Darum gehts
- Mobbing an Schweizer Schulen ist Alltag. Experten und Betroffene berichten
- Schulen oft überfordert, pädagogische Hochschulen behandeln Thema kaum
- Laut Pisa-Studie ist jeder fünfte Schüler von Mobbing betroffen
Tatort Schule: Das Thema Mobbing lässt die Schweiz nicht los. Im Oktober sorgte ein Fall aus Dottikon AG für Aufsehen, nachdem ein Schüler einen Kollegen im Bus brutal verprügelt hatte. Und diese Woche gingen Eltern aus Kölliken AG an die Öffentlichkeit. Die Eltern von Schulkindern fühlen sich hier im Stich gelassen.
Mobbing ist an Schweizer Schulen trauriger Alltag. Wer von Einzelfällen ausgeht, irrt: «Gemäss der aktuellsten Pisa-Studie ist jeder fünfte Schüler von Mobbing in der Schule betroffen», sagt Bettina Dénervaud (49), Expertin bei der Fachstelle Hilfe bei Mobbing, zu Blick.
Doch warum ausgerechnet in der Schule? «Junge Menschen verbringen hier die meiste Zeit», so Dénervaud. «Das Mobbing kann sich jedoch so entwickeln, dass es weitere Kreise zieht – und sich auf die Freizeitaktivitäten und auch online erweitern kann.»
Was die Fachstelle immer wieder erlebt: «Statt zu klären, giessen viele Schulen – meist unbewusst – weiter Benzin ins Feuer», so Dénervaud. Der Grund: «Sie wissen es nicht besser. Auf das Thema Mobbing wird während der vier Jahre an der pädagogischen Hochschule noch heute kaum eingegangen!»
Auch bei den beiden Influencern Jesina Amweg (24) und Fabian Egger (27) war die Schule total mit der Situation überfordert. Mit Blick haben sie über ihre Erfahrungen gesprochen.
Jesina Amweg wurde ab der zweiten Klasse in der Schule gemobbt. Was zunächst mit Sticheleien begann, artete rasch aus. Die Treiberin: die beste Freundin. «Eigentlich waren wir eine Gruppe aus befreundeten Mädchen. Sie brachte schliesslich alle gegen mich auf.» Das Mobbing zog immer weitere Kreise – auch andere Kinder wurden davon abgehalten, sich mit ihr abzugeben. Während ihrer gesamten Schulzeit in Bremgarten bei Bern BE ging Amweg durch die Hölle: «Ich wurde bespuckt, geschubst – und mir wurde jeden Tag der Tod gewünscht.»
Durch das Mobbing verschlechterten sich Amwegs Noten. «Plötzlich machten auch Lehrer mit! Sie posaunten etwa vor der ganzen Klasse meine schlechten Noten heraus.» Die Lehrer vermittelten ihr: «Aus dir wird nichts!» Einer meinte einmal gar: «Ich kann nichts dafür, dass sie dich hassen, aber ich versteh es!»
Heute vermutet Amweg Eifersucht als Auslöser. «Ich bin eine extrovertierte, lebensfrohe Person. Ich erzählte schon früh allen von meinem Wunsch, Schauspielerin zu werden. Ausserdem ermöglichten unsere Eltern meinen Geschwistern und mir viele Reisen und Erfahrungen. Das war einigen wohl ein Dorn im Auge.»
Die Schule war informiert – konnte oder wollte aber nicht helfen. Was Amweg Halt gab: «Meine Familie stand mir bei, ich sprach viel mit meinen Eltern. Ausserdem hatte ich Freunde ausserhalb der Schule – etwa beim Schauspielunterricht. Richtig geholfen hat aber nur der Austritt aus der Schule.»
Ihre Geschichte teilte Amweg Anfang Juni auf Tiktok – das Video ging viral. Viele Betroffene meldeten sich. Sie sagt: «Ich hoffe, ich konnte anderen Mut und Kraft zusprechen.»
Bei Fabian Egger begann das Mobbing ab der vierten Klasse im Zürcher Kreis 10 (Höngg). Die Treiber: männliche Schulfreunde. «Eigentlich begann es aber mit einem einzigen Jungen, mit dem ich davor gut befreundet war und viel unternommen hatte.»
Von einem auf den anderen Tag wurde Egger plötzlich ignoriert oder ausgeschlossen. «Es wirkte alles sehr geplant», erinnert er sich. «Näherte ich mich ihnen, schauten sie mich verachtungsvoll an.» Dann sei er auch immer wieder abgepasst worden, oder man habe ihm ein Bein gestellt. «Sie versuchten stets, mich einzuschüchtern.»
Vieles hat Egger inzwischen verdrängt. «Ich weiss nur noch, wie ich das Gefühl hatte, dass mir alles aus den Händen gleitet, und dass ich die Schuld bei mir suchte.»
Was ihm jedoch rasch klar wurde: «Sie handelten aus Eifersucht. Sie sahen mich als Bedrohung.» Denn Egger war ein guter Schüler – und sorgte bereits damals als Mini-Entertainer für Lacher.
Was Egger half: «Ich biss in der Schule durch – und suchte Freunde ausserhalb, etwa beim Leichtathletik-Verein. Auch waren meine Eltern eine enorme Stütze.» Auch in seinem Fall versuchte die Schule zu handeln – hatte jedoch keinen Erfolg.
«Erst als ich eine Freundin hatte, die sonst beliebt in der Schule war, war ich plötzlich wieder der coole Fabian», so der Influencer. Das Mobbing löste sich erst ganz auf, als der Zürcher ans Gymi wechselte.
Auch er hat auf Social Media ein Video über sein Erlebtes veröffentlicht. «Mehr aber, um es selbst zu verarbeiten.»
Dass Amweg und Egger mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gingen, findet Expertin Dénervaud extrem mutig: «Noch heute ist Mobbing sehr schambehaftet. Viele Opfer suchen die Schuld bei sich. Solche Statements können Betroffenen helfen – auch damit sie ihr Schweigen brechen und sich Hilfe holen!»