Eigentlich bin ich ja eher im offensiven Mittelfeld zu Hause. Aber ich habe einfach das gemacht, was Pia Sundhage von mir verlangt hat, und habe 100 Prozent gegeben.
Während der Schweizer Nationalhymne sah man Sie im TV ungläubig strahlen. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Wir haben uns alle gedacht: «Wow, passiert das hier gerade wirklich?» Nach den sportlich enttäuschenden Ergebnissen in den Monaten vor der EM hat niemand von uns gewusst, wie gross die EM-Euphorie in der Schweiz wirklich werden würde. Und dann stehen wir plötzlich in einem ausverkauften St. Jakob-Park, in dem alles rot ist. In diesem Moment hat sich für jede Spielerin ein Traum erfüllt.
Riola Xhemaili wird am 5. März 2003 in Solothurn geboren. Als Juniorin spielt sie beim FC Solothurn, ehe sie zum FC Basel wechselt. 2021 folgt der Schritt ins Ausland zum SC Freiburg, zwei Jahre später geht es weiter zum Top-Klub Wolfsburg, wo sie zwar 2024 den DFB-Pokal gewinnt, sich aber nicht durchsetzen kann. Es folgt der leihweise Transfer zum PSV Eindhoven, der sie in diesem Sommer mit einem Vertrag bis Juni 2028 fix verpflichtet. Ihr Debüt in der Nati gibt Xhemaili im September 2020 gegen Belgien. Inzwischen hat sie 38 Länderspiele für die Schweiz absolviert (7 Tore). Xhemailis Eltern stammen aus dem Kosovo. Ihr Zwillingsbruder Rion spielt beim Erstligisten Langenthal, zudem hat Xhemaili eine ältere Schwester.
Riola Xhemaili wird am 5. März 2003 in Solothurn geboren. Als Juniorin spielt sie beim FC Solothurn, ehe sie zum FC Basel wechselt. 2021 folgt der Schritt ins Ausland zum SC Freiburg, zwei Jahre später geht es weiter zum Top-Klub Wolfsburg, wo sie zwar 2024 den DFB-Pokal gewinnt, sich aber nicht durchsetzen kann. Es folgt der leihweise Transfer zum PSV Eindhoven, der sie in diesem Sommer mit einem Vertrag bis Juni 2028 fix verpflichtet. Ihr Debüt in der Nati gibt Xhemaili im September 2020 gegen Belgien. Inzwischen hat sie 38 Länderspiele für die Schweiz absolviert (7 Tore). Xhemailis Eltern stammen aus dem Kosovo. Ihr Zwillingsbruder Rion spielt beim Erstligisten Langenthal, zudem hat Xhemaili eine ältere Schwester.
Trotz EM-Euphorie und dem erstmaligen Viertelfinal-Einzug kann man das Nati-Jahr 2025 aufgrund der sportlichen Ergebnisse aber auch kritisch sehen, oder?
Ich kann nur die Spiele bewerten, seit ich wieder Teil der Nati bin. Wir haben uns für den EM-Viertelfinal qualifiziert. Auf der anderen Seite war der Abstieg aus der Liga A der Nations League eine Enttäuschung. Was aber feststeht: Wir haben in den wichtigen Momenten gezeigt, welche Qualität und Mentalität in diesem Team steckt.
Ein Team, das seit November mit Rafel Navarro einen neuen Trainer hat. Wie beurteilen Sie die Trennung von Pia Sundhage?
Wir als Spielerinnen haben keinen grossen Einfluss auf solche Entscheide. Wir haben auch teamintern nicht viel darüber gesprochen. Wir haben viele junge Spielerinnen im Team und ich glaube, der Verband hatte die Idee, dass es einen neuen Trainer braucht, damit wir uns weiterentwickeln. Wir Spielerinnen stehen hinter diesem Entscheid. Aber dass Pia eine super Vorarbeit geleistet hat, ist ebenfalls Fakt.
War es nicht merkwürdig, die ersten Testspiele nach der EM mit einer Trainerin zu absolvieren, deren Zukunft völlig unklar ist?
So merkwürdig war das gar nicht. Ich bin 22 und spiele jetzt unter dem vierten Nati-Trainer, seit ich dabei bin.
Welchen Ersteindruck haben Sie von Rafel Navarro, Ihrem vierten Nati-Trainer?
Wir haben noch sehr viel Potenzial in dieser Nati, das wir mit der richtigen Person auch ausschöpfen können. Und ich denke, mit Rafel haben wir dafür die richtige Person gefunden. Die Trainingseinheiten waren sehr gut, er hat eine klare Linie und klare offensive Vorstellungen. Die Resultate der beiden Testspiele widerspiegeln das noch nicht ganz richtig. Es braucht noch etwas Zeit, sich zu finden. Aber das wird kommen.
Auf Navarro wartet eine Herkulesaufgabe. Aufgrund des Nations-League-Abstiegs wird die Schweiz auf dem Weg an die WM 2027 in Brasilien zwei Playoff-Runden überstehen müssen. Mindestens eine davon gegen eine Top-Nation. Muss man das Turnier schon abschreiben?
