Blauer Farbspray haftet tagelang an Haut und Kleidung
Selbstverteidigung mit «Schlumpf-Spray» – auch in der Schweiz erlaubt?

Nach der Tötung einer Schülerin in den Niederlanden boomt dort ein Mittel zur Selbstverteidigung. «Schlumpf-Spray» nimmt Angreifern kurz die Sicht und färbt ihre Haut und Kleidung tagelang blau. Ein Experte erklärt, ob der Spray auch in der Schweiz erlaubt ist.
Publiziert: 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 16:23 Uhr
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In den Niederlanden wurde Mitte August eine 17-jährige Schülerin auf ihrem Heimweg verfolgt und erstochen.
Foto: DUKAS

Darum gehts

  • Schlumpf-Spray zur Selbstverteidigung boomt in den Niederlanden nach Tötungsfall
  • Rechtliche Lage in der Schweiz komplex, Notwehr-Bewertung entscheidend
  • Vier Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen für eine strafbare Tat erfüllt sein
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandra MarschnerRedaktorin News-Desk

Vor rund zwei Wochen machte ein Fall aus den Niederlanden Schlagzeilen. Eine 17 Jahre alte Schülerin wurde auf dem nächtlichen Heimweg verfolgt und erstochen. Der mutmassliche Täter: ein 22-jähriger Mann, der wegen sexueller Angriffe auf zwei Frauen wenige Tage zuvor gesucht worden war. Die Verunsicherung nach der Tat war gross und sorgte dafür, dass die Nachfrage nach dem Selbstverteidigungsmittel «Schlumpf-Spray» stark stieg. 

Der Spray enthält blaue, reizstofffreie Lebensmittelfarbe, die beim Versprühen aufschäumt und den Angreifern kurzzeitig die Sehfähigkeit einschränkt. Die versprühte blaue Farbe haftet dabei noch tagelang an Haut und Kleidung. Dahinter steckt die Idee, Täter zu markieren – sichtbar zu machen, während das Opfer durch die eingeschränkte Sicht des Angreifers flüchten kann.

Gilt in der Schweiz nicht als Waffe

Der Spray, der auch als «Criminal Identifier» bezeichnet wird, boomt in den Niederlanden besonders, da Pfefferspray dort verboten ist. Doch wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Im Online-Angebot verschiedener Schweizer Waffenläden finden sich ebenfalls Color-Gel-Sprays, die zur Identifikation von Tätern beworben werden.

Blick hat mit dem Strafrechts-Fachanwalt André Kuhn von der Kanzlei Penalisti gesprochen. Bezüglich Erwerb des «Schlumpf-Sprays» in der Schweiz sagt Kuhn: «Pfeffersprays und in diesem Fall wahrscheinlich auch die ‹Schlumpf-Sprays› wirken nur kurzzeitig. Das heisst, sie schädigen die Gesundheit von Menschen nicht auf Dauer und gelten nach dem Waffengesetz daher nicht als Waffen.» 

Rechtliche Lage ist komplex

Komplexer gestaltet sich die rechtliche Situation beim Einsatz solcher Sprays. Zentral seien dabei die vier Voraussetzungen der Strafbarkeit, erklärt der Experte. Diese müssten alle erfüllt sein, damit eine Tat strafbar sei:

  1. objektiver Tatbestand: Begehen eines als verboten beschriebenen Verhaltens (zum Beispiel zu schnelles Autofahren oder die Wegnahme einer fremden Sache bei Diebstahl)
  2. subjektiver Tatbestand: erfüllt, wenn absichtlich (mit Vorsatz) oder mit zu wenig Sorgfalt (Fahrlässigkeit) gehandelt wird
  3. Es fehlt ein juristischer Rechtfertigungsgrund für die Tat.
  4. Es besteht kein Schuldausschlussgrund (zum Beispiel die Schuldunfähigkeit bei einer psychischen Erkrankung).

Beim Einsatz des «Schlumpf-Sprays» könnten die ersten beiden Voraussetzungen erfüllt sein, betont der Experte. Denn der Einsatz des Sprays könne je nach Intensität und Einwirkung auf den Besprühten als Tätlichkeit oder Körperverletzung gewertet werden. Zudem erfolge der Einsatz mit Absicht. 

Notwehr muss bewertet werden

Zentral sei hier jedoch die 3. Voraussetzung, denn bei der Selbstverteidigung mit «Schlumpf-Spray» sei die Bewertung der Notwehr entscheidend. Denn Notwehr sei grundsätzlich erlaubt, dürfe aber nicht übermässig sein: «Wenn ich direkt angegriffen werde, mich wehren muss und das Sprayen zur Abwehr nötig ist, mache ich mich beim Einsatz eines solchen Sprays nicht strafbar», verdeutlicht Kuhn. 

Wichtig sei jedoch, die Notwehr, sollte es zu einem Strafverfahren kommen, plausibel darzulegen. Denn vor Gericht komme es dann zu einer Einzelfallbeurteilung: «Die Intensität des Angriffs und der Notwehr wird beurteilt, die konkrete Situation angeschaut.» Dabei werde geprüft, ob es sofort verfügbare, mildere Möglichkeiten der Notwehr gegeben hätte (zum Beispiel einfach wegzulaufen). Beurteilt werde auch, dass die angegriffene Person schnell entscheiden musste, wie sie sich wehrt. Auch die Auswirkungen des Sprays auf die angesprühte Person würden beleuchtet. 

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