Darum gehts
- Mann erleidet Sehschaden nach Wegovy-Abnehmspritze. Swissmedic erhält Verdachtsmeldungen
- Europäische Arzneimittel-Agentur stuft NAION als sehr seltene Nebenwirkung ein
- Krankenkassen vergüteten im ersten Halbjahr 2025 90 Millionen Franken für Abnehmspritzen
16 Kilogramm leichter, aber ein lädiertes Auge: Francesco B.* (56) aus dem Kanton Thurgau spritzte sich ein Jahr lang wöchentlich eine Dosis der Wegovy-Abnehmspritze. Bis sich sein Sehvermögen plötzlich veränderte. Es folgte ein mehrtägiger Spitalaufenthalt. Verdacht: Hirntumor, Herzinfarkt oder Schlaganfall!
Nach drei Tagen im Kantonsspital Frauenfeld wird klar: Sein Blickfeld wird wohl nicht mehr wie zuvor, der linke Sehnerv hinter dem Auge ist verletzt. Francesco B. sagt: «Mein Blick ist undurchsichtig, als sei Seife im Auge, und ich bringe es nicht mehr weg.» Störend und nervig sei es.
Die Ärzte diagnostizieren eine «nicht-arteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie» (kürzer: NAION): Die Durchblutung seines Sehnervs wurde gestört, wobei es zu einer Anschwellung kam und das Blickfeld in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Wegovy-Verdachtsmeldungen bei Swissmedic
Weil sich Patient B. seit einem knappen Jahr jede Woche eine Dosis Wegovy vom Pharmakonzern Novo Nordisk spritzt, kommen die Thurgauer Ärzte zum Schluss, dass es «eine Nebenwirkung der bestehenden Therapie mit Semaglutid (Wegovy)» sei. Das belegt der Arztbericht, der dem Blick vorliegt. Darin steht: Die Mediziner informierten Francesco B. über einen Stopp der Abnehmspritze. Das Spital Thurgau meldete die Nebenwirkung der Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic.
Swissmedic bestätigt aus Datenschutzgründen den Eingang dieser Meldung nicht. Sie schreibt jedoch: «Uns erreichten zwei Verdachtsmeldungen mit dem Wirkstoff Semaglutid und dieser Nebenwirkung bis jetzt.» Die Nebenwirkung scheint also selten zu sein.
Semaglutid wird bei Wegovy und anderen Abnehmspritzen wegen der appetithemmenden Wirkung eingesetzt. Als Nebenwirkung wird dieses Augenproblem in der Schweiz aktuell nicht in der Arzneimittelinformation von Wegovy aufgelistet. Stattdessen wird vor Übelkeit, Erbrechen oder einer Bauchspeicheldrüsenentzündung gewarnt.
Genervt und enttäuscht
Patient Francesco B. hätte Wegovy nicht benutzt, wenn er von der möglichen Nebenwirkung am Augennerv gewusst hätte, sagt er. «So darf das Medikament nicht zugelassen werden», findet der Ostschweizer. Obwohl der 56-Jährige 16 Kilogramm verlor und heute 73 Kilogramm wiegt.
In einer Publikation von Swissmedic beschreiben zwei Wissenschaftler des Universitätsspitals Lausanne einen ähnlichen Fall bei einer 68-jährigen Patientin. Sie injizierte ebenfalls ein Medikament mit Semaglutid. Die Folge war ein plötzlicher Sehverlust auf dem rechten Auge, schreiben die Wissenschaftler.
Auch Robbie Williams kämpft mit der Durchsicht
Im Ausland sind ähnliche Fälle schon länger bekannt: Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) kam zum Schluss, dass NAION eine «sehr seltene» Nebenwirkung der Abnehmspritze sei. Das heisst: Bis zu 1 von 10'000 Patienten kann betroffen sein. Weil Arzneimittel mit dem Wirkstoff Semaglutid jedoch häufig verschrieben werden, sollten Verschreibende und Patienten darüber informiert sein, schreibt die EMA.
Vor wenigen Wochen entschädigte Dänemark vier Patienten mit insgesamt rund 100’000 Franken, nachdem sie «schwere Augenschäden» aufgrund der Wegovy-Spritze erlitten hatten.
Auch Musiker Robbie Williams (51) nutzte eine Fettweg-Spritze und schwärmte zunächst davon. Bis er nach einem Jahr Augenprobleme beklagte. «Mein Blick ist verschwommen, und es wird schlimmer», zitierte ihn die englische Zeitung «The Sun».
Francesco B. hat selber bezahlt
Francesco B. sagt: «Ich war ein Selbstzahler, und die Spritzen sind alles andere als günstig.» Eine Packung kostet 180 Franken – jede Woche. Das sagt er bewusst: Seit Frühling 2024 übernehmen Krankenkassen unter gewissen Voraussetzungen die Kosten von Abnehmspritzen.
Bis Ende September 2025 vergüteten die Kassen 145 Millionen Franken für Abnehmspritzen wie Wegovy oder Ozempic, sagt der Krankenkassenverband Prio Swiss auf Anfrage von Blick. Damit übersteigen die bisherigen Kosten diejenigen des gesamten Vorjahrs 2024. Prio Swiss rechnet bis Ende Jahr mit Ausgaben von rund 200 Millionen Franken, schreibt ein Sprecher. Im Frühsommer rechnete der Verband noch mit 180 Millionen Franken Kosten.
Hersteller: «Implikationen werden evaluiert»
Zu den Vorwürfen schreibt der dänische Pharmakonzern und Wegovy-Hersteller Novo Nordisk gegenüber Blick: «Die Patientensicherheit hat für uns höchste Priorität.» Alle Meldungen über unerwünschte Ereignisse nehme der Konzern «sehr ernst».
Auf Empfehlung der EMA aktualisierte der Konzern im Sommer die Arzneimittelinformation ihrer vertriebenen Semaglutid-Produkte, wie Wegovy oder Ozempic. Neu werden Patienten in der EU vor der «sehr seltenen unerwünschten Arzneimittelwirkung NAION» gewarnt. Novo Nordisk schreibt weiter: «Implikationen für die Schweizer Fachinformationen werden derzeit von Swissmedic evaluiert.» Novo Nordisk setze sich für Patientensicherheit und Transparenz ein und arbeite eng mit Gesundheitsbehörden zusammen, auch in der Schweiz.
Francesco B.s Spitalaufenthalt liegt mittlerweile zwei Monate zurück. Dem Auge gehe es etwas besser. Den Durchblick wird er nicht wieder bekommen, prognostizieren seine Ärzte.
* Name geändert