Pianistin Ruth B. (†39) vergiftet – Gerichtspräsident packt über Winterthurer Arsenmord aus
«Zwei kleine Details waren entscheidend»

In den 90er-Jahren erschütterte ein Giftmord die Schweiz. Den Prozess leitete der damalige Präsident des Geschworenengerichts, Christian Huber. In seinem neuen Buch blickt er auf den komplexen Fall zurück. Blick hat vorab mit ihm darüber gesprochen.
Publiziert: 22.08.2025 um 20:13 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2025 um 20:22 Uhr
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Am 22. August erscheint «Der letzte Tee der Pianistin» über einen der berühmtesten Schweizer Kriminalfälle.
Foto: zVg

Darum gehts

  • Arsenmord in Winterthur ZH: Pianistin Ruth B. vergiftet
  • Ehemaliger Gerichtspräsident Christian J. Huber veröffentlicht nun ein Buch über den Fall
  • Zeitpunkt der Gifteinnahme als ausschlaggebendes Indiz für den Täter
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandra MarschnerRedaktorin News-Desk

Es gibt diese Verbrechen voller unerwarteter Wendungen – so packend, dass sie einem Krimi entsprungen sein könnten. Doch sie sind wahr und fesseln umso mehr. Wie der Winterthurer Arsenmord.

Der Morgen des 24. August 1993 begann für die bekannte Pianistin Ruth B.* (†39) ganz normal. Am Nachmittag klagte sie während einer Musikstunde über Übelkeit, übergab sich später und litt an Durchfall. In der Nacht verschlimmerte sich ihr Zustand, am nächsten Morgen lag sie tot in ihrem Bett.

Damit begann einer der aufsehenerregendsten Fälle der Schweizer Kriminalgeschichte. Bei der Untersuchung tauchten immer mehr Unstimmigkeiten auf. Am Ende stand fest: Die Pianistin war mit Arsen vergiftet worden. Doch die Suche nach dem Täter sollte sich als hochkomplexe Aufgabe erweisen. 

Aus erster Hand erzählt nun der damalige Präsident des Geschworenengerichts**, der spätere Regierungsrat Christian J. Huber (81), den True-Crime-Fall. Sein Buch «Der letzte Tee der Pianistin» erscheint am 22. August in der Edition Königstuhl. 

Blick: Sie sind in über 25 Jahren in der Strafjustiz vielen Kriminalfällen begegnet – unter anderem haben Sie das Verfahren gegen Babyfolterer René Osterwalder geleitet. Was hat Sie dazu bewogen, über den Arsenmord zu schreiben?
Christian Huber:
Neben dem Fall Osterwalder zählt der Arsenmord zu den anspruchsvollsten Fällen in meiner Laufbahn. Und gehört zu den berühmtesten Fällen der Schweizer Kriminalgeschichte. Ruth B. wird tot in ihrem Bett aufgefunden. Ein natürliches Geschehen, sagt ihr Hausarzt, doch er wundert sich, dass die junge und relativ gesunde Frau so plötzlich verstorben ist. Er stuft deshalb ihr Ableben als «aussergewöhnlichen Todesfall» ein. Damit beginnt das übliche Prozedere: Kantonspolizei, Untersuchungsrichter und Bezirksarzt bearbeiten den Fall. Und schliesslich führen zwei kleine Details die Ermittler auf die entscheidende Fährte.

Und welche Details waren das?
Zum einen wurde der Kriminalpolizist, ein alter Fuchs kurz vor der Pensionierung, misstrauisch. Er hatte ein «ungutes Gefühl» – eine Intuition, dass etwas nicht stimmte. Gleich erging es dem Bruder der Verstorbenen, von Beruf Arzt. Man untersuchte bei einer Obduktion auch mögliche Spuren von Schlaf- und Betäubungsmitteln. Doch niemand schaute explizit nach Arsen, denn das Gift war völlig aus der Mode gekommen. Auch dem Pathologen liess der Fall keine Ruhe. Dann bemerkte er winzige Veränderungen am Herz – ein mögliches Anzeichen einer Vergiftung. Ein Volltreffer: Viereinhalb Monate nach dem Tod der Pianistin stand endlich die Todesursache fest. Im Blut, in der Leber, in Niere und Magen fanden sich x-fache Arsenwerte.

Sie haben den Fall als einen der anspruchsvollsten Fälle in Ihrer Laufbahn beschrieben. Was hat den Prozess zum Arsenmord so komplex gemacht?
Je mehr Erkenntnisse ans Licht kamen, desto verzwickter wurde es. Da war der Ehemann der Verstorbenen mit einer 19-jährigen russischen Geliebten, dann die Verstorbene, die ihrerseits ein loses Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte, der wiederum ein weiteres Verhältnis mit einer äusserst eifersüchtigen Frau unterhielt. Und es gab eine Lebensversicherung über eine Viertelmillion Franken, die kurz vor dem Tod auf die Verstorbene abgeschlossen worden war. Doch dann zeigte sich der Kipppunkt im Prozess: Entscheidend für die Bestimmung des Täters war der Zeitpunkt der letzten Gifteinnahme.

