Darum gehts
- Ex-Helfer packen aus: Chaos, Überforderung und ignorierte Warnungen.
- Vorwürfe gegen Veterinäramt: Meldungen blieben ohne Folgen.
- Zweifel an Tötungen: Viele Hunde sollen noch gesund gewesen sein.
Ende letzter Woche wurden 120 Hunde auf einem Bauernhof in Ramiswil SO eingeschläfert. Die Zahlen sind erschreckend. Neben der Halterin selbst, Lucia T.*, die die Tiere im Stich liess, steht auch das Veterinäramt im Kreuzfeuer der Kritik: Mussten wirklich so viele Tiere getötet werden?
Nachdem gestern Dienstag eine externe Untersuchung zu den Vorfällen angekündigt wurde, geben die Behörden keine neuen Informationen zum Horror-Hof ab. Blick hat sich dennoch mit mehreren Insidern, Betreuern und Involvierten unterhalten, die ein schreckliches Bild der Zustände vor Ort zeichnen.
Blutige Hundeköpfe, dreckige Ställe
Noch im Februar dieses Jahres ging es den Tieren demnach gut, wie Videos beweisen. Die Bilder, die kurz vor der Räumung geschossen wurden, geben hingegen einen Eindruck der schlimmen Situation: zerbissene Hundeköpfe und Pferde, die knöcheltief in den eigenen Exkrementen stehen.
Gabriel E.* wollte ursprünglich auf dem Hof von Lucia T. helfen. Heute sagt er, er habe dort Zustände erlebt, die ihn fassungslos machten. «Lucia T. war völlig überfordert. Sie hatte immer mehr Tiere: zuerst ein paar Stuten, dann Dutzende. Sie sprach von einem Projekt mit Pferdemilch, wollte ständig neue Rassen holen. Am Ende waren es viel zu viele Tiere – und sie kümmerte sich kaum darum.»
Besonders erschreckend waren die Zustände bei den Hunden: «In der Wohnung selbst lebten rund 30 Tiere, teilweise krank und verwahrlost. Einige hatten blutige Bäuche und kaum Fell.» Er habe die Zustände bereits vor Monaten beim zuständigen Veterinäramt gemeldet. «Ich hatte gehofft, man würde handeln, aber es passierte nichts.»
«Die Tiere vermehrten sich unkontrolliert»
Lucia T. habe ein fragwürdiges Businessmodell verfolgt: «Am liebsten nahm sie unkastrierte Tiere auf, die sich dann unkontrolliert vermehrten. Sie war überzeugt, sie könne mit den Hunden ein Geschäft aufbauen. Aber die meisten Tiere waren schlecht erzogen, niemand wollte sie haben.»
Ähnlich klingt es bei einer weiteren Helferin, die zu Beginn des Jahres rund einen Monat auf dem Hof lebte und arbeitete: Christine M.* kam, um zu helfen: «Ich dachte, es sei ein normaler Stall mit vielen Tieren. Aber dort herrschte pures Chaos. Ich war oft ganz allein mit der Teenager-Tochter von Frau T. Den ganzen Tag. Niemand sonst war da. Ich habe versucht, Ordnung zu schaffen, Wasser zu geben, Futter zu verteilen. Aber es war unmöglich, alles unter Kontrolle zu halten.»
Anfänglich sei alles bewältigbar gewesen. Dies änderte sich aber rasch: «Ich hatte das Gefühl, es wurden ständig mehr Tiere. Welpen kamen zur Welt, Rösser bekamen Fohlen. Sie holte immer neue Tiere. Ich glaube, sie konnte einfach nicht aufhören. Typisch für jemanden, der Tiere hortet – sie meinte es vielleicht gut, aber sie verlor völlig den Überblick.»
«Viele Tiere hätten gerettet werden können»
Die Bilder, die ein weiterer Helfer, Ronni Galli, geschossen hat, sind erschreckend. Blutig gebissene Welpenköpfe und Pferde, die knöcheltief in ihren eigenen Exkrementen stehen, zeichnen ein drastisches Bild über die Zustände auf dem Hof.
Galli erlebte die Räumung zum Teil selbst mit. Er hatte erst am Montag davor begonnen, auf dem Hof mitzuhelfen: «Schon in den ersten Tagen war ich schockiert über die Situation. Am Mittwoch hätte ich den Hof alleine führen sollen, weil die andere Angestellte freihatte.»
Einen Tag danach kam es zur Räumung: «Gegen Mittag hiess es, ich könne gehen. Alles es sei unter Kontrolle. Mir wurde gesagt, es seien rund 40 Welpen beschlagnahmt worden.» Am nächsten Tag um 7.30 Uhr stand er wieder auf dem Hof. Keine zehn Minuten später kam die Polizei mit rund acht Fahrzeugen. Gegen Mittag musste er den Hof verlassen: «Als ich weggeschickt wurde, war noch kein Tier eingefangen. Ob danach auf dem Hof getötet wurde oder die Tiere abtransportiert wurden, kann ich nicht sagen.»
Was er aber sagen kann: «Ich habe gesehen, dass eine grosse Mulde auf den Hof gefahren wurde. Wofür genau, weiss ich nicht. Ich kann nicht bestätigen, dass Hunde darin getötet oder abtransportiert wurden, da ich nicht dabei war.»
Auch Galli meint, dass man viele Hunde hätte retten können: «Die Kangals wirkten auf mich wenige Tage zuvor noch fit. Generell machte der Grossteil der anwesenden Hunde keinen akut lebensbedrohlichen Eindruck.»
Galli selbst rettete einen der Welpen, der sich immer noch bei ihm befindet. Er macht sich Vorwürfe: «Ich war recht frisch da. Hätte ich den Gesamtüberblick gehabt, hätte ich bereits in den Tagen zuvor mehrere Hunde mitgenommen oder extern Hilfe organisiert.»
* Namen geändert