Trauerspiel um Militärdeal
Türkei lässt Schweiz hängen – Junge zahlen den Preis

Seit einer halben Ewigkeit wartet die Schweiz auf einen Militär-Deal mit der Türkei. Doch Ankara trödelt – und wehrpflichtige Doppelbürger zahlen den Preis: mit Bussen, Freikauf oder Pass-Verzicht. Das Trauerspiel in zehn Akten.
Publiziert: 24.07.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.07.2025 um 07:34 Uhr
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Türkisch-schweizerische Doppelbürger stecken fest – zwischen zwei Militärgesetzen.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Schweiz und Türkei verhandeln seit 18 Jahren über Militärdienst-Abkommen für Doppelbürger
  • Türkei zeigt wenig Interesse, Doppelbürger stehen vor rechtlichen Herausforderungen
  • Freikauf vom türkischen Wehrdienst kostet mehrere Tausend Euro
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Ein Big Deal? Eigentlich nicht. Es geht nur um ein Abkommen zum Militärdienst von Doppelbürgern. Die Schweiz versucht seit sage und schreibe 18 Jahren, ein solches mit der Türkei abzuschliessen. Aber statt einer Lösung gibt es Strafen für junge Männer. Und diplomatische Hängepartien.

Das Spiel läuft so: Die Schweiz fragt höflich an, doch die Türkei spielt auf Zeit. Ankara lässt Bern zappeln. Dann kommen vage Signale: Man sei gesprächsbereit. Die Schweiz hakt nach – wieder Funkstille. Bern wartet. Ankara vertröstet. Es gibt kein Abkommen. Die Geschichte zeigt, wie ein Routine-Deal zum Knorz wird. Es ist ein Trauerspiel! Blick dokumentiert es in zehn Akten.

Erster Akt

Juni 2007. Der damalige SP-Nationalrat Mario Fehr (66) – heute parteiloser Regierungsrat in Zürich – interveniert beim Bundesrat. In einer Motion kritisiert er: Wer sowohl den Schweizer als auch den türkischen Pass besitzt, ist in beiden Ländern militärdienstpflichtig – und kann diese Pflichten kaum erfüllen, ohne in einem der Staaten etwas Illegales zu tun. 

Das Problem: In der Schweiz droht eine Strafe, wenn jemand im Ausland Militärdienst leistet. Umgekehrt verlangt die Türkei von Doppelbürgern, dass sie den türkischen Wehrdienst absolvieren; bei Verweigerung drohen Sanktionen. Für Ankara gelten Doppelbürger grundsätzlich als Türken, sobald sie in die Türkei reisen. So viel vorweg: Vieles davon gilt bis heute – und teils ist das Problem sogar noch komplexer geworden.

Eine Vereinbarung sei dringend nötig, forderte Fehr im Jahr 2007. Auch im Interesse jener Doppelbürger, die in der Türkei im Militär sind und in der Schweiz Wehrpflichtersatz zahlen müssen.

Der Bundesrat unterstützt Fehrs Motion, das Parlament folgt, und die Diplomaten nehmen ihre Arbeit auf. Noch 2007 wolle man den Kontakt mit Ankara aufnehmen, kündigt der Bundesrat an. Schon damals regiert Recep Tayyip Erdogan (71) die Türkei.

Zweiter Akt

Erst im April 2010 kommt Bewegung in die Sache. Das Aussendepartement (EDA) führt erste Sondierungsgespräche mit der Türkei, beteiligt ist auch der Verteidigungsattaché der Schweizer Armee in Ankara. Man brauche «noch etwas Zeit», rapportiert der Bundesrat.

Dritter Akt

Immerhin zeigt sich die Türkei in der Praxis lange kulant: Sie anerkennt den in der Schweiz geleisteten Militärdienst teilweise – zumindest bei Doppelbürgern, die in der Schweiz geboren sind oder vor dem 18. Lebensjahr eingebürgert wurden und niedergelassen waren. Weiter ein Problem: Doppelbürger, die in der Schweiz vom Militärdienst befreit sind und Wehrpflichtersatz zahlen, werden in der Türkei nicht anerkannt. 

