Darum gehts
- Tödlicher Polizeieinsatz in Morges: Neue Analyse widerspricht Selbstverteidigungsthese der Polizei
- Videoanalyse zeigt: Roger Wilhelm war auf der Flucht, nicht im Angriff
- 84 Todesfälle bei Polizeiinteraktionen in der Schweiz seit 1992 erfasst
Roger «Nzoy» Wilhelm (†37) war 2021 in Morges VD durch Schüsse der Polizei ums Leben gekommen. Der Fall bewegte damals die Schweiz. Sogar die Uno ging seinem Fall nach. Laut einem neuen Bericht hatte der damals 37-Jährige die Ordnungskräfte nicht angegriffen. Er soll vielmehr auf der Flucht gewesen sein. Dies widerspricht der These der Selbstverteidigung der Polizisten.
Laut einer Videoanalyse in Kombination mit 3D-Rekonstruktionen waren die Hände des flüchtenden Mannes offen, kurz bevor die ersten beiden Schüsse auf ihn abgegeben wurden. «Es war daher höchst unwahrscheinlich, dass er zu diesem Zeitpunkt ein Messer in der Hand hielt.»
So lautet die zentrale Erkenntnis der Forschungs- und Ermittlungsagentur Border Forensics, deren Bericht am Montag in Lausanne der Presse vorgestellt wurde.
Analyse deutet auf Flucht hin
Die Gegenuntersuchung ist das Ergebnis einer zweijährigen Zusammenarbeit mit der unabhängigen Kommission zum Tod des verstorbenen Mannes. Sie sollte «eine detaillierte Analyse der Ereignisse» erstellen, die zum Tod des Zürchers südafrikanischer Herkunft führten.
Eine räumliche 2D-Analyse ermöglichte es zudem, jeden Schritt von ihm und dem Polizisten, der in den entscheidenden Momenten auf ihn schoss, zu rekonstruieren: «Die Analyse der Geometrie der Szene zeigt, dass es sich eher um eine Flucht als um einen Angriff handelte», fügte Nico Alexandroff von Border Forensics hinzu.
«Ein farbiger Mann am Boden»
Die Autoren des Berichts untersuchten auch die strukturelle Dynamik, das heisst die Frage der Rasse bei diesem Vorfall. Obwohl die Polizei sagt, dass die Hautfarbe des Mannes keine Rolle spielte, war die erste Meldung der Polizei an die Zentrale: «Ein farbiger Mann am Boden», so die Autoren.
In diesem Zusammenhang hat Border Forensics eine neue Datenbank mit 84 Fällen aus dem Zeitraum von 1992 bis heute erstellt, in der Personen erfasst werden, die in der Schweiz infolge einer Interaktion mit der Polizei starben.
Aus dem Bericht geht hervor, dass «Personen, vor allem Männer, die aufgrund ihrer Rassifizierung, ihres sozio-rechtlichen Status, ihrer Psychopathologie und ihres Drogenkonsums als ‹andere› wahrgenommen werden, in der Schweiz unverhältnismässig häufig tödlichen Polizeipraktiken ausgesetzt sind». Der Kanton Waadt sei in dieser Hinsicht «der tödlichste Kanton der Schweiz».
Schüsse führten zum Tod
Der Fall von Morges wurde Ende November 2024 zunächst eingestellt. Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass der Polizist, der den tödlichen Schuss abgab, in Notwehr handelte. Das Waadtländer Kantonsgericht hat im Mai 2025 jedoch entschieden, den Fall neu aufzurollen.
Zum tödlichen Vorfall war es 2021 am Bahnhof des Waadtländer Städtchens gekommen. Ein Polizist gab drei Schüsse auf den angeblich mit einem Messer bewaffneten Mann ab, weil er sich durch diesen bedroht gefühlt hatte. Eine Autopsie ergab, dass einer der Schüsse zu starken Blutungen führte, die tödlich waren.
Die Polizeikräfte im Kanton Waadt stehen seit Jahren in der Kritik wegen ähnlicher Vorfälle. Zwischen 2016 und 2025 starben mindestens fünf dunkelhäutige Männer bei Polizeieinsätzen im Kanton. Das löste mehrere Kundgebungen aus, bei denen Polizeigewalt und Rassismus angeprangert wurden.