Darum gehts
- Vierfachmord in Rupperswil vor zehn Jahren: Täter kämpft um Therapie
- Feuerwehrleute erinnern sich an den traumatischen Einsatz am Tatort
- Rupperswil wuchs trotz der Tat von 5144 auf 6319 Einwohner
Vor zehn Jahren geschah in einem Reihenhaus in Rupperswil AG eines der schlimmsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte. Was sagen die Menschen, die die Tat damals hautnah mitbekommen haben?
«Es gibt viele Einsätze, die einen sehr beschäftigen und in Erinnerung bleiben», sagt Feuerwehrkommandant Dominik Kunz (42). «Diesen Einsatz vergesse ich sicher nie.» Die Atemschutzgruppe der örtlichen Feuerwehr war zuerst am Tatort und fand die Leichen.
Vier Menschen mussten damals sterben: Carla Schauer (†48), ihre Söhne Davin (†13) und Dion (†19) sowie Simona F.* (†21), die Freundin des älteren Sohnes.
Nach Abschluss des Einsatzes sass man im Feuerwehrmagazin zusammen. Kunz: «Zwei Leute vom Careteam waren vor Ort.» Sie hätten auch erklärt, welche Reaktionen normal seien.
Der Rauch behindert die Sicht
Zum Gespräch stösst auch sein Bruder dazu. Raphael Kunz (40) war damals stellvertretender Atemschutz-Chef und als einer der ersten im Haus. Man habe wegen des Rauchs erst gar nicht gesehen, was genau passiert war. «Man macht fokussiert seine Arbeit», sagt er und ergänzt, dass er früher Bestatter gewesen sei und schon vieles gesehen habe. Er selber, so der heutige Atemschutz-Chef, habe alles erst nach zwei, drei Tagen realisiert. «Daheim, bei meiner Familie», wie er sagt. Es gäbe heute noch Situationen, bei denen er an den Einsatz denke. Beide Feuerwehrmänner möchten zum Täter nichts sagen. «Wir wollen ihm keinen Raum geben.»
Der Täter heisst Thomas Nick und ist heute 42 Jahre alt. Er wohnte im gleichen Quartier wie die Opfer. Nun sitzt er im Gefängnis und kämpft um eine Therapie – damit er wieder freikommen kann.
An der Strassenecke zum Tathaus, wo vor zehn Jahren ein riesiges Kerzenmeer war, erinnern nur noch ein paar farbig angemalte Steine an die Fassungslosigkeit von damals. Einige Anwohner sind weggezogen – neue hinzugekommen. Auch im Tathaus hat es wieder Leben. «Es ist gut, dass hier wieder jemand wohnt», sagt eine Frau im Quartier. «Das Leben geht weiter.»
«Rupperswil hat sich extrem entwickelt»
Rupperswil boomt trotz der blutigen Geschichte. Damals zählte man 5144 Menschen im Ort, heute sind es 6319. «Rupperswil hat sich extrem entwickelt – etwa wegen der guten verkehrstechnischen Lage», sagt Daniel Marti (37), seit 2023 Gemeindeammann. Und: «Dieses Ereignis ist ein Teil unserer Geschichte.» Er habe die Tat damals mit grosser Bestürzung und Betroffenheit wahrgenommen – «mit einem extrem grossen Mitgefühl gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen».
Auch der Chef der Kriminalpolizei der Kantonspolizei Aargau war gefordert. «Die Erinnerung an diesen tragischen Fall sind Teil meiner beruflichen Erfahrung und werden dies auch bleiben», sagt Markus Gisin. In seinem Beruf sei es wichtig, dass man lerne, mit solchen Erfahrungen richtig umzugehen, «damit man nicht selber langfristig Schaden nimmt». Die Trennung von Beruf und Privatleben sei elementar. «Gleichwohl denke ich natürlich hin und wieder an den Fall.»
Nach der Verhaftung habe das ganze Team «eine Erleichterung gespürt, weil wir nach einer langen und intensiven Zeit den Täter ermitteln konnten», sagt Gisin. Er ist auch dankbar, dass er und sein Team weitere Taten verhindern konnten.
Es war bereits bekannt, dass der Täter weitere Familien im Visier hatte. Fragen beantwortet deren Rechtsanwalt Jean-Claude Cattin aus dem Kanton Solothurn: «Meine Klienten haben mit der Vergangenheit abgeschlossen und versuchen, den Schrecken und die Leiden zu vergessen.» Und weiter: «Für jegliche Vollzugserleichterungen haben weder sie noch ich Verständnis. Der Täter hat die Höchststrafe verdient und soll diese auch verbüssen.»
Sehr anspruchsvoller Prozess
Der Vierfachmörder erhielt 2018 lebenslänglich und die Verwahrung. Für den zuständigen Gerichtspräsidenten Daniel Aeschbach wird die Verhandlung «immer unvergessen bleiben», sagt er. «Zu beurteilen war eines der grausamsten, erbarmungslosesten Verbrechen, das in der schweizerischen Strafrechtsgeschichte je verübt wurde und das zur unsinnigen Auslöschung von vier Menschenleben geführt hat.» Die Organisation des Prozesses sowie dessen Durchführung habe er als sehr anspruchsvoll erlebt. Es sei ihm ein grosses Anliegen gewesen, alles professionell durchzuführen. «Gerade bei emotionalisierten Verfahren ist dies besonders wichtig.»
Der reformierte Pfarrer Christian Bühler (64) war nach der Tat für die Hinterbliebenen «und einfach für alle Menschen in Rupperswil da», sagt er. «Es war eine sehr emotionale Zeit, an die ich mich heute noch sehr gut erinnere. So ein trauriges Ereignis hatte ich selber noch nie erlebt – und es wird mich immer begleiten.»
«Unglaublich graue Wand»
Bühler sagt weiter: «Der Schmerz, den die engsten Angehörigen der Familie erfahren mussten, war schwer zu ertragen. Es war eine unglaublich graue Wand, ein wortloses, bodenloses Ringen, die Tat irgendwie zu verstehen – und ist es auch heute noch.»
Es sei klar, dass ein solcher Jahrestag bei vielen Menschen wieder einhole, was damals geschah. Aber, so Bühler: «In Rupperswil leben viele wunderbare Menschen. Das Dorf kann und darf positiv vorwärtsschauen – gemeinsam und mit ganz viel Liebe, dem wertvollsten Geschenk des Himmels.» Der heute pensionierte Pfarrer sagt: «Ich werde zum Jahrestag eine Kerze für die Verstorbenen anzünden – und ganz fest an sie und ihre Liebsten denken.»
Blick hat auch Thomas Nick um Stellungnahme gebeten. Der Vierfachmörder will sich zu seinen Taten nicht äussern.
* Name der Redaktion bekannt