Darum gehts
- Rupperswil-Morde: Bruder spricht über Familientragödie
- Manuel Freiburghaus nennt Eltern als fünftes und sechstes Opfer
- Mörder Thomas Nick kämpft um eine Therapie
Manuel Freiburghaus (59) nennt sie das fünfte und sechste Opfer von Rupperswil AG: Georges (†81) und Rösly (†77) Freiburghaus. Seine Eltern.
In seiner Erinnerung sieht er die Mutter im Wohnzimmer in Rupperswil, wie sie auf dem Sofa sitzt. «Sie sagte: ‹Ich habe dich so fest gern.› Und ich antwortete: ‹Mami, ich weiss.›»
Rösly, vor der Tat stolz und warm. Danach hilflos, taub. «Ihr Schmerz hielt sie gefangen», sagt Freiburghaus.
Fast zehn Jahre ist es her, seit seine Schwester Carla Schauer (†48) gefesselt und ermordet wurde – zusammen mit ihren Söhnen Davin (†13) und Dion (†19) sowie dessen Freundin Simona (†21). Getötet von Thomas Nick (42).
Blick hat die Erlaubnis erhalten, die Fotos von Carla Schauer und ihren Eltern unverpixelt zu zeigen.
Der Vierfachmord von Rupperswil erschütterte die Schweiz. Und riss das Leben der Hinterbliebenen in den Abgrund. «Es war ein Sechsfachmord», sagt Manuel Freiburghaus. Er hat bislang geschwiegen. «Es geht nicht um mich», erklärt er, «sondern um sie.»
Die Toten: Carla, Dion, Davin, Simona, seine Eltern. Ihnen wolle er die Stimme zurückgeben.
Denn Thomas Nick, der Mörder, will zurück in die Freiheit. Er kämpft hinter Gittern für eine Therapie, die ihm bisher verwehrt wurde.
Nun hat er den ersten Schritt getan. Diesen Herbst gibt das Verwaltungsgericht seiner Beschwerde teilweise recht: Der Kanton Aargau muss prüfen, ob Nick doch therapiert werden soll.
«Als würde man meiner Familie noch einmal wehtun»
Rechtsanwalt André Kuhn erklärte gegenüber Blick: «Es könnte tatsächlich sein, dass der Mörder von Rupperswil in fünf Jahren wieder ein freier Mann ist.»
Für Manuel Freiburghaus ein Schlag ins Gesicht. «Es ist, als würde man meiner Familie noch einmal wehtun», sagt er.
Er zeigt ein Schwarz-Weiss-Foto seiner Schwester. Carla, lange helle Haare, strahlende Augen, Grübchen auf den Wangen, breites Lächeln. «Ich habe sie immer bewundert», sagt Freiburghaus. «Wie sie alles unter einen Hut brachte.»
Ihre zwei Söhne fuhr Carla ins Training und zu Fussballspielen. Vom Vater der Buben lebte sie getrennt. Sie arbeitete, kochte, putzte – hielt alles zusammen.
Die Söhne, seine Neffen, waren begeisterte Sportler. Dion, der ältere, war aufgestellt, zuvorkommend. «Auch wenn er mit Kollegen unterwegs war, lief er zu mir, nur um Hallo zu sagen.»
Die Familie war eng, vertraut. Grosspapa Georges begleitete die Buben zu den Matches am Wochenende. Rösly kochte zu Hause Spinattäschli. Es waren einfache Tage. «Wir haben uns einfach gemocht», sagt Freiburghaus.
«Es sind alle tot!»
21. Dezember 2015, Morgen: Manuel Freiburghaus ist in der Ostschweiz bei seiner damaligen Partnerin. Sein Telefon klingelt. Georges spricht klar und bestimmt: «Komm möglichst schnell nach Hause.»
Warum, fragt er. «Komm einfach.» Dann der verzweifelte Schrei der Mutter im Hintergrund: «Es sind alle tot!»
Auf dem Handy sieht Freiburghaus eine Meldung: Hausbrand in Rupperswil, vier Leichen. Seine Partnerin fährt. Unterwegs ruft er noch mal den Vater an: «Soll ich zu Carla kommen?» Georges antwortet: «Bloss nicht. Sonst wirst du vielleicht verhaftet.»
