Darum gehts
- Georgisches Betrüger-Callcenter ergaunerte Millionen von Opfern weltweit
- Betrüger lebten luxuriös, feierten teure Partys und reisten um die Welt
- 35,3 Millionen Dollar von über 6100 Opfern zwischen Mai 2022 und Februar 2025
Marcel Deschamps ist verzweifelt. Der 59-jährige kanadische Fabrikarbeiter hatte bereits 200’000 Dollar an Betrüger verloren, als ihn eine Mary Roberts anrief. Die angebliche Krypto-Expertin versprach ihm, sein Geld zurückzuholen, wenn er jetzt 3500 Dollar nachschiesse. Als Deschamps merkte, dass auch sie ihn betrog, und er ihr drohte, die Polizei zu rufen, lachte sie. «Selbst wenn du die Polizei der ganzen Welt alarmierst, wirst du mich niemals finden. Du bist so dumm.»
Zwei Monate später plante Roberts ihre Luxusferien in Griechenland. In Wahrheit heisst sie Mariam C.*, ist 26 Jahre alt und arbeitet in einem Betrüger-Callcenter in Tiflis, Georgien. Zusammen mit über 80 anderen jungen, gebildeten Georgiern ergaunerte sie zwischen Mai 2022 und Februar 2025 insgesamt 35,3 Millionen Dollar von über 6100 Opfern weltweit.
Ob diese «Skameri» auch hinter den Fake-Ads-Betrügern stecken, gegen die Ringier eine Strafanzeige eingereicht hat, ist nicht bekannt. Es ist aber anzunehmen, dass das Geschäft ähnlich läuft.
iPhones und BMWs für Angestellte
Das Geschäft lief so gut, dass die Betrüger eine interne Bestenliste führten wie in einem Videospiel. Wer am meisten ergaunerte, gewann iPhones oder BMWs. Top-Performer verdienten schnell mehr als 20’000 Dollar im Monat. Mariam C. gehörte zum Spitzenteam und räumte im Februar 2024 rund 80’000 Dollar ab.
Mit dem ergaunerten Geld lebten die «Skameri» wie Könige. Mariam postete auf Instagram Fotos von 6000-Euro-Cartier-Armbändern und luxuriösen Reisen nach Mykonos und Santorini. Ihre jüngere Schwester Veriko, die als Veronika Nowak ebenfalls im Callcenter arbeitete, feierte ihren 21. Geburtstag in Dubai, den 22. in Paris und reiste auch nach Dubai.
Noch luxuriöser lebte Boss Akaki K.*. Der 33-Jährige fuhr einen Rolls-Royce und einen Lamborghini, liess sich von bezahlten Bodyguards beschützen und kaufte seiner Mutter ein Haus für 740’000 Dollar. Die Silvesterparty seiner Firma liess er sich 107’000 Dollar kosten. Das Fest umfasste prominente Moderatoren, Cabaret-Shows und eine riesige Torte mit einem Zucker-Diamanten.
So lief der Betrug ab
Das System war perfide einfach: Zunächst lockten gefälschte Online-Werbungen mit Prominenten wie Elon Musk oder Formel-1-Star Fernando Alonso die Opfer an. Wer auf die Werbung klickte und seine Daten eingab, wurde binnen Sekunden angerufen. Die Betrüger gaben sich als britische, französische oder spanische Finanzberater aus und lockten ihre Opfer mit gefälschten Krypto-Plattformen. Sie bauten über Monate emotionale Bindungen auf, schickten Fotos und spielten die fürsorglichen Experten. Sobald Geld floss, erfanden sie immer neue Gebühren und Steuern, damit die Opfer nie an ihr Geld kamen.
Teamleiterin Meri S.*, die sich Kseniya Koen nannte, peitschte ihre Leute gnadenlos an: «Steht auf, drängt eure Klienten und lasst das Geld fliessen.» In Leistungsbeurteilungen wurde bewertet, wie gut die Angestellten lügen konnten. Das Büro sah aus wie ein hipper Tech-Konzern, war aber nur als Telemarketing-Firma registriert.
Monatelange Recherche
Aufgeflogen sind die Betrüger durch einen Whistleblower, der 1,9 Terabyte Daten an Journalisten weiterleitete. Die mehrmonatige Recherche des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) brachte mit über 30 Medien das ganze System ans Licht. Ironischerweise verrieten sich die Betrüger vor allem durch ihre Protzsucht im Internet. Als die Journalisten im Februar 2025 unangenehme Fragen stellten, begann die panische Flucht. Meri S. verkaufte schnell zwei Wohnungen und löschte alle ihre Online-Profile. Andere Betrüger schlossen ihre Facebook-Accounts. Die georgische Staatsanwaltschaft ermittelt. Die meisten Betrüger sind noch auf freiem Fuss.
Doch die Georgier waren nur ein kleiner Teil eines viel grösseren Netzwerks. Eine zweite, noch gigantischere Operation mit Büros in Israel, Bulgarien, Ukraine, Spanien und Zypern beschäftigte 480 Angestellte und ergaunerte 247 Millionen Dollar von fast 27’000 Opfern. Beide Operationen arbeiteten mit industrieller Präzision: professionelle Kundenverwaltung, externe Marketing-Partner und detaillierte Leistungsbewertungen. Was wie seriöse Finanzunternehmen aussah, war in Wahrheit eine perfekt organisierte Betrugsmaschine.
Marcel Deschamps hatte nach der Enthüllung einen kleinen Triumph: Er rief seine Betrügerin an und konfrontierte sie mit ihrem echten Namen. Sie legte auf, aber nun hatte er als Opfer das letzte Wort. «Das fühlt sich grossartig an», sagte er nach dem Anruf zu OCCRP.
*Name bekannt