Psychiatrie Münsterlingen im Thurgau
Viele Opfer – nur wenige verlangen eine Entschädigung

Erst 86 potenzielle Opfer der fragwürdigen Versuche haben eine Entschädigung beantragt – dabei könnten Tausende betroffen sein. Das Staatsarchiv Thurgau ruft deshalb erneut dazu auf, ein Gesuch zu stellen.
Publiziert: 27.07.2025 um 19:30 Uhr
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Pfleger und Patienten der Thurgauischen Heil- und Pflegeanstalt in Münsterlingen in den 1940er-Jahren.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Psychiatrie Münsterlingen führte jahrzehntelang Medikamentenversuche ohne Wissen der Patienten durch
  • Betroffene können beim Kanton Thurgau Entschädigung beantragen
  • 86 Gesuche eingereicht, 43 Personen erhielten je 25'000 Franken Solidaritätsbeitrag
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Luc Ruffieux
Luc Ruffieux
Beobachter

Tausenden wurden in der Psychiatrie Münsterlingen ohne ihr Wissen pharmazeutische Prüfsubstanzen verabreicht – über Jahrzehnte. Seit Anfang Jahr können Betroffene beim Kanton Thurgau eine Entschädigung beantragen. 

Artikel aus dem «Beobachter»

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Bislang haben 86 Personen ein Gesuch gestellt. 43 von ihnen erhielten einen Solidaritätsbeitrag in der Höhe von 25’000 Franken zugesprochen. Insgesamt 1,075 Millionen Franken hat der Kanton Thurgau den Opfern damit zugesprochen. 43 Gesuche wurden abgelehnt. Das teilte das Staatsarchiv Thurgau vor wenigen Tagen mit.

Anspruch auf einen Solidaritätsbeitrag haben Personen, die von den umfangreichen Medikamentenversuchen des Psychiaters Roland Kuhn zwischen 1940 und 1980 betroffen waren. Dieser testete für Pharmafirmen nicht zugelassene Substanzen an den teilweise ahnungslosen Patienten. Der Beobachter berichtete 2014 erstmals über diese erschütternde Geschichte.

Viele wissen nicht, ob sie betroffen waren

Die Vorgaben für eine Entschädigung sind klar: In der Krankenakte oder im Nachlass von Roland Kuhn muss eine Prüfsubstanz erwähnt sein. Die Erben der Betroffenen sind explizit ausgeschlossen. Der Kanton Thurgau rechnet mit bis zu 500 Gesuchen und Kosten von rund 12,5 Millionen Franken. Gesuche können bis Ende 2028 eingereicht werden. 

Dass bisher die Hälfte der Gesuche abgelehnt wurde, liege daran, dass viele schlicht nicht wüssten, ob sie betroffen gewesen seien. Das erklärt Urban Stäheli vom Staatsarchiv Thurgau auf Anfrage: «Viele Leute wollen zu Recht wissen, ob sie eine Prüfsubstanz erhalten haben.» Potenziell Betroffenen rät er: «Stellen Sie unbedingt ein Gesuch, auch wenn Sie nicht sicher sind. Das schafft Klarheit.» Die Fälle seien in den Akten gut dokumentiert.

2019 bestätigte ein detaillierter Bericht einer Forschergruppe der Universität Zürich, dass in der Thurgauer Psychiatrie jahrzehntelang umfangreiche Medikamentenversuche durchgeführt wurden. Gemäss den Historikerinnen und Historikern waren bis zu 3000 Personen betroffen.

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