Darum gehts
- Praktikant auf der Hörnlihütte erlebt verschiedene Gäste und ihre Geschichten
- Bergsteiger erleben Erfolge, Misserfolge und Rettungen am Matterhorn
- Hörnlihütte auf 3260 m ü. M. ist seit 1880 das Tor zum Matterhorn
Nolin Clark (25) steht am Tresen der Hörnlihütte. Es ist noch nicht einmal neun Uhr am Morgen. Trotzdem ordert der junge Mann aus Seattle (USA) zwei Halbliterdosen Bier.
Für fünf Tage bin ich Praktikant auf der bekanntesten Hütte der Schweiz – der Hörnlihütte am Fuss des Matterhorns bei Zermatt. Ich will wissen, wie es sich hier lebt, was die Faszination des Hüttenlebens ausmacht. Mich interessiert aber auch, wer die Menschen sind, die auf die Hütte kommen. Was treibt sie an, was suchen sie?
Darum habe ich den Sommerjob des Hüttenpraktikanten angenommen. Arbeite, so gut ich kann mit und will eintauchen in die Welt der geschichtsträchtigen Hütte am bekanntesten Berg der Welt. «Darauf erst einmal ein Bier, cheers!», sagt Nolin Clark zu mir.
Der Berg entscheidet
Das morgendliche Bier ist als Trost gedacht. Denn Nolin und sein Bruder Lucas Clark (23) müssen eine Enttäuschung wegstecken. Um 3.50 Uhr sind die beiden Amerikaner aufgebrochen, um den Gipfel des Matterhorns zu besteigen. Dafür sind sie extra nach Zermatt gekommen. «Es sollte aber nicht sein», sagt Lucas Clark zu mir.
Das Wetter war den beiden nicht gewogen. «Es hat geschneit, es war sehr windig», sagt Nolin Clark. «Wir fühlten uns nicht sicher, deshalb haben wir beschlossen, umzukehren.» Die Eltern zu Hause seien ohnehin nicht begeistert, dass die beiden Brüder in Europa Berge besteigen würden, sagt Lucas. «Da kommen wir besser heil zurück. So ist das halt: Der Berg entscheidet. Und er läuft ja nicht weg.» Nächstes Jahr wollen es die beiden noch einmal versuchen. Die Hörnlihütte ist auch ein Ort des Scheiterns.
Der beste Eistee von Zermatt
Für Carola Barilari (33) hingegen ist die Hütte ein Ort der Genesung – respektive der Weg dorthin. Die in Zermatt VS wohnhafte Italienerin hatte sich vor ein paar Monaten am Knie verletzt. «Mein Physiotherapeut hat mir Bewegung verordnet, darum laufe ich hier hoch», erzählt sie mir. Ob der Physiotherapeut das mit «Bewegung» gemeint hat, erschliesst sich mir nicht.
Doch für Barilari gibt es noch einen anderen Grund, auf die Hörnlihütte zu kommen. Sie sagt: «Hier gibt es schlicht den besten Eistee von Zermatt. Überall, wo ich hinkomme, trinke ich Eistee. Hier schmeckt er am besten.»
Übernachtet hat sie noch nie hier oben. «Ich bin noch keine Bergsteigerin, aber ich habe vor, das Matterhorn zu besteigen», sagt die junge Frau. Für sie ist die Hörnlihütte ein Ort des Träumens.
Die verlorenen Engländer
Für andere ist die Hörnlihütte ein Ort der Rettung. Zum Beispiel für Ed Brewer (23) und Lev Davies (21) aus Cambridge (UK). Die beiden Abenteurer wollten eigentlich gar nie hier absteigen.
Dass sie trotzdem hier gelandet sind, hat mit viel Glück zu tun. Während die beiden ihr Abendessen geniessen, erzählen sie mir die Geschichte ihrer Gipfelbesteigung, die beinahe zum Desaster geworden hätte. «Wir sind ohne viel Geld unterwegs, darum haben wir im Zelt übernachtet», sagt Lev Davies zu mir. Darum fehlen den beiden die Informationen des Hüttenteams und der Bergführer.
Die Bedingungen am Berg waren deutlich schwerer als gedacht, die beiden Engländer kommen nur langsam voran. Immerhin schaffen sie es auf den Gipfel des Matterhorns (4478 m. ü. M.). Dann folgt der Abstieg. Am Anfang finden die beiden den Weg noch gut, doch auf einmal gibt die Smartwatch von Ed Brewer den Geist auf. Und schon geht für die beiden nichts mehr. «Wir sahen die Hütte, fanden den richtigen Weg aber einfach nicht», sagt Brewer.
Den Franzosen sei Dank
Die beiden Bergsteiger befürchten schon Schlimmeres, denn das Wetter wird immer schlechter. Es beginnt zu schneien, die Sicht ist gleich null. Just in diesem Moment taucht die Rettung in Form einer französischen Seilschaft auf. Die Franzosen, darunter ein Bergführer, nehmen die beiden Engländer mit – in die Sicherheit der Hörnlihütte. «Die beiden waren sehr hilfreich», kommentiert Davies mit trockenem britischem Humor.
Blick-Reporter Martin Meul arbeitet für fünf Tage in der Hörnlihütte am Matterhorn.
- Zum Praktikum: «Um 3 Uhr morgens ist die Stimmung aufgeregt bis nervös»
- Zur Hüttenwartin: «Ich bin nicht die Mama des Matterhorns»
- Zu den Besuchern: «Darauf erst einmal ein Bier, cheers!»
- Zum Hüttenteam: «Hier oben kommen existenzielle Fragen auf»
- Zu Schattenseiten: Fehlender Respekt vor dem Berg und den Menschen
Blick-Reporter Martin Meul arbeitet für fünf Tage in der Hörnlihütte am Matterhorn.
- Zum Praktikum: «Um 3 Uhr morgens ist die Stimmung aufgeregt bis nervös»
- Zur Hüttenwartin: «Ich bin nicht die Mama des Matterhorns»
- Zu den Besuchern: «Darauf erst einmal ein Bier, cheers!»
- Zum Hüttenteam: «Hier oben kommen existenzielle Fragen auf»
- Zu Schattenseiten: Fehlender Respekt vor dem Berg und den Menschen
In der Hörnlihütte wärmen sich Brewer und Davies erst einmal auf, stärken sich beim Nachtessen. «Es war ein Abenteuer, morgen geht es zur Dent Blanche», sagen die beiden, die wieder im Zelt übernachten. Der Schlafplatz in der Hörnlihütte: zu teuer. Der Dank an die Franzosen: ein Bier.
Eine gewisse Ratlosigkeit
Mich lässt die Begegnung mit den Engländern mit vielen Fragen zurück. Die beiden hatten viel Glück, scheinen das aber kaum zu reflektieren. Wer sich am Matterhorn versteigt, begibt sich in Lebensgefahr.
Auf der anderen Seite waren da die Amerikaner, die so gehandelt haben, wie man es machen sollte, voller Vernunft, mit Respekt vor dem Berg.
Die Gäste der Hörnlihütte sind so vielfältig wie die Menschheit selbst. Während die einen alles riskieren, sind andere nur da, um einen Eistee zu trinken. Die Hörnlihütte ist trotz allem Komfort eben immer noch das, was sie schon seit 1880 ist: das Tor zum Matterhorn, für jeden, der kommen will. Egal, ob vorbereitet auf den Berg oder nicht.
Blick-Reporter Martin Meul arbeitet für fünf Tage auf der Hörnlihütte. Lies im nächsten Teil, warum gutes Essen auf einer Hütte so wichtig ist.