Krude «Christfluencer» boomen
«Für Gott ist Homosexualität ein Gräuel»

Sie sind jung, bibeltreu und radikal. Christliche Influencer wie Miro Wittwer oder Millane Al-Masoud sind auf dem Vormarsch. Manche driften weit nach rechts ab. Experten sind besorgt.
Publiziert: 12:44 Uhr
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Aktualisiert: vor 23 Minuten
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Die Zahl der christlichen Influencer nimmt zu. Einer von ihnen ist der Schweizer Leo Bigger, Chef der ICF-Kirche. Er ist ein grosser Fan des rechten US-Aktivisten Charlie Kirk, der vor kurzem erschossen wurde.
Foto: Screenshot Youtube ICF

Darum gehts

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Rebecca WyssRedaktorin SonntagsBlick

Leo Bigger (57) steht auf der Bühne und breitet gerade seine Arme aus, als hinter ihm an der Wand haushoch ein Bild von Charlie Kirk aufleuchtet, kurz nachdem der rechte US-Aktivist am 10. September erschossen worden ist. Und Bigger, der Kopf der Freikirche ICF, nutzt die Gelegenheit. Nutzt dessen Tod, um in diesem auf Youtube geposteten Gottesdienst Werbung zu machen. Für seine Gesinnung. Mit angestrengter Miene ruft er in den vollen Saal: Tausende hätten dank «Charlie» zu Jesus gefunden. Dann schaltet er einen Gang hoch, lässt eine Aufnahme von Charlie Kirks trauernder Witwe an der Abdankung abspielen. Einige Tage später verkündet er in einem weiteren Video: «Charlie Kirk wird uns verändern.» Das Blut von den Märtyrern sei der Samen einer Erweckung des Glaubens.

Leo Bigger hatte während der Zehnerjahre in der Schweiz fast so viel Präsenz wie der Papst. Die Medienhäuser beschäftigten sich immer wieder mit dem braun gebrannten blonden Prediger mit zerrissenen Jeans und der deplatzierten Jugendsprache. Er wollte cool wirken. Und tat es offenbar. Mit seiner ICF-Freikirche lockte er damals Scharen von jungen Menschen an die Popkonzert-Gottesdienste in die Region Zürich. In den letzten Jahren ist es stiller um ihn geworden. Doch nur in den Leitmedien. Auf den Social-Media-Kanälen ist er laut.

Bigger stilisiert Kirk zum Märtyrer

An jenem Sonntag nach dem Attentat stilisiert Bigger den Amerikaner Charlie Kirk zum Retter der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, so «links abgedriftet», dass die Bibel in der Schule nichts mehr verloren habe. Stattdessen werde «Gender geteached und gepreached» (Geschlecht gelehrt und gepredigt). Auch ein Verweis auf die Cancel Culture darf nicht fehlen – für ihn «ein dämonisches Konstrukt». Drastische Worte, wie in allen seinen Predigten. In den Videos auf Instagram wirkt alles noch einen Zacken dramatischer, wegen der Einspieler, der Hintergrundmusik.

Leo Bigger hat den Sprung in die digitale Welt geschafft. Über seine Accounts erreicht er bis zu 45’000 Follower. Und ist damit in guter Gesellschaft. Christliche Influencer haben Zulauf. Georg Otto Schmid, der die kirchliche Fachstelle Relinfo leitet, sagt: «Das Phänomen nimmt zu.» Er beobachtet die Freikirchenszene seit Jahren: Die jungen Gläubigen suchten zunehmend gar keine Gottesdienste mehr auf. «Lieber folgen sie verschiedenen Influencern im Netz.» Diese «Christfluencer» sind – anders als Bigger – meist jung, hip, urban, Schweizer oder Deutsche mit Strahlkraft bis in die Schweiz.

Recherche-Hinweise

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Doch sind sie oft nicht harmlos. Manche sind radikal rechts, christlich-fundamentalistisch. Einzelne spannen sogar mit rechtsextremen Kreisen zusammen. Um das soll es hier gehen. Wir haben von Fachleuten wissen wollen: Was macht christliche Influencer so anziehend? Was hat es zu bedeuten, wenn Figuren wie Leo Bigger online gegen Links und Woke poltern? Und ab wann wird es gefährlich?

