Darum gehts
- Jugendliche Täterin nach Tötung in Berikon AG vor Gericht
- Schutzmassnahmen und therapeutische Massnahmen stehen im Vordergrund
- Höchstdauer des Strafvollzugs im Jugendrecht beträgt zwölf Monate
Der Schock sitzt tief: Auch drei Tage nach dem gewaltsamen Tod von Luisa G.* (†15) herrschen in Berikon AG Fassungslosigkeit, Trauer und Bestürzung. Sie soll von ihrer Freundin Annina B.* (14) so schwer mit einem Messer verletzt worden sein, dass sie noch vor Ort verstarb. Viele Fragen sind derzeit offen. Auch, wie es rechtlich für die mutmassliche Täterin weitergeht – die Oberstaatsanwaltschaft hüllt sich in Schweigen, wegen ihres jungen Alters sei Annina B. besonders schutzbedürftig.
Blick hat mit Experten über das weitere Vorgehen gesprochen. «Sollten die behördlichen Abklärungen ergeben, dass die Tatverdächtige tatsächlich den Tod von Luisa G. zu verantworten hat, wird die Jugendanwaltschaft wohl Anklage erheben, worauf dann dereinst eine Gerichtsverhandlung stattfindet», sagt Rechtsanwalt Fabian Füllemann (39) von Fricker Füllemann Rechtsanwälte in Winterthur ZH.
Therapeutische Massnahmen statt Knast
Für die mutmassliche Täterin gilt das Jugendstrafrecht. Dieses unterscheidet sich grundlegend vom Erwachsenenstrafrecht. Während Erwachsene bei vorsätzlicher Tötung mindestens fünf Jahre ins Gefängnis wandern, liegt die Höchstdauer des Strafvollzugs im Jugendrecht bei einem Jahr.
Füllemann erklärt weiter: «Von einer Freiheitsstrafe ist vorliegend eher nicht auszugehen. Solche sind nur für Täter vorgesehen, die bei der Begehung der Tat bereits 15 Jahre alt sind.» Viel eher würden bei der 14-Jährigen Schutzmassnahmen angeordnet. «Je nach Sachverhalt etwa bei einer psychischen Störung.»
Geschlossenes Jugendheim ebenfalls möglich
Rechtsanwalt Fabian Teichmann sagt zu Blick: «Im Vordergrund stehen nicht Strafen, sondern erzieherische oder therapeutische Massnahmen; diese können – unabhängig vom verhängten Freiheitsentzug – erheblich länger dauern.» Aber: «Eine stationäre Massnahme darf längstens bis zum vollendeten 22. Altersjahr aufrechterhalten werden; spätestens dann muss sie aufgehoben oder durch das Erwachsenengericht neu beurteilt werden.» Gibt es bei dieser Beurteilung keine Indizien für eine anhaltende Gefährdung, kann die Massnahme bereits deutlich vor dem zwanzigsten Geburtstag enden, so Teichmann.
Kommt es schliesslich zu einer Verurteilung wegen eines schweren Gewaltdelikts, werden Minderjährige oftmals in geschlossenen Jugendheimen mit hoher Sicherheitsstufe untergebracht – solche gibt es etwa in Aarburg AG, Lory BE oder Uitikon ZH. Falls eine psychiatrische Störung vorliegt, werden Teenager in die geschlossenen Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen.
Wiedereingliederung statt Bestrafung
Dort besuchen sie weiterhin den Unterricht, machen Einzel- sowie Gruppentherapien und werden umfassend pädagogisch betreut. Nach der Entlassung können Jugendliche grundsätzlich wieder eine Regelschule besuchen. Doch wird Annina B. kaum an ihre Schule oder sogar in ihre alte Klasse zurückkehren.
Teichmann erklärt: «In der Praxis erfolgt häufig zunächst der Eintritt in eine Brücken- oder Berufsvorbereitungslösung; der reguläre Wiedereinstieg wird von der Jugendanwaltschaft, der besuchten Schule und pädagogischen Fachstellen gemeinsam abgestimmt.»
Neuanfang durch Namensänderung?
Das Ziel: Rückfälle sollen verhindert und eine stabile persönliche Entwicklung sichergestellt werden. Auch die Familie von Annina B. werde unterstützt, falls sie das wünscht. Neben den kantonalen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) stehen sozialpädagogische Familienbegleitung, Opferhilfestellen sowie Nichtregierungsorganisationen wie Pro Juventute zur Verfügung.
Für Annina B. steht ausserdem ein kompletter Neuanfang im Raum. Solange das Verfahren läuft, sind ihre Personalien zwar geschützt. Nach Abschluss kann sie ihren Namen aber dennoch ändern. Teichmann sagt: «Die Praxis erkennt eine gravierende Jugendstraftat in aller Regel als ausreichenden Grund an, um der betroffenen Person einen unbelasteten Neustart zu ermöglichen.»