Nach Missbrauchs-Recherche
Reformierte schmeissen kritische Journalisten raus

Die Entlassung von zwei Journalisten der Westschweizer Agentur ProtestInfo wird zum internationalen Thema: Selbst der Europarat hat eine offizielle Warnung herausgegeben. Auch in der Deutschschweiz hadern religiöse Medien immer wieder mit ihrer Berichterstattung.
Publiziert: 26.11.2025 um 19:09 Uhr
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Die reformierte Kirche in der Romandie ist in Aufruhr wegen zwei entlassenen Journalisten.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Entlassung von ProtestInfo-Journalisten führt zu internationalem Pressefreiheits-Fall
  • Europarat fordert Wiedereinstellung und Garantien für redaktionelle Unabhängigkeit
  • Über 100 protestantische Persönlichkeiten unterzeichneten offenen Brief gegen Entlassungen
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Lucie Fehlbaum

Die reformierten Kirchen der Romandie stecken in einer grossen Krise. Anfang Oktober entliess die protestantische Nachrichtenagentur ProtestInfo ihre Chefredaktorin Anne-Sylvie Sprenger und den Journalisten Lucas Vuilleumier – und sorgte damit in der Westschweiz für einen regelrechten Skandal.

Nun wird der Personalentscheid gar zum internationalen Fall: Die Plattform des Europarats für die Sicherheit von Journalisten hat eine offizielle Warnung herausgegeben. Ein seltener Schritt. Der Westschweizer Skandal wird somit als möglicher Angriff auf die Pressefreiheit gewertet.

Kleine Agentur inmitten eines Sturms

ProtestInfo gehört zu Médias-Pro, dem Medienorgan der Westschweizer reformierten Kirchen. Nach der Entlassung sprachen Kirchenvertreter von redaktionellen Meinungsverschiedenheiten, alten Spannungen und einem Vertrauensbruch.

Doch Sprenger und Vuilleumier behaupten, dass sie bei der Arbeit an einer sensiblen Recherche aussortiert wurden: Sie befassten sich mit den anhaltenden Verbindungen der reformierten Waadtländer Kirche zu einem berühmten Theologen, der des mutmasslichen sexuellen Missbrauchs verdächtigt wurde. Bereits im Juli 2024 hatte ProtestInfo dem Fall in der Zeitung «Le Temps» einen ausführlichen Artikel gewidmet.

Die Entscheidung sorgte für Aufruhr. In einem offenen Brief, der von mehr als hundert protestantischen Persönlichkeiten unterzeichnet wurde, prangten Kritiker einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Presse an. Beat Grossenbacher, ehemaliger Chefredakteur der Schweizer Nachrichtenagentur (SDA) und Mitglied der Expertenkommission von Médias-Pro, trat in der Folge schockiert zurück. Eine weitere Vorsitzende wandte sich anschliessend ebenfalls empört von der Kommission ab.

Auch bei den Katholiken gab es bereits Aufruhr

Der Fall erinnert an eine ähnliche Episode aus der Deutschschweiz: Wie Blick berichtete, verhinderten die Schweizer Bischöfe letztes Jahr, dass die Journalistin Annalena Müller (42) zur Direktorin des Katholischen Medienzentrums gewählt wurde. Die Historikerin schrieb zuvor als Redaktorin kritisch über den Missbrauchsskandal in der Schweizer Kirche sowie die Verfehlungen von Bischof Felix Gmür (59) in der Affäre.

Auch bei Müllers nächstem Arbeitgeber, dem «Pfarrblatt» des Kantons Bern, trennten sich die Wege nach einem Zerwürfnis bereits ein Jahr später. Zwischen der Chefredakteurin und den römisch-katholischen Pfarreien Berns habe es «unterschiedliche Auffassungen zur strategischen und redaktionellen Ausrichtung» gegeben.

Europa fordert Garantien

Das Echo bei den Katholiken war jedoch um einiges leiser als bei den Entlassungen bei ProtestInfo. Letztere bringen jetzt auch den Europarat auf den Plan: Seine Plattform für die Sicherheit von Journalisten, der auch 15 internationale Organisationen zur Verteidigung der Pressefreiheit angehören, fordert die Wiedereinstellung der beiden Journalisten. Dazu soll sichergestellt werden, dass die redaktionelle Unabhängigkeit der Agentur sowie ihre Autonomie gegenüber kirchlichen Instanzen gewahrt werden.

Mit der Warnung fordert der Europarat auch eine offizielle Antwort der «nationalen Behörden», also des Bundes. Für den Fall ProtestInfo läuft die Frist bis am 14. Februar.

Echo bewegt betroffenen Journalisten

Lucas Vuilleumier zeigt sich gegenüber Blick tief bewegt, dass der Fall auf europäischer Ebene ein Echo gefunden hat. Seine Entlassung sei ein klarer Angriff auf die Informationsfreiheit.

«Unsere Vorgesetzten behaupten heute öffentlich, das behandelte Thema habe nichts mit der Entlassung zu tun, sondern bloss die Krise um die Recherche, an der wir gerade arbeiteten, sei der Auslöser gewesen», sagt Vuilleumier. «Die Tatsache, dass unsere Situation auf europäischer Ebene gemeldet wurde, zeigt aber, dass sie dennoch für manche Menschen echte Fragen der Pressefreiheit aufwirft.»

Kirchen werden um Antworten gebeten

In der Schweiz wird das Dossier bald wieder auf den Tisch kommen. Die nächste Plenarversammlung der Konferenz der Westschweizer reformierten Kirchen (CER) findet am 29. November statt. Dort wird eine Interpellation den Exekutivrat auffordern, eine Reihe von kritischen Fragen zu den Entlassungen zu beantworten.

Lucas Vuilleumier betonte in der Sendung «Forum» auf RTS, dass er vor dieser Episode nie das Gefühl gehabt habe, dass es eine Zensur gegeben habe. Im Gegenteil: Die Kirchen hätten Mut bewiesen, indem sie die Agentur frei ermitteln liessen. Dieser Mut sowie auch die Zukunft von ProtestInfo werde heute durch die Entlassungen infrage gestellt.

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