Gute Goal-Xhemaili, böser Doppeladler-Xhaka – Reporterin Qendresa Llugiqi über Kosovo-Doppelmoral
Ich, die «Papierli-Schweizerin»

Schiesst Riola Xhemaili ein Goal, bin ich, Reporterin Qendresa Llugiqi, eine Schweizerin – gut und willkommen. Zeigt Xhaka den Doppeladler, soll ich die Koffer packen – denn ich sei keine «echte Schweizerin». Was es heisst, «Papierli-Schweizerin» genannt zu werden.
Publiziert: 16:05 Uhr
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Aktualisiert: 16:30 Uhr
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Ich, Blick-Reporterin Qendresa Llugiqi, habe Post erhalten.
Foto: Foto: Ringier Medien Schweiz, 08.03.24 Mitarbeiterportrait. Qendresa Llugiqi, Reporterin News, Blick .

Darum gehts

  • Blick-Reporterin Qendresa Llugiqi hat kosovarische Wurzeln und steht im Spannungsfeld zwischen Communitys
  • Die Debatte zu «echten Schweizern» wird emotional geführt
  • Geht es um die Herkunft, werden schnell die Fähigkeiten als Reporterin infrage gestellt
  • Über 100'000 Menschen aus eigener Community beschimpfen Autorin in Facebook-Gruppe
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Qendresa LlugiqiReporterin News

Ich habe Post erhalten. Von einem «echten Schweizer». Gemäss Unterschrift heisst er Paul, gemäss Mail-Adresse aber Peter. Er beschwert sich, weil ich den Beschuldigten vom Balkon-Sturz im Kosovo als Schweizer bezeichne. So, wie ihn die kosovarischen Behörden deklariert haben. Für den Verfasser ist der Beschuldigte ein «Papierli-Schweizer». Und damit meint er auch mich, denn auch ich bin Schweizerin mit kosovarischem Hintergrund.

Wie dem auch sei: Es geht hier nicht um den Verfasser, sondern um die Debatte, die er ankickt. Das zeigt sich auch auf der Blick-Facebookseite. Unter dem Beitrag zum Balkon-Sturz sammeln sich über 1000 Kommentare. Nicht die Tat wird diskutiert, sondern die Herkunft des Täters. Kujtim L.* sei kein echter Schweizer! Dieses Thema begleitet mich schon lange.

Hier ein paar Beispiele: Schiesst Riola Xhemaili (22) ein Tor, ist sie eine Schweizerin, eine gute Schweizerin. Ähnlich, wenn Shqipe Sylejmani (37) eines ihrer tollen Bücher veröffentlicht. Dann sind Menschen aus meiner Community willkommen, es ist schön, dass es uns Schweiz-Kosovaren hier gibt, wir tun der kulturellen Vielfalt der Schweiz gut. Doch zeigen Granit Xhaka (32), Xherdan Shaqiri (33) und Co. den Doppeladler, hagelt es Kritik. Menschen wie wir sollen unsere Koffer packen – aber sofort!

Ratzfatz wird dann getrennt! Aus Schweizern werden plötzlich «Eidgenossen» auf der einen und «Papierli-Schweizer» auf der anderen Seite. Für Riola Xhemaili heisst es deshalb heute um 21 Uhr wieder: Tore schiessen ja, aber bitte nicht anecken.

Distanzierung verlangt

Bei diesem Thema fragen mich meine Schweizer Freunde, Nachbarn und Kollegen aus der Journalisten-Branche oft nach meiner Meinung, was völlig in Ordnung ist. Es kommt aber vor, dass solche Debatten hochemotional werden – weil ich auf bestimmte Art werten soll. Erklären, wie «dumm» die Betroffenen gehandelt haben. Und mich explizit distanzieren.

Auch auf Social Media wird hitzig diskutiert. Meistens halten dann «echte Schweizer» fest: Xhaka, Shaqiri, Xhemaili (und somit auch ich) seien keine «echten Schweizer». Und das nach all unseren Bemühungen, eine Bereicherung für die Schweizer Gesellschaft zu sein.