Miro Wittwer (35), halblange, nach hinten gegelte Haare, weisses Hemd, Sakko und Loafers, wandelt wie ein Gucci-Jesus auf Schweizer Strassen und in Trams umher. Auf Instagram und Co. kann man ihm zuschauen. Der Mann aus Küsnacht ZH ist auf Mission. Spricht Menschen an, zitiert die Bibel. Auf Instagram erreicht er 23’000 Follower. Früher war es ein Mehrfaches davon. Früher war Wittwer ein in der Esoterikszene bekannter Lifecoach. Doch dann hatte er nach eigenen Angaben 2023 eine Eingebung. Auf Ibiza war das. Morgens um fünf Uhr im Bett sprach Gott zu ihm. Trug ihm auf, seinen Instagram-Account zu löschen. Seine alte Identität. Ganz neu anfangen sollte er, im Dienste Gottes. Jetzt ist er als Missionar, selbst ernannter Heiler und Geschäftsmann mit Gottes Segen unterwegs. Mit schwer verdaulichen Ansichten, über die diese Woche auch die «Rundschau» berichtete.

«Gott würde nie einen homosexuellen Menschen machen»
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Christfluencer Miro Wittwer:«Gott würde nie einen homosexuellen Menschen machen»

Wittwer: Der Teufel macht schwul

Auf Youtube kursiert ein Podcast-Auftritt von Miro Wittwer, er spricht da über Homosexualität. Behauptet: «Für Gott ist Homosexualität ein Gräuel.» Weil es der Teufel sei, der uns verdrehe. Dieses Feminine, dieses Schwule, das sei einfach nicht schön. «Wir lieben die Schwulen, wir haben Mitgefühl mit ihnen, aber wir hassen den Spirit of Homosexualität.»

Der Sektenexperte Georg Otto Schmid schüttelt darüber den Kopf. Er sagt: «Miro Wittwer ist ein radikaler Prediger.» Er sei kompromisslos. Das sei hochproblematisch. Wittwer sieht das anders. Auf Anfrage schreibt er: «Ja, ich bin radikal ehrlich, radikal wahrhaftig und radikal liebend.» Weil er homosexuelle Menschen liebe, helfe er ihnen, frei zu werden vom Geist der Homosexualität. Er behauptet, diese gehe gegen die Natur. Und weiter: Viele hätten es dank Jesus geschafft und lebten nun das Leben, das Gott für sie vorgesehen habe.

Das reaktionäre Gedankengut der Influencer fällt auf fruchtbaren Boden. Gert Pickel, Professor für Religionssoziologie an der Universität Leipzig und Extremismusforscher, hat eine Erklärung: Die «Christfluencer» profitieren von den aktuellen Unsicherheiten, die Krieg, Krise, Pandemie und der Wertewandel verursachten. «Die Gesellschaft achtet vermehrt auf Sicherheit, ist konservativer geworden», sagt er. Mit Folgen für junge Gläubige. Viele wünschten sich klare Regeln: Es gibt nur Mann und Frau, der Mann bestimmt, Kinder sind verpflichtend, Abtreibung ist verboten, Homosexualität Sünde. Gert Pickel sagt: «Dieses Kategorisieren macht das Leben vermeintlich einfacher.» Und könne auch Menschen ansprechen, die nichts mit Religion zu tun haben.

Vor allem, wenn die christlichen Influencerinnen und Influencer auf den ersten Blick harmlos wirken.

Als Frau «musst du dich unterordnen»

Millane Al-Masoud, Jasmin Friesen oder Jana Highholder aus Deutschland erreichen ein Millionenpublikum, weil sie sich modebewusst, nett und so nahbar geben, dass man das Gefühl bekommt, man würde sie schon ewig kennen. Doch in ihren Ansichten sind sie bibeltreu. Gnadenlos.

Jasmin Friesen (29) lebt nach eigenen Angaben keusch, weil Sex vor der Ehe «dein Leben zerstört», wie sie auf ihrem Instagram-Account schreibt.

Jana Highholder (27) ist Ärztin und Postergirl der Schweizer Freikirchenszene. Sie tritt in Youtube-Sendungen der Freikirche Hope & Life auf, und ein christlicher Reiseveranstalter aus Winterthur ZH wirbt aktuell mit ihr als «Highlight» für einen Patagonien-Trip. Für Highholder gehört Sex nur in die Ehe. Ein Kind sollte sich ihrer Meinung nach das Geschlecht, nach dem es sich fühle, nicht aussuchen dürfen. Und Feminismus? Für einen angeblichen Männerhass verantwortlich – suggeriert sie.