Inwiefern wurde der Zeitpunkt zum entscheidenden Faktor, und welche Rolle spielte der Mageninhalt für den Prozess?
Im Mageninhalt von Ruth B. fand sich eine grosse Menge von Arsen, die die Werte in Niere, Darm und Leber weit überstieg. Wie die amtlichen Gutachter anschaulich darlegten, musste ihr deshalb im Verlauf der Nacht mindestens eine weitere Dosis des Gifts verabreicht worden sein, wodurch die erneute Dosis eben nicht mehr in den Dünndarm gelangte. Der private Gutachter der Verteidigung hielt dagegen und wollte darlegen, dass die Flüssigkeit auch vom Dünndarm wieder zurück in den Magen hätte fliessen können. Denn eine zusätzliche Dosis im Verlauf der Nacht hätte nur noch einen ganz bestimmten Täter infrage kommen lassen.

Persönlich: Christian J. Huber

Christian Huber wurde in Zürich geboren, wo er auch aufwuchs. Als Werkstudent studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. Nachdem er sein Doktorat mit der Dissertation «Die Betäubungsmittel vom Typ Cannabis – Strafrechtliche Probleme und gesetzgeberische Aspekte» abgeschlossen hatte, absolvierte er ein Gerichtspraktikum.

Anschliessend verfolgte er eine Karriere in der Strafjustiz, wurde nacheinander Staatsanwalt, Oberstaatsanwalt, Oberrichter und schliesslich Präsident des zürcherischen Geschworenengerichts. Als solcher leitete er neben dem aufsehenerregenden Prozess zum Arsenmord von Winterthur auch den Fall des Babyquälers René Osterwalder.

1995 wurde Huber in den Regierungsrat des Kantons Zürich gewählt und leitete bis 2005 die Finanzdirektion. 2023 erschien sein erstes True-Crime-Buch «Der Mordfall Näf» in der Edition Königstuhl.

Christian Huber wurde in Zürich geboren, wo er auch aufwuchs. Als Werkstudent studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. Nachdem er sein Doktorat mit der Dissertation «Die Betäubungsmittel vom Typ Cannabis – Strafrechtliche Probleme und gesetzgeberische Aspekte» abgeschlossen hatte, absolvierte er ein Gerichtspraktikum.

Anschliessend verfolgte er eine Karriere in der Strafjustiz, wurde nacheinander Staatsanwalt, Oberstaatsanwalt, Oberrichter und schliesslich Präsident des zürcherischen Geschworenengerichts. Als solcher leitete er neben dem aufsehenerregenden Prozess zum Arsenmord von Winterthur auch den Fall des Babyquälers René Osterwalder.

1995 wurde Huber in den Regierungsrat des Kantons Zürich gewählt und leitete bis 2005 die Finanzdirektion. 2023 erschien sein erstes True-Crime-Buch «Der Mordfall Näf» in der Edition Königstuhl.

Um seinen Standpunkt zu belegen, griff Toxikologe Peter Iten zu einem aussergewöhnlichen Mittel. Wie haben Sie den Streit der Experten erlebt?
Um zu beweisen, dass eine hohe Menge an Arsen den Magen nie verlassen hatte, hielt Peter Iten den Geschworenen und mir den aufgetauten Mageninhalt unter die Nase. Das Gesicht des ersten Geschworenen werde ich nie vergessen. Er hielt das Gefäss mit viel Respekt weit von sich. Der Geruch war süsslich und eben nicht säuerlich, wie er bei Kontakt mit dem Dünndarm gewesen wäre. Insgesamt achtete ich darauf, die komplexen Darstellungen der Experten immer wieder einzuordnen. Ich wiederholte Erklärungen und stellte Ergänzungsfragen, damit alle Geschworenen dem Fall folgen konnten.

Das Interesse an True Crime ist hoch, besonders Podcasts sind zu diesem Thema beliebt. Was macht dabei die Faszination aus?
Generell ist die Faszination am Bösen hoch. Schaltet man abends den Fernseher ein, findet sich immer ein Krimi, den man sich anschauen kann. Eine wahre Geschichte interessiert nochmals mehr. Mein Buch ist aber einzigartig. Jemand, der in den True-Crime-Fall involviert ist, berichtet darüber – aus erster Hand. In meiner Laufbahn in der Strafjustiz habe ich in alle menschlichen Abgründe geschaut. Die Leser können daher besonders in die Gefühlswelt des Geschworenengerichts eintauchen. 

Nach so vielen Jahren in der Strafjustiz: Lesen Sie überhaupt noch selbst Krimis?
Tatsächlich lese ich sehr selten Krimis, denn meistens ärgere ich mich über Fehler in der Darstellung. Da werden Fehlschlüsse gezogen oder Verhöre fern der Realität beschrieben. Ganz schlimm sind die Krimis im Fernsehen. Da zieht etwa der Staatsanwalt mit einem Ermittlerteam los, um den Fall selbst zu untersuchen. Völlig daneben – denn das wäre die Aufgabe der Polizei. Ganz selten finde ich eine gute Geschichte.

*Name bekannt 

** Anmerkung der Redaktion: Das Geschworenengericht ist eine Institution, die es seit 2007 nicht mehr gibt. Das Geschworenengericht im Kanton Zürich setzte sich aus drei Berufsrichtern, einem Gerichtsschreiber und neun Geschworenen zusammen. Die Geschworenen waren Laien, die jeweils für zwei oder drei Prozesse ausgelost wurden. Für einen Schuldspruch brauchte es ein Mehr von acht Stimmen der Geschworenen und Berufsrichter.  

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