Vierfachmörder von Rupperswil AG gewinnt vor Gericht – Strafrecht-Experte André Kuhn analysiert
«Könnte sein, dass der Mörder in fünf Jahren ein freier Mann ist»

Es ist ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der vier Todesopfer. Thomas Nick (heute 42), der vor zehn Jahren in Rupperswil AG eines der schlimmsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte begangen hat, soll nun eine Therapie erhalten. Wie ist das möglich?
Publiziert: 18:24 Uhr
|
Aktualisiert: vor 24 Minuten
Teilen
Anhören
1/5
Vierfachmörder Thomas Nick, wie er vor den Taten aussah.
Foto: zVg

Darum gehts

  • Vierfachmörder von Rupperswil darf Therapie machen, könnte in fünf Jahren frei sein
  • Entscheid des Verwaltungsgerichts öffnet Weg zur Therapie-Abklärung für Thomas Nick
  • Nach 15 Jahren Haft hat er das Recht, Antrag auf Freilassung zu stellen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_940.JPG
Ralph DonghiReporter News

Es ist ein überraschender Entscheid des Aargauer Verwaltungsgerichts: Der Vierfachmörder von Rupperswil AG, der vier Menschen brutal getötet hat, soll eine Therapie machen dürfen. Zu beweisen, dass er sich geändert hat, könnte für ihn eine Chance sein, der Verwahrung zu entgehen. Und somit ein Weg in die Freiheit. Jetzt nehmen Rechtsanwalt André Kuhn und Adrian Schuler von der Aargauer Staatsanwaltschaft im Blick Stellung.

Die Schreckenstat hat am 21. Dezember 2015 für internationale Schlagzeilen gesorgt. Nick tötete in Rupperswil eine Frau, deren beide Söhne und die Freundin des älteren Sohnes. Monate später wurde er gefasst. Im März 2018 hatte er vor Gericht eine lebenslange Freiheitsstrafe erhalten und die Verwahrung.

«Will eine Chance auf eine spätere Freilassung erhalten»

Lebenslang heisst in der Schweiz nicht bis zum Tod. Nach 15 Jahren könnte ein Häftling bedingt freikommen. Im Fall von Thomas Nick gilt das aber nicht, wegen der angeordneten Verwahrung. Die Verwahrung gilt, solange ein Täter als gefährlich gilt.

Wenn bei Thomas Nick eine Therapie also anschlägt, könnte er entlassen werden. Eine solche wollte er schon vor sechs Jahren und scheiterte vor Bundesgericht.

Aber Nick hat weiter um eine Therapie gekämpft. Zuerst bei der Aargauer Staatsanwaltschaft und dem Justizvollzug, ohne Erfolg. Eine Therapie sah man bei ihm nicht. Nick blieb nur noch das kantonale Verwaltungsgericht, vor dem er am 17. September 2025 nun einen Teilsieg errungen hat: Er soll nun doch eine Behandlung erhalten.

«Er will wenigstens eine Chance auf eine spätere Freilassung erhalten», erklärt Rechtsanwalt André Kuhn aus Aarau. «Denn er scheint überzeugt, inzwischen therapierbar zu sein.» Dies sei möglich, da Menschen sich im Lauf des Strafvollzugs verändern können, glaubt Kuhn.

Was ist die ordentliche Verwahrung?

Die «ordentliche Verwahrung» ist eine besonders strenge Form des Freiheitsentzugs für Personen, die schwere Verbrechen begangen haben und als weiterhin gefährlich gelten. Sie ist im Strafgesetzbuch geregelt und wird angeordnet, wenn erwartet werden muss, dass der Täter erneut schwere Straftaten begeht – etwa Mord, Vergewaltigung oder schwere Körperverletzung. Ziel ist nicht die Strafe an sich, sondern der Schutz der Öffentlichkeit. Die Verwahrung kann zeitlich unbegrenzt dauern: Eine Entlassung ist nur möglich, wenn Gutachten belegen, dass keine Gefahr mehr besteht. In der Praxis wird die Verwahrung regelmässig überprüft. Anders als bei der «lebenslangen Verwahrung» ist sie theoretisch aufhebbar, falls sich die psychische Verfassung oder das Rückfallrisiko entscheidend bessert. Sie gilt als umstritten, weil sie zwischen Strafvollzug und Sicherungsinternierung steht.

