Darum gehts
- Tamara Funiciello jubelt beim Schweizer Sieg gegen Island
- 13 EM-Spiele will die SP-Nationalrätin besuchen, Ticket-Kauf minutiös organisiert
- Funiciello spricht über Feminismus und queere Kultur im Frauenfussball
Jubeln, das kann sie! Tamara Funiciello (35) stellt gleich zu Beginn des Spiels klar: Sie sei ein lauter Fan. Sonntagabend im Berner Wankdorfstadion, ausverkauftes Haus, die Stimmung grossartig. «Jetzt liegt das Tor in der Luft», sagt Funiciello in der 69. Minute. Sieben Minuten später ist es so weit: Géraldine Reuteler (26) schiesst das 1:0 für die Schweizer Nati gegen Island. Funiciello springt auf, reisst die Arme in die Luft, ist kaum mehr zu halten.
Die Berner SP-Nationalrätin ist wohl der grösste Frauenfussball-Fan in der Schweizer Politik. 13 EM-Matches will sie besuchen – den Ticketkauf hat sie mit Freundinnen minutiös in einem Google Doc organisiert. Blick hat sie an der EM begleitet.
Cup-Spiel mit Ruth Metzler
Funiciello kommt nicht im roten Trikot, sondern in einem schwarzen Shirt, das die SP-Frauen des Kantons Bern extra für die Europameisterschaft designt haben. Sowieso scheint dieser Sonntagabend fast wie ein Parteianlass der SP. Diverse SP-Frauen sind mit dabei, auch Nationalrätin Nadine Masshardt (40) sitzt auf der Tribüne.
«Allez Tamara», ruft ein Fan, als Funiciello die Treppen zu ihrem Platz hochsteigt. Und in der Pause wird sie ab und zu nach einem Foto gefragt – Funiciello ist bekannt in Bern.
Nach dem Anpfiff ist es nicht mehr ganz einfach, mit ihr zu sprechen. «Alt Bundesrätin Ruth Metzler hat mich kürzlich zum Cupfinal eingeladen», berichtet sie der Journalistin entschuldigend. «Da hatte ich dann auch keine Zeit zum Reden, ich musste ‹fänen›.»
Fussballerinnen als Vorbilder
Die EM in der Schweiz bedeutet Funiciello viel. «Dass man heute volle Stadien hat für Frauen, die Fussball spielen, ist einfach genial», erzählt sie später. «Früher war Fussball für Frauen verboten. Diese EM ist Teil einer Emanzipationsgeschichte.»
Die Leidenschaft für Frauenfussball kommt auch von Funiciellos eigener Karriere als Sportlerin. Sie spielte Landhockey, als Goalie. Wegen ihrer Körpergrösse (152 Zentimeter) wurde ihr klargemacht, dass sie dafür kaum geeignet sei. Aber Funiciello wollte sich nichts sagen lassen – und schaffte es schliesslich bis ins Nationalteam.
Im Hockey habe sie erfahren, wie Frauen im Sport benachteiligt werden. Und vor allem, wie Homosexualität tabuisiert wird. «Niemand hat darüber gesprochen», sagt Funiciello. «Spielerinnen wurden wegen ihrer Sexualität diskriminiert. Ich lernte, dass Lesbischsein etwas Schlechtes ist.» Im Fussball seien queere Frauen hingegen sichtbar. «Der Frauenfussball war wichtig für mein eigenes Coming-out.» Spielerinnen wie die US-Amerikanerin Megan Rapinoe (40), die sich für Rechte von Minderheiten einsetzt, seien ihre Vorbilder gewesen.
«Das feiere ich ab»
Der Match ist zu Ende, 2:0 für die Schweiz. «Das war grossartig», sagt Funiciello. Die Chancen, dass sie noch eine Weile für die Schweiz mitfiebern kann, sind gestiegen.
Draussen ist es schon dunkel. Funiciello sitzt auf einer Treppenstufe vor dem Stadion und spricht über die Gemeinsamkeiten von Politik und Fussball («Beides ist Teamarbeit») – und wieso Frauenfussball feministisch ist.
«Frauenfussball kann nicht anders als politisch sein», sagt sie. «Spielerinnen sind konfrontiert mit Ungleichbehandlung, Abwertung und sogar sexualisierter Gewalt.» Sie hätten sich dafür einsetzen müssen, dass sie überhaupt spielen könnten. «Das ist der Unterschied zu Männerfussball – Frauen mussten kämpfen. Das feiere ich ab.»
«Ich habe an mir gezweifelt»
Dann wird sie im Gespräch kurz nachdenklicher. Anfang Jahr katapultierte sich Funiciello mit einer Aussage zur EM in die Schlagzeilen. Die fiel im regelmässig stattfindenden «Feministischen Sessionsrückblick». «Ich mache einen Monat nichts anderes, als Lesben beim Fussballspielen zuzuschauen», sagte sie.
Funiciellos Gesprächspartnerin und SP-Nationalratskollegin Anna Rosenwasser (35) meinte, sie interessiere sich «vor allem für Lesben, die Sport machen». Nationalspielerin Meriame Terchoun (29) kritisierte die Aussagen öffentlich – Funiciello entschuldigte sich daraufhin. «Ich habe mich hinterfragt, mich reflektiert, gelernt und mich entschuldigt», sagt Funiciello heute. Frauenfussball sei Teil der queeren Kultur, und diesen Teil des Sports habe sie feiern wollen; tatsächlich stehen weltweit auffällig viele Fussballerinnen zu ihrer Homosexualität. Auch das sei Teil eines emanzipatorischen Kampfs, und das habe sie würdigen wollen. «Ich habe mich dabei im Ton vergriffen, dazu stehe ich.»
Neben Kritik habe sie auch Zuspruch erhalten – darunter von Fussballspielerinnen. Das habe ihr geholfen, und deshalb jubelt Funiciello am heutigen Donnerstag beim Spiel mit. «Diese Spielerinnen sind fantastisch, und sie gehören für ihre Leistungen gefeiert.»