Es ist eine der vielen Grausamkeiten dieses Tages: dass auch sie, die Angehörigen, kurz als mögliche Täter behandelt werden. Das sei richtig, sagt Freiburghaus heute, die Polizei müsse so arbeiten. Trotzdem ist es ein Stich.
Er kommt in der Wohnung seiner Eltern an, tigert auf und ab, wie ferngesteuert. Seine Eltern kommen nach Hause, in grauen Traineranzügen. Kleider, die man ihnen auf dem Polizeiposten gegeben hat.
«Ich konnte nicht weinen», sagt Freiburghaus. «Ich habe nur noch funktioniert.»
Er legt ein zweites Foto von Carla auf den Tisch. Eilig zurückgebundene Haare, blass, starre Augen. Carla am Tag ihres Todes, als sie für Thomas Nick Geld abheben muss. Die Polizei veröffentlicht später das Bild der Überwachungskamera am Bancomaten. Ihre Kinder, derweil zu Hause, gefesselt. «Sie hat bis zum Schluss für sie gekämpft», erzählt der Bruder.
«Er soll für immer hinter Gittern sein»
Thomas Nick kommt Monate später in Haft. Freiburghaus hat ihn nie gesehen. Bewusst. «Ich wünsche ihm nicht den Tod», sagt er. «Doch er soll für immer hinter Gittern sein.»
Denn Nick kann nicht nur töten. Sondern auch überzeugen. Im Gefängnis bewegte er eine Angestellte zu einem Anruf bei der Staatsanwaltschaft. Die zuständige Staatsanwältin berichtete 2018 vor Gericht: «Sie rief empört an, warum wir eine Verwahrung für ihn empfehlen. Er sei total durch den Wind.» Freiburghaus sagt: «Er versteht genau, wie man Menschen liest, sie gewinnt, manipuliert.»
Um seine Verwahrung in Zukunft aufzuheben, muss er einen Gutachter von sich überzeugen. Freiburghaus macht sich Sorgen: «Er gibt den Musterhäftling. So kommt er voran.» Auch Gutachter Thomas Knecht warnt: In einer Psychotherapie bestünde die Gefahr, dass Nick den Gutachter «um den Finger wickeln könnte».
Carlas Eltern kommen nie über den Tod ihrer Tochter und der Enkel hinweg. «Es ging nur darum, den Tag zu überleben und abends zu schlafen, bis der nächste Horrortag anbricht», erzählt Freiburghaus.
«Sie hatte Panik, wenn er das Haus verliess»
Ihr Schlafzimmer ist tapeziert mit Fotos. Auch lange nach der Tat noch. Carla, Dion, Davin – überall. «Ich schlug einmal vor, sie abzuhängen.» Doch die Mutter protestiert. «Für sie gab es nur noch ihre Tochter und die Enkel», sagt er.
Sein Vater geht nie mehr an einen Fussballmatch. Und auch sonst nur noch selten raus. «Verliess er das Haus, bekam meine Mutter Panik. Dass er nie wiederkommen würde.»
Freiburghaus muss zusehen, wie die Trauer seine Eltern zerfrisst. Hilflos. Ihre Körper machen bald nicht mehr mit. Freiburghaus kümmert sich um sie. Sie brauchen eine 24-Stunden-Betreuung.
Rösly stirbt im März 2022. Georges zwei Wochen später. «Er sagte immer, er wolle, dass sie zuerst gehe. Und nicht allein zurückbleibe.» Der Tod, sagt Freiburghaus, habe seine Eltern erlöst.
Heute liegen alle auf demselben Friedhof: Carla. Dion. Davin. Simona. Rösly und Georges daneben. Die Familie – wieder zusammen. Ausser Manuel Freiburghaus, der noch übrig ist.
«Die einzige Gerechtigkeit», sagt Freiburghaus, «ist, dass Thomas Nick nie wieder freikommt.» Für ihn bedeutet das: keine Therapie im Knast. Keine Perspektive auf Freiheit. Kein Risiko für die Gesellschaft. «Ich wünsche mir, dass die Politik nachdenkt und handelt. Damit das keine Familie mehr erleben muss.»
Der Mörder solle sein Leben in Haft verbringen. Denn durch seine Taten haben sechs Menschen ihres verloren.