Die «ordentliche Verwahrung» ist eine besonders strenge Form des Freiheitsentzugs für Personen, die schwere Verbrechen begangen haben und als weiterhin gefährlich gelten. Sie ist im Strafgesetzbuch geregelt und wird angeordnet, wenn erwartet werden muss, dass der Täter erneut schwere Straftaten begeht – etwa Mord, Vergewaltigung oder schwere Körperverletzung. Ziel ist nicht die Strafe an sich, sondern der Schutz der Öffentlichkeit. Die Verwahrung kann zeitlich unbegrenzt dauern: Eine Entlassung ist nur möglich, wenn Gutachten belegen, dass keine Gefahr mehr besteht. In der Praxis wird die Verwahrung regelmässig überprüft. Anders als bei der «lebenslangen Verwahrung» ist sie theoretisch aufhebbar, falls sich die psychische Verfassung oder das Rückfallrisiko entscheidend bessert. Sie gilt als umstritten, weil sie zwischen Strafvollzug und Sicherungsinternierung steht.

«Rechtlich korrekt»

Dass das Gericht Nick den Weg zur Therapie-Abklärung öffnet, sei «rechtlich korrekt», sagt Kuhn. «Es hat nicht die Taten sanktioniert, sondern die Frage der Therapierbarkeit und damit der Gefährlichkeit geprüft.» Denn: «Es geht allein darum, ob der Täter nun therapiewillig und -fähig ist. Und dies scheint er möglicherweise nun zu sein.»

Wenn es dann darum geht, dass Nick nach 15 Jahren entlassen werden soll, müssen folgende Punkte erfüllt sein: «Er muss seine Neigung, etwa Pädophilie, therapiert oder unter Kontrolle haben, und es darf keine relevante Rückfallgefahr mehr vorhanden sein», sagt Kuhn.

Heisst: Am Ende entscheidet ein Gutachten, ob er freikommt oder ob weiterhin Massnahmen angeordnet werden. Es könnte sein, dass er weiter in einer geschlossenen Klinik behandelt wird oder schrittweise in einen halboffenen Vollzug kommt – mit begleitender Therapie. Kuhn: «Das Ganze wird aber engmaschig begleitet und streng kontrolliert. Theoretisch könnte es also tatsächlich sein, dass der Mehrfachmörder von Rupperswil in fünf Jahren wieder ein freier Mann ist.»

Fest steht: Auch ein Mehrfachmörder hat in der Schweiz das Recht, nach Verbüssung der Strafe entlassen zu werden. «Der Gutachter trägt bei der kommenden Beurteilung der Therapieerfolge und der Rückfallgefahr eine grosse Verantwortung», sagt Kuhn. Für die Angehörigen der Todesopfer dürfte der Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht leicht zu verstehen sein. «Für den Mehrfachmörder dürfte er ein Erfolg sein. Denn er hat nun die Chance erhalten, irgendwann wieder freizukommen. Und darauf arbeitet er hin.»

«Uns ist bewusst, dass dieser Entscheid bei vielen Menschen Unverständnis auslöst»

Und was sagt die frühere Anklägerin, die Aargauer Staatsanwaltschaft, zum Entscheid des Verwaltungsgerichts? Sprecher Adrian Schuler: «Wir nehmen den Entscheid des Gerichts zur Kenntnis. Es hat nun den Vollzug dazu verpflichtet, dem Täter eine minimale Perspektive auf eine mögliche Resozialisierung zu eröffnen.» Dabei gehe es nicht um eine Entlassung oder Lockerung des Vollzugs, sondern um die Frage, ob überhaupt geprüft werden soll, ob eine Therapie im Grundsatz denkbar ist.

Schuler zeigt Mitgefühl für aufwühlende Reaktionen zum Entscheid: «Uns ist bewusst, dass dieser Entscheid bei vielen Menschen Unverständnis und auch Sorge auslöst. Wir teilen die Einschätzung, dass der Schutz der Bevölkerung in einem solchen Fall oberste Priorität haben muss.» Die Umsetzung dieses Gerichtsentscheids liege nun bei den Vollzugsbehörden, «die die weiteren Schritte sorgfältig und verantwortungsbewusst beurteilen werden».

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen