«Von ihm als CEO hätte ich etwas anderes erwartet»
Jetzt spricht der Mann, der von FDP-Michel beleidigt wurde

FDP-Nationalrat Simon Michel wurde wegen Ehrverletzung angezeigt. Der Ypsomed-Chef griff auf Linkedin einen Wirtschaftsprüfer an. Für den Betroffenen ist es unverständlich, dass dies unter die parlamentarische Immunität fallen soll.
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Ein Wirtschaftsprüfer zeigte FDP-Nationalrat Simon Michel wegen Ehrverletzung an.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • FDP-Nationalrat Simon Michel beleidigt Wirtschaftsprüfer auf Linkedin als bezahlten Troll
  • Michel entschuldigt sich nicht direkt, Kommission sieht rauen Ton als normal
  • 35-jähriger Familienvater zeigt Michel wegen Ehrverletzung bei Staatsanwaltschaft Solothurn an
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Simon Michel (48) hat eine Anzeige wegen Ehrverletzung am Hals. Mittlerweile ist auch klar, weshalb: Der Solothurner FDP-Nationalrat und Chef des Medizinaltechnikunternehmens Ypsomed beleidigte einen Wirtschaftsprüfer auf Linkedin mehrmals als «bezahlten Troll».

Noch hat Michel wenig zu befürchten: Die zuständige Kommission des Nationalrats beschloss diese Woche, dass Michels Immunität nicht aufgehoben werden soll. Für den Betroffenen unverständlich. Blick hat mit ihm gesprochen.

Unangemeldete Angriffe

Alles begann harmlos: Ende August diskutierte Fabian R.* unter einem Linkedin-Beitrag über die EU-Verträge. Der 35-jährige Familienvater ist gegenüber dem Paket kritisch eingestellt. «Ich bin aber immer respektvoll mit allen und versuche, faktenbasiert zu schreiben», sagt R. Das belegt auch der Kommentarverlauf, der Blick vorliegt.

Für den glühenden EU-Befürworter Michel scheint das egal. Plötzlich grätscht der Nationalrat unangemeldet dazwischen. Er bezeichnet R. einsilbig als «#Troll». «Ich konnte nicht nachvollziehen, weshalb er das macht.»

Dabei bleibt es nicht. Wenige Tage später schiesst der Ypsomed-Chef erneut gegen R., nachdem dieser unter einem Beitrag von Michel kommentiert hat: «Wir wissen mittlerweile, dass Sie ein bezahlter ‹Troll› der Partners Group sind.» Die Gründer des Schweizer Investmentunternehmens kämpfen unter anderem mit der Kompass-Initiative laut gegen die bilateralen Verträge.

Was hat die Partners Group damit zu tun?

Den Vorwurf, dass R. in der Tasche der Zuger Milliardäre stecke, wiederholt Michel danach auch noch unter einem Beitrag eines Journalisten. Doch was hat Fabian R. mit der Partners Group zu tun? «Gar nichts!», sagt er. «Mich einen Troll zu nennen, kann ja noch knapp unter Meinungsfreiheit gehen, aber mir vorzuwerfen, ich sei bezahlt, geht einfach nicht.»

Besonders als Wirtschaftsprüfer müsse er unabhängig bleiben. «Herr Michel soll bewusst sein, dass solche Behauptungen anderen Menschen schaden.» Er sei danach auch von anderen Personen auf Linkedin und X mit derselben Wortwahl abgekanzelt worden.

Damit war das Fass voll: R. zeigte den Nationalrat bei der Staatsanwaltschaft Solothurn an. Kurz darauf landet der Streit im Parlament – und damit auch der Name von R. Vor dem Entscheid der Immunitätskommission sei er gar von einem Parlamentsmitglied, das nicht in der Kommission ist, direkt kontaktiert worden. «Mir war nicht bewusst, dass dort dann alle wissen, wer ich bin», sagt R.

Immunität fällt äusserst selten

Von den Nationalräten ist R. nun genauso enttäuscht. Die eidgenössischen Parlamentsmitglieder geniessen nämlich nur Immunität für Äusserungen im Rat sowie für strafbare Handlungen, die unmittelbar mit der amtlichen Tätigkeit und Stellung zusammenhängen. «Ich verstehe nicht, wie sie Herrn Michels Verhalten in diesen Zusammenhang stellen können», so R.

Sowieso: Ob üble Nachrede, heikle Parteikampagnen oder Handgemenge im Bundeshaus – die Kommissionen greifen bei fragwürdigen Aktionen von Parlamentariern äusserst selten durch. In den letzten sieben Jahren fiel die Immunität genau einmal – und zwar dieses Jahr: Der Aargauer SVP-Provokateur Andreas Glarner (63) verlor seinen Schutz, nachdem er im Wahlkampf 2023 ein KI-Video der Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (45, BS) veröffentlicht hatte.

Für R. gibt es immerhin einen kleinen Trost: Wie die nationalrätliche Kommission nach dem Entscheid zu Michel mitteilte, habe der FDP-Mann eingeräumt, sich unglücklich und unangebracht geäussert zu haben. Er bedauere, nicht die erforderlichen Überprüfungen vorgenommen zu haben, um eindeutig zu klären, ob es sich um ein bezahltes Profil handle.

Michels Verhalten sei auch sonst fragwürdig

Dennoch hielt die Kommission fest: Der Ton der Diskussionen in den sozialen Medien sei halt im Allgemeinen rauer als in anderen Kontexten. «Ich kann nachvollziehen, dass die Leute auf den sozialen Medien vielleicht nicht so respektvoll auftreten», sagt R. «Es handelt sich hier aber um Linkedin und nicht etwa um X oder Facebook!» Zumal sein Fall keineswegs der einzige Ausrutscher Michels sei: «Auch bei Herrn Schneider-Ammann zeigte er bereits, dass er nicht anders kann.»

Im Falle Johann Schneider-Ammanns (73) entschuldigte sich Michel anschliessend öffentlich für die Entgleisung. Nachdem der Alt-Bundesrat in der «NZZ» einen Gastbeitrag zu den EU-Verträgen geschrieben hatte, unterstellte Michel ihm, er könne dies gar nicht mehr selbst geschrieben haben.

Bei R. habe sich Simon Michel jedoch nie direkt entschuldigt. «Von ihm als CEO hätte ich etwas anderes erwartet», so der Betroffene.

* Name geändert 

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