Darum gehts
Dass die NFL ausgerechnet am 9. November zum ersten Mal für ein offizielles Saisonspiel in Berlin gastiert, ist kein Zufall. Wenn die US-Liga mit der grossen Kelle anrührt und zwei ihrer Teams im Olympiastadion vor rund 74'000 Fans antreten lässt, muss auch der Rahmen stimmen. So spielen die Indianapolis Colts und die Atlanta Falcons genau am Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, diesem historischen Wendepunkt der Weltgeschichte von 1989.
Auf einer Stufe mit Einheitskanzler Helmut Kohl (1930–2017) oder dem ehemaligen Sowjetunion-Präsidenten Michail Gorbatschow (1931–2022) steht NFL-Boss Roger Goodell deshalb zwar noch nicht. Doch auch der 66-Jährige träumt längst von einer neuen (Sport-)Weltordnung.
Wenn am Sonntag in Berlin nach grosser Show und der deutschen sowie der US-amerikanischen Hymne um 15.30 Uhr der Kickoff erfolgt, wird das bereits das sechste Spiel der aktuellen NFL-Saison sein, das ausserhalb der USA ausgetragen wird. Eine Woche später folgt dann noch die siebte Partie zwischen Miami und Washington im Santiago Bernabéu in Madrid.
Die Einnahmen der NFL explodieren
Goodell und die Mehrheit der Team-Besitzer in der NFL haben längst jegliche Hemmungen abgelegt, wenn es darum geht, neue Märkte und damit neues Geld mit ihrem Sport zu erschliessen. Im Jahr 2003 hatte die Liga einen Langzeitplan ausgearbeitet, laut dem unter anderem mit sogenannten International Games die Attraktivität der Football-Spiele gesteigert werden sollte. Wurden diese Auftritte im Ausland anfangs noch kritisch beäugt und vor allem von kleinen Mannschaften als Chance auf mehr Aufmerksamkeit genutzt, sind heute alle Teams heiss auf ein Stück des neuen Kuchens. In den letzten Jahren wurden Spiele unter anderem in São Paulo, Mexiko-Stadt, Dublin, London oder in mehreren deutschen Städten ausgetragen.
Das zahlt sich aus: Neue Fans, neue Märkte und neue TV-Verträge im Ausland lassen die Kassen der Teams klingeln. Betrugen die NFL-Einnahmen im Jahr 2010 noch umgerechnet etwas mehr als 6 Milliarden Franken, sind es 2024 schon rund 16 Milliarden Franken.
Als einziges Team in der gesamten NFL haben die Dallas Cowboys erst einen Ernstkampf ausserhalb der USA ausgetragen. Das war 2014 im Londoner Wembley. Der Spitzname «America's Team», den sich die Franchise in den 1970er-Jahren aufgrund ihrer hohen TV-Präsenz erarbeitet hatte, bekommt vor dem Hintergrund der vielen internationalen Spiele plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Doch auch Jerry Jones (83), der schwerreiche Besitzer der Cowboys, hat seine anfängliche Skepsis gegenüber der Wachstumsstrategie mittlerweile abgelegt. «Es hilft viel im Leben, wenn es dir nicht unangenehm ist, deine Meinung auch mal zu ändern», sagte Jones kürzlich in einem Interview über seinen Sinneswandel. Mittlerweile ist Jones sogar offen für die Austragung eines Super Bowls, also des NFL-Finals, im Ausland.
Fanproteste interessieren die Liga wenig
Ganz unkritisch wird die Entwicklung aber auch in den USA nicht angesehen. Immer wieder kommt es zu Fanprotesten gegen die Auslagerung von Partien. Zum einen, weil so den heimischen Fans Spiele ihrer Mannschaften durch die Lappen gehen. Zum anderen, weil sie stattdessen oft dürftige Football-Kost vorgesetzt bekommen. Denn tatsächlich sind die internationalen NFL-Spiele in den seltensten Fällen absolute Highlights eines Spieltags. Es ist die Folge von Reisestrapazen, verkürzten Matchvorbereitungen und noch mehr Rummel rund um die Spiele.
Die Liga-Verantwortlichen nehmen das mehr oder weniger schulterzuckend zur Kenntnis. «Wir meinen es ernst, wenn wir sagen, dass wir ein globaler Sport sein wollen», erklärt Goodell. Der nächste Schritt dazu ist auch schon gemacht: Zum ersten Mal ist in der nächsten Saison ein Spiel in Australien geplant. Und Gerüchten zufolge sollen auch Matches im arabischen Raum zur Diskussion stehen. Es wäre nicht gerade ein Mauerfall, aber doch ein Stück Sportgeschichte.