Wir «Schatzis»

Was viele dieser Menschen nicht wissen: Schweiz-Kosovaren stehen inmitten eines kräftezehrenden Spannungsfelds. Hier ein paar Beispiele: Während ich für die «echten Schweizer» nur die «Papierli-Schweizerin» bin, sehen mich manche Schweiz-Kosovaren längst nicht mehr als integriert, sondern als assimiliert.

Reisen Schweiz-Kosovaren in den Kosovo, sind wir «die Schatzis», eine abwertende Anspielung auf das deutsche Wort Schatz. Entscheidet sich ein Schweiz-Kosovare, nicht für Kosovo zu spielen, ist er: ein Verräter. Das hat auch Riola Xhemaili schon erlebt: Aus dem Geburtsland ihrer Eltern wird sie wegen des Entscheids beleidigt, aus der Schweiz, weil ihr Name nicht schweizerisch genug ist. Erfülle ich meinen Job als Reporterin und schreibe über Gewalttaten, in denen Schweiz-Albaner involviert sind, bin ich in der schweiz-kosovarischen Community nur eines: die Verräterin.

«Kein gutes Hochalbanisch»

Die Folge: In einer Facebook-Gruppe, die aus über 100'000 Schweiz-Albanern besteht, beschimpfen mich etwa die User aufgrund meiner Berichterstattung – bis es ganz ausufert und ich sogar Drohungen erhalte. Ich wehre mich mit Anzeigen.

Ein anderer älterer kosovarischer Journalist – auch aus der Schweiz – greift mich in einer kosovarischen Live-Sendung indirekt an, während ich über einen Strafprozess Auskunft gebe. Seine Meinung: Man soll solche Taten nicht öffentlich diskutieren, man schade nur dem Image der Schweiz-Kosovaren. Das Video erscheint auf Youtube. In den Kommentaren werde ich zerrissen, weil ich kein «gutes Hochalbanisch» spreche.

Dann gibt es die Schweiz-Kosovaren, die meine Familie anrufen: Ganz nach dem patriarchalischen System soll mein Vater mich unter Kontrolle bekommen – sonst «passiert mir noch was». Und mein Vater? Er lacht in solchen Fällen und findet: «Ti ja del, ti e din, qysh te kemi rritur. A je Qendresa?! (Auf Deutsch: Du schaffst das, du weisst, wie wir dich erzogen haben. Du bist doch Qendresa (bedeutet: die Standhafte, die Aufrechte). 

Die Kritik ist persönlicher

Was auffällig ist: Wenn es um meine Herkunft geht, werden auch schnell meine Fähigkeiten als Reporterin infrage gestellt. Schnell heisst es: Kann die das überhaupt?! Ich erhalte Mails wegen kleiner Rechtschreibfehler. Meine Kollegen mit unauffälligem Namen erhalten solche Nachrichten nicht.

Was mir ein Journalist auch schon gesagt hat: «Du bist talentiert! Aber mit dem Namen wird das nichts.» In diesem Vorurteil, treffen sich die Communitys, denn auch manche Schweiz-Albaner finden: «Hättest du einen Schweizer Namen, wärst du beruflich sicher schon viel weiter.»

Story nach Story

Und was tue ich? Schreibe Zeile für Zeile, Story nach Story und beweise mich. Immer wieder. Zum Glück gibt es auch Menschen, die meine Texte lieben, meine Arbeit schätzen – und mir das auch so schreiben und zeigen. Und Hand aufs Herz: Bisher habe ich meine kosovarische Herkunft als Bereicherung erlebt – vor allem als Reporterin. Mit Schweiz-Kosovaren komme ich eher ins Gespräch, lernen sie mich erstmal persönlich kennen, vertrauen sie mir. Mit Schweizern teile ich viele Werte und ja: Ich spreche definitiv besser Deutsch als Albanisch. Miteinander auskommen? Tue ich mit allen!

Oder ich diskutiere auf Facebook mit Einwohnern und einem lokalen Politiker darüber, wie wir unseren wunderschönen und historisch bedeutenden Heimatort Rheinfelden noch attraktiver gestalten könnten. Die Stadt, die mich überprüft und als schweizerisch empfunden hat – abgestützt auf den eidgenössisch-demokratischen Prozess in der Schweiz.

* Name geändert 

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