2012 finden erste Gespräche auf «konsularischer Ebene» in der Türkei statt, ein Jahr später folgen weitere in der Schweiz. Die Türkei habe «grundsätzlich ihre Bereitschaft signalisiert», vermeldet der Bundesrat. Die Verhandlungen würden «noch einige Zeit in Anspruch nehmen».

Vierter Akt

Doch es passiert nichts. 2016 zeigt man sich in Bern eher ernüchtert: Man mache die Türkei regelmässig auf das Problem aufmerksam. Aber über die «konkrete Aufnahme von Verhandlungen» habe man leider noch nicht sprechen können. 

Fünfter Akt

Dann wird es noch komplizierter: 2019 verschärft die Türkei ihr Gesetz. Seither erkennt sie den im Ausland geleisteten Militärdienst von Doppelbürgern grundsätzlich nicht mehr an. 

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Wer keine Konsequenzen riskieren will, muss sich von der Dienstpflicht freikaufen. Das hat seinen Preis: Die sogenannte Ersatzabgabe kostet mehrere Tausend Euro. Zusätzlich müssen sie ein Distance Learning Program absolvieren.

Sechster Akt

Wie ernst es Ankara meint, zeigt 2020 dieser Fall: Ein Doppelbürger wird während seiner Türkei-Ferien von der Polizei aus dem Hotel geholt – und erst nach Zahlung einer Busse von über 6000 Euro wieder freigelassen. Das machte damals die «NZZ» publik.

Es ist kein Einzelfall. Das EDA warnt heute in seinen Reisehinweisen: Wehrpflichtige Doppelbürger sollten sich vor einer Reise bei einer türkischen Vertretung über ihre Pflichten informieren. 

Siebter Akt

Und der Militär-Deal? Die Schweiz lässt nicht locker. August 2020: Der damalige türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu (57) besucht seinen Schweizer Amtskollegen Ignazio Cassis (64). Die Türken stellen dabei in Aussicht, der Schweiz «bald einen Entwurf zur Aufnahme von Verhandlungen» zu übermitteln.

Achter Akt

Bei weiteren «konsularischen Konsultationen» halten die Schweizer das Thema am Köcheln. Immerhin hat auch Ankara etwas zu verlieren: junge Landsleute. Manche Doppelbürger, die in der Schweiz wohnen, geben lieber gleich die türkische Staatsbürgerschaft ab. So umgehen sie Probleme bei der Einreise.

Neunter Akt

2021 unterbreitet die Schweizer Armee den Türken einen konkreten Vorschlag zur gegenseitigen Anerkennung des Militärdiensts, wie erst jetzt publik wird. Details sind nicht öffentlich.

Wieder passiert – nichts. In einem aktuellen Bericht bilanziert der Bundesrat: Die Türkei sehe «weder eine Notwendigkeit noch eine Dringlichkeit im Anliegen der Schweiz».

Zehnter Akt (Ende offen)

Juli 2025. Die Armee gibt sich auf Anfrage diplomatisch. Man habe den türkischen Behörden die Bereitschaft signalisiert, die Gespräche weiterzuführen. Laut Armeesprecher Mathias Volken wurde bislang aber kein Konsens gefunden. «Eine weitere Gesprächsrunde ist aktuell nicht geplant.» 

Die türkische Botschaft in Bern teilt Blick mit: «Das Abkommen über den Militärdienst für Doppelbürger ist derzeit in Diskussion.»

Vor 18 Jahren reichte Mario Fehr seine Motion ein. Heute zählt sie zu den ältesten noch hängigen Vorstössen im Bundeshaus – daran dürfte sich so bald nichts ändern. Eine bürokratische Fussnote? Nicht für die Betroffenen.

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