Selbst Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61, FDP) ist ratlos. Immer wieder passiert es: Ihr Bild prangt auf betrügerischen Inseraten – aufgemacht, als wären sie von Blick. Sogar für KI-Videos muss die Finanzministerin hinhalten. Es scheint, als spräche sie darin über verlockende Krypto-Investitionen. Doch Stimme und Lippenbewegung der Bundesrätin sind gefälscht.
«Seien Sie vorsichtig!», warnt Keller-Sutter bei Blick. Keine Bundesrätinnen oder Bundesräte würden für solche Produkte oder Investments Werbung machen, unterstreicht sie. Dennoch: Sie ist bei weitem nicht das einzige Mitglied der Landesregierung, das ungefragt für die Betrugsmasche hinhalten muss.
Strafanzeigen führen ins Nirgendwo
«Es ist stossend, wenn mit Fake-Videos und erfundenen Interviews von Amtspersonen Werbung für Betrügereien gemacht wird», so die Bundespräsidentin weiter. «Man muss alles tun, um diesen Betrügern das Handwerk zu legen und die Bürgerinnen und Bürger zu schützen.»
Etwa so, wie sie es tat: mit Strafanzeigen. Eine erste reihte das Finanzdepartement bereits im September 2023 bei der Bundesanwaltschaft ein – gegen unbekannt wegen Verdachts auf Betrug. Eine zweite folgte im April 2024 gegen unbekannt wegen Verdachts auf Identitätsmissbrauch und Verleumdung, damals zuhanden des Untersuchungsamts Gossau.
Beide Anzeigen seien dreimal ergänzt worden, teilt Keller-Sutters Departement mit. Doch beide verliefen im Sand, die Ermittlungen sind sistiert. «Wir werden weiterhin ergänzende Strafanzeigen erstatten», heisst es jedoch. Denn inzwischen erhalte man fast wöchentlich neue Hinweise auf betrügerische Websites.
Nutzerinnen und Nutzer sollen vorsichtig sein
Auch andere Bundesratsmitglieder wehren sich erfolglos: Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65, SVP) griff ebenfalls bereits mehrfach zur Strafanzeige, wie sein Departement (WBF) bestätigt. Man verurteile den Einsatz von irreführender und betrügerischer Werbung und den Missbrauch von künstlicher Intelligenz. Handeln müssten nach Ansicht des WBF vor allem Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Medien: «Sie sind aufgerufen, die Inhalte kritisch zu prüfen.»
Die Aussagen aus Bern zeigen: Der Bund hat keine Lösung. Und die Werbenetzwerke – beispielsweise Meta, Google oder X – verdienen gutes Geld an der Masche. Gleichzeitig setzen durch den Lockruf der Betrüger immer wieder unbescholtene Blick-Leserinnen und -Leser ihr Erspartes in den Sand. Auch Ringier – der Verlag, zu dem Blick gehört – geht daher nun rechtlich dagegen vor.
Muss Medienminister Rösti handeln?
Sowohl Keller-Sutters als auch Parmelins Departement verweisen derweil auf das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) von Medienminister Albert Rösti (57, SVP). Nur: Dort fühlt man sich auch nicht zuständig.
Auf Anfrage von Blick teilt das Bakom mit, dass es nur die Werbung in Radio und Fernsehen reguliere. «Unseres Wissens gibt es keine Spezialnormen, die solche missbräuchlichen Inserate regulieren», teilt das Bundesamt mit – und verweist wieder zurück an Parmelin. Gehe es um unlauteren Wettbewerb, sei womöglich das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig, heisst es. Und ansonsten gelte die allgemeine Rechtsordnung in Straf- und Zivilgesetzbuch.
Auch die Plattformregulierung hilft nicht
Gleichzeitig verzögert jedoch ausgerechnet der Bundesrat, dass die grossen Tech-Konzerne auch in der Schweiz zur Rechenschaft gezogen werden können. Bereits vor zwei Jahren fasste das Bakom den Auftrag, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, um die grossen digitalen Plattformen zu regulieren. Die Landesregierung wollte sie im Frühling 2024 verabschieden.
Im April dieses Jahres verschob der Bundesrat seinen Entscheid erneut – aufgrund der aktuell unsicheren geopolitischen Lage. Linke, Jungparteien bis zur Mitte und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen zeigten sich entrüstet. Das Bakom erwähnt das Tauziehen um die Plattformregulierung gegenüber Blick zwar, stellt jedoch klar: «Das Thema der missbräuchlichen Inserate war nicht Teil dieses Auftrags.»