Darum gehts
- Internationale Kindesentführungen nehmen zu. Schweizer Behörden kämpfen mit Verzögerungen
- Haager Übereinkommen soll Kinder schützen, wird aber oft nicht eingehalten
- 154 Fälle von internationalen Kindesentführungen im vergangenen Jahr in der Schweiz
Die Zahl macht Angst: Jeden zweiten Tag wird ein Kind entführt, entweder aus der Schweiz hinaus oder ins Land herein. Das Bundesamt für Justiz hat für das Jahr 2024 insgesamt 154 Fälle von Kindesentführungen registriert. Davon 90 Fälle, in denen das Kind aus der Schweiz gebracht wurde. Das berichtet die «NZZ».
Besonders schlimm: Der Vater oder die Mutter, die in der Schweiz zurückbleibt, muss gegen Windmühlen kämpfen, um das Kind wieder nach Hause zu holen. Es kostet Zeit und Kraft. Und der Ausgang ist ungewiss. Obwohl es ein internationales Abkommen gibt, das 1980 in Den Haag unterzeichnet wurde. Mit dem Ziel einer schnellen Rückführung der entführten Kinder. Im Idealfall innert sechs Wochen. Nur ist die Umsetzung alles andere als leicht.
Jede Entführung ist für sich ein spezieller Fall. Aber es gibt gewisse Ähnlichkeiten. Oft passiert es bei Eltern, die aus verschiedenen Ländern kommen. Kommt es zum Bruch, nimmt der Elternteil das Kind mit in seine Heimat. Und das ist in der Regel die Mutter. In 75 Prozent der Fälle, wie die «NZZ» weiter schreibt.
Immer wieder sorgen solche Entführungen auch für Schlagzeilen.
Noa zu Reichsbürger entführt
Die Schweizerin Sofia G.* entführte ihren Sohn Noa* (damals 5) am 13. Oktober 2021 während der Herbstferien. Eigentlich hätte der Bub aus Hofstetten SO zum Vater gebracht werden sollen. Er hat das alleinige Sorgerecht. Stattdessen flüchtete Sofia G. mit dem Kleinen. Ihr Ziel: Reichsbürger-Guru Maximilian Eder. Der Deutsche war führendes Mitglied der mutmasslich terroristischen Vereinigung Patriotische Union, die im Jahr 2021 gegründet wurde und anscheinend vorhatte, mit Waffengewalt einen Putsch in Deutschland anzuzetteln. Eder soll versucht haben, dafür Waffen zu besorgen.
Gemeinsam wohnten sie in einem Haus im bayrischen Eppenschlag, nahe der Grenze zu Tschechien, wo Eder seit seiner Pensionierung lebte.
G. wurde im Jahr 2024 der Prozess gemacht. Sie kassierte für die Entführung eine bedingte Freiheitsstrafe von 17 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie eine Geldstrafe von 85 Tagessätzen zu 30 Franken. Vom Landesverweis sah die Richterin ab.
Mutter holt Tochter aus Brasilien zurück
Der Ex von Roxane C.** aus Bulle FR entführte im Jahr 2023 die gemeinsame Tochter Lea* (1) aus der Schweiz nach Brasilien. Der Waadtländer wollte angeblich mit seinen beiden Kindern eine Woche Ferien in Spanien machen.
Dann haute er nach Brasilien ab und fühlte sich sicher. Kein Wunder: Die Behörden waren Roxane C. keine grosse Hilfe. Darum nahm sie die Sache selber in die Hand und flog nach Brasilien. Sie setzte Himmel und Hölle in Bewegung und nahm sogar an einer lokalen Fernsehsendung teil, obwohl sie kein Wort Portugiesisch spricht. Am 12. September findet die Frau schliesslich die kleine Lea und ihre Halbschwester Vanessa** (9) in Florianopolis. Vanessa, die eine andere Mutter hat als Lea, wurde von Lorenzo N.** (30), Vater beider Mädchen, ebenfalls entführt.
Mit Tochter 11 Jahre auf der Flucht
Priscilla M.** war 2011 mit der damals fünfjährigen Tochter Camille** aus ihrer Heimat Frankreich geflohen. Wegen eines Rechtsstreits mit ihrem Ex-Mann. Die Franzosen stellten einen internationalen Haftbefehl aus. Mehr als ein Jahrzehnt gab es von der Mutter und der Tochter keine Spur. Dann schnappte Interpol zu.
Am 22. Februar 2022 ging Priscilla M. in die Falle – zufällig, bei einer Verkehrskontrolle in der Waadt. Priscilla M. sass zusammen mit ihrer damals 16 Jahre alten Tochter im Auto. Die Französin wurde schliesslich an ihre Heimat ausgeliefert, wo ihr der Prozess gemacht wurde. Urteil: zwei Jahre und neun Monate Knast. Priscilla M. kam allerdings früher raus, schon im Dezember 2023 wurde sie aus dem Gefängnis entlassen. Reue zeigte sie nicht. Als sie nach ihrer Entlassung vom französischen Fernsehsender BFMTV befragt wurde, sagte sie, dass sie «stolz darauf» sei, mit ihrer Tochter gegangen zu sein, und dass dies «die schönste Sache» sei, die sie in ihrem Leben getan habe.
* Namen geändert
** Namen bekannt