Darum gehts
- Parlamentarierinnen fordern Änderung der Strafprozessordnung zum Schutz von Anzeigeerstattern
- Wohnadresse von Klägern soll nicht mehr automatisch in Verfahrensakten erscheinen
- Nur 8 Prozent der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebten, reichten Strafanzeige ein
Es hört sich an wie ein schlechter Scherz, ist aber Realität: Wer beispielsweise nach einer Belästigung den Mut fasst, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, läuft Gefahr, dass der mutmassliche Täter die Adresse erfährt – schwarz auf weiss, direkt ausgehändigt von der Staatsanwaltschaft. Das ist derzeit gängige Praxis bei vielen Strafbehörden.
Dem wollen zwei Parlamentarierinnen in Bern den Riegel schieben. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (35) und ihre liberale Ratskollegin Patricia von Falkenstein (64, LDP) haben gemeinsam einen Vorstoss eingereicht. Darin fordern sie, dass die Strafprozessordnung entsprechend geändert wird.
Beschuldigte dürfen Akten anschauen
Künftig soll die Wohnadresse von Klägerinnen und Klägern nicht mehr automatisch in den Verfahrensakten erscheinen. «Die Adresse soll nur noch offengelegt werden, wenn die beschuldigte Person ein berechtigtes Interesse nachweisen kann», sagt von Falkenstein zu Blick.
Warum ist das derzeit überhaupt so? Für eine Anzeige sei immer grundsätzlich eine geschädigte Person notwendig, heisst es bei der Kantonspolizei Aargau auf Anfrage. Diese müsse bekannt sein und im Rapport aufgenommen werden, erklärt Kapo-Medienchef Dominic Zimmerli. Das schreibe die Strafprozessordnung so vor. «Wer beschuldigt wird, darf dann die Akten anschauen.» Und neben Name werde eben auch die Adresse in den Akten aufgeführt.
Angst vor weiterer Belästigung
Zimmerli räumt ein, dass diese Praxis durchaus dazu führen kann, dass Betroffene von einer Anzeige absehen – etwa weil sich Nachbarn nicht exponieren wollen oder weil Opfer von häuslicher Gewalt oder Stalking Angst vor weiterer Belästigung haben.
Bei der Kantonspolizei Bern heisst es auf Anfrage wiederum: Ob Schutzmassnahmen ergriffen werden, hänge vom Einzelfall ab.
Voraussetzung für eine Anonymisierung sei, dass die betreffende Person ohne Schutzmassnahme einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder einem anderen schweren Nachteil ausgesetzt wäre. «Dies kann bei schweren Fällen von häuslicher Gewalt der Fall sein», so Jessica Friedli von der Kantonspolizei Bern.
Viele verzichten auf Anzeige
Für Funiciello ist die heutige Gesetzgebung unverständlich. «Wer Opfer von Gewalt wird, darf nicht noch zusätzlich gefährdet werden, nur weil ihre Adresse automatisch in den Akten landet», sagt sie. Mit der Motion wolle sie zudem dafür sorgen, dass Opfer aus Angst vor Repressalien nicht auf das Einreichen einer Anzeige verzichten, sagt von Falkenstein.
Opferhilfe Schweiz: Hier kannst du dich als Freund oder Familienmitglied melden, wenn du dir Sorgen um jemanden in deinem Umfeld machst. Die kantonale Opferberatungsstelle hilft dir entsprechend weiter.
#withyou: ist eine von dem Bund unterstützte Plattform zur Früherkennung und Bekämpfung von toxischen Beziehungen und häuslicher Gewalt. Die Plattform bietet digitale Tools und Entscheidungshilfen für Betroffene und Angehörige.
Kantonspolizei: Bekommst du Formen von Gewalt als Nachbar durch die Wände mit, dann melde dich bei der Präventionsstelle der Kantonspolizei. Der Kanton Zürich hat dafür eine spezielle Website mit weiteren Informationen eingerichtet. Bei einem Notfall sofort die Polizei rufen: Telefonnummer 117.
Opferhilfe Schweiz: Hier kannst du dich als Freund oder Familienmitglied melden, wenn du dir Sorgen um jemanden in deinem Umfeld machst. Die kantonale Opferberatungsstelle hilft dir entsprechend weiter.
#withyou: ist eine von dem Bund unterstützte Plattform zur Früherkennung und Bekämpfung von toxischen Beziehungen und häuslicher Gewalt. Die Plattform bietet digitale Tools und Entscheidungshilfen für Betroffene und Angehörige.
Kantonspolizei: Bekommst du Formen von Gewalt als Nachbar durch die Wände mit, dann melde dich bei der Präventionsstelle der Kantonspolizei. Der Kanton Zürich hat dafür eine spezielle Website mit weiteren Informationen eingerichtet. Bei einem Notfall sofort die Polizei rufen: Telefonnummer 117.
Eine Studie von GFS Bern aus dem Jahr 2019 zeigt: Nur rund 10 Prozent der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, meldeten dies der Polizei. Strafanzeige erstatteten lediglich 8 Prozent. Die Gründe dafür sind vielfältig. Funiciello und von Falkenstein wollen zumindest jene beseitigen, die das Einreichen einer Anzeige selbst zum Risiko machen.