Es wird schwierig, aber nicht unmöglich. Unser Job ist es, in unserer Quali-Gruppe gute Spiele abzuliefern und uns für die Playoffs zu qualifizieren. Danach schauen wir weiter. Wenn wir unser ganzes Potenzial abrufen, können wir gegen jeden Gegner bestehen. Spanien müssen wir jetzt aber nicht zwingend zugelost bekommen. (lacht)
Wenn es nach Ihnen geht, könnte die WM-Quali schon im Januar beginnen. Sie haben gerade einen richtig guten Lauf und sind mit neun Saisontoren Topskorerin der holländischen Liga.
Um ehrlich zu sein, habe ich nicht erwartet, dass ich so viele Tore schiessen würde. Einen solchen Lauf hatte ich in meiner Karriere noch nie. Natürlich ist es schön, so regelmässig zu treffen. Aber mir ist es wichtiger, mich als Fussballerin und Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Wie gut ist Ihnen das in diesem Jahr gelungen?
Ich gehöre bei PSV zum Captain-Team und muss auf dem Platz Verantwortung übernehmen. Zuvor habe ich aber auch aus der schwierigeren Zeit in Wolfsburg viel gelernt.
Sie sprechen die Zeit in Wolfsburg an. Im Sommer 2023 sind Sie von Freiburg zum deutschen Top-Klub gewechselt. Dort konnten Sie sich aber nie richtig durchsetzen. Kam der Wechsel rückblickend etwas zu früh?
Klar, von aussen kann man den Wechsel nach Wolfsburg im Nachhinein kritisch sehen. Aber wenn du ein Angebot von einem solchen Top-Klub bekommst, würde kaum eine Fussballerin dazu Nein sagen. Egal, wie alt man ist. Ich habe mich in der Zeit in Wolfsburg trotzdem weiterentwickelt. Mit der wenigen Einsatzzeit richtig umzugehen, hat mich mental stärker gemacht. Zudem war die Trainingsqualität viel höher als zuvor in Freiburg. Das hat mir bei meinem Wechsel nach Eindhoven sehr geholfen. Ich habe kaum Eingewöhnungszeit gebraucht und konnte meine Leistungen sofort abrufen.
Auch in der Nati haben Sie etwas mehr Zeit benötigt, um sich zu einer Leistungsträgerin zu entwickeln. Woran liegt es, dass heute so vielen jungen Spielerinnen wie Iman Beney, Sydney Schertenleib oder Noemi Ivelj scheinbar viel einfacher der Durchbruch gelingt?
Der Frauenfussball hat sich enorm weiterentwickelt. Vor einigen Jahren haben Trainerinnen und Trainer vor allem den älteren Spielerinnen vertraut, jüngere mussten sich mit weniger Einsatzzeit zufriedengeben. Ich finde aber, man sollte die Entwicklung von jungen Talenten immer individuell betrachten.
Das heisst?
Ich hatte damals den Ruf eines Supertalents. Jeder hat gedacht, dass es bei mir immer steiler nach oben gehen würde. Wenn die Entwicklung dann mal abflacht, fragt sich plötzlich jeder, was da los ist. Dabei mache ich in diesem Moment für mich alles richtig und entwickle mich in anderen Bereichen weiter, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht sieht. Rückblickend muss ich sagen, dass ich mich zwischen 19 und 22 vor allem im mentalen Bereich enorm weiterentwickelt habe. Fussballerisch muss es nicht immer steil nach oben gehen. Viel wichtiger ist eine gewisse Konstanz. Und das ist mir in diesem Jahr sehr gut gelungen.
Dem besten Jahr Ihrer bisherigen Karriere?
Das würde ich so sagen. Aber ich glaube, ich kann noch besser werden. Ich bin jetzt 22, kann ehrlich und reflektierend mit mir umgehen. Ich kann sagen, das war gut, das war nicht so gut. Wenn ich zwei Tore schiesse, aber kein gutes Spiel mache, kann ich das kritisch einordnen.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
|---|---|---|---|---|---|
1 | Norwegen | 3 | 3 | 9 | |
2 | Schweiz | 3 | 1 | 4 | |
3 | Finnland | 3 | 0 | 4 | |
4 | Island | 3 | -4 | 0 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
|---|---|---|---|---|---|
1 | Spanien | 3 | 11 | 9 | |
2 | Italien | 3 | -1 | 4 | |
3 | Belgien | 3 | -4 | 3 | |
4 | Portugal | 3 | -6 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
|---|---|---|---|---|---|
1 | Schweden | 3 | 7 | 9 | |
2 | Deutschland | 3 | 0 | 6 | |
3 | Polen | 3 | -4 | 3 | |
4 | Dänemark | 3 | -3 | 0 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
|---|---|---|---|---|---|
1 | Frankreich | 3 | 7 | 9 | |
2 | England | 3 | 8 | 6 | |
3 | Niederlande | 3 | -4 | 3 | |
4 | Wales | 3 | -11 | 0 |