Doch die erfolgreichste ist Millane Al-Masoud (früher: Friesen). Vor zwei Wochen überrollte sie ein Shitstorm. Die 23-Jährige ist Mitglied eines deutschen ICF-Ablegers. Sie inszeniert sich auf ihren Accounts als brave Ehefrau, Model und Fashionliebhaberin. Sowie mit Bibelfotos und Videoclips, die sie auf den Knien betend zeigen, oder als gläubiger Talk-Gast in Podcast- und Fernsehsendungen. Ein solches ging viral.

Millane Al-Masoud, im züchtigen vanille-beigen Clean-Chic-Look, sitzt auf einer Couch den Moderatoren des christlichen Podcasts «Realmodel» gegenüber. Sie sprechen über die Partnersuche als Christen. Dann sagt die junge Frau die Sätze, die ihr später zum Verhängnis werden: «Wenn man sich einen Mann Gottes wünscht, dann muss man auch eine Frau Gottes sein. Du musst dich unterordnen. Und wenn dein Mann sagt, ihr sollt etwas machen, dann macht ihr das auch so.»

Der Clip sorgte auf Tiktok für unzählige Repliken. Auch von Schweizerinnen. Doch der Aufschrei ist trügerisch. Die junge Frau trifft mit ihrem Content offenbar einen Nerv. Sieben Millionen Menschen folgen ihr allein auf Tiktok, 1,4 Millionen auf Instagram. Al-Masoud ist kein Randphänomen. Und das ist verheerend.

Er spricht AfD-Weigel einen «Gottessegen»

Leo Bigger, Miro Wittwer, Millane Al-Masoud, Jasmin Friesen oder Jana Highholder – ihre Haltungen untergraben laut den Fachleuten die Werte der pluralistischen Gesellschaft, sie fördern Diskriminierung. Der Religionssoziologe Gert Pickel sagt: «Sie lassen veraltete Werte wiederkehren, die wir von der Extremrechten kennen.» Manche der Influencer gehen noch weiter. «Sie bauen eine direkte Brücke zu den Rechtsextremen.»

Der deutsche «Christfluencer» Leonard Jäger füttert seinen Youtube-Kanal «Ketzer der Neuzeit» mit seiner neurechten Gesinnung. Und verdoppelte damit die Followerzahl innert zwei Jahren auf 570’000. Seine Lieblingspartei ist die AfD. Auf deren Parteitag Anfang Februar führte er Social-Media-wirksam ein Gespräch mit AfD-Chefin Alice Weidel. «Wir sind in der Bibel aufgefordert, wirklich für unsere Regierung zu beten, und vielleicht sind Sie ja bald in der Regierung», sagt darin Jäger mit einem Lächeln, bevor er Weidel einen «Gottessegen» ausspricht. Jäger steht mit seiner Haltung nicht allein. Seine Influencer-Kollegin Jasmin Friesen teilte und befürwortete das AfD-Video.

In der Schweiz sorgt der Charlie-Kirk-Kult des ICF-Chefs Bigger für Kritik. Der Sektenexperte Georg Otto Schmid sagt: «Damit lässt sich Leo Bigger mit rechten Kreisen ein.» Kirk war ein rechter Evangelikaler, der zu Lebzeiten die «Replacement Theory» verbreitete: eine antisemitische Verschwörungslüge, wonach jüdische Eliten weisse Amerikaner durch Migranten ersetzen wollten. Überhaupt schwafelte er immer wieder von einer jüdischen Elite an Unis, Gerichten und in der Politik, die alles heimlich steuerten. Und er kritisierte den «Civil Rights Acts», der schwarze Amerikaner 1964 zu gleichberechtigten Wählern machte.

Leo Bigger lässt auf Anfrage ausrichten: Er habe Charlie Kirk im Zusammenhang mit dessen persönlichem Glauben erwähnt, nicht mit seiner politischen Haltung. «Wir vertreten keine politische Agenda und distanzieren uns klar von jeglichen rassistischen oder antisemitischen Aussagen.»

Fachleute sind sich einig: Der Hype um die christlichen Influencer wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die Frage ist nun, ob liberale christliche Kräfte den Radikalen das Feld überlassen wollen. Oder vielleicht selber als Influencer Gegensteuer geben.

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