Mit Mirjam Hostetmann in ihrer Heimat Obwalden
«Früher habe ich an Gott geglaubt, jetzt finde ich Halt in der Politik»

Sie hat die Juso wieder zur schlagkräftigsten Jungpartei gemacht. Nun bereitet sich Mirjam Hostetmann auf ihren ersten Abstimmungskampf vor – der auch ihre Heimat Obwalden aufwühlt. Unterwegs mit einer «Revolutionärin» in der konservativen Hochburg.
Publiziert: 11:22 Uhr
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Aktualisiert: 12:51 Uhr
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Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann.
Foto: Linda Käsbohrer

Darum gehts

  • Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann ist in Sarnen aufgewachsen
  • Hostetmann kritisiert «Drohkulisse» wohlhabender Kreise gegen Juso-Initiative
  • Am 30. November stimmt die Schweiz über die Juso-Initiative ab
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Dieser Ort klingt nach Landidylle – nicht nach Klassenkampf. Die leise Melodie eines Schwyzerörgelis hallt über den Dorfplatz, der Samstagsmarkt wird gerade abgebaut. In Sarnen OW, im geografischen Herzen der Schweiz, stehen die pittoresken Häuschen in Reih und Glied, in den gepflasterten Gassen grüssen sich alle. Revolution liegt hier bestimmt nicht in der Luft. 

Und doch ist das tiefbürgerliche Obwalden auch die Heimat der obersten Schweizer Jungsozialistin, Mirjam Hostetmann (25). Die Juso-Präsidentin ist hier aufgewachsen und politisiert worden – sie führt Blick einen Nachmittag lang durch Sarnen. Ab und zu winkt sie jemandem zu, hier kennt man sich. Wegen ihrer Politik angesprochen werde sie allerdings fast nie. «Die Leute reden dann wohl eher hinter meinem Rücken über mich», sagt Hostetmann. 

Sie macht die Juso wieder laut

Seit einem Jahr ist Hostetmann auf der nationalen Bühne aktiv. Ende Juni 2024 wurde sie zur Präsidentin der Juso gewählt. Seither ist die Jungpartei wieder lauter geworden. Nach schillernden Figuren an der Juso-Spitze wie Cédric Wermuth (39), Fabian Molina (34) und Tamara Funiciello (35) war Hostetmanns Vorgänger Nicola Siegrist (28) eher unauffällig. Kaum war Hostetmann im Amt, schoss sie scharf gegen Unternehmer Peter Spuhler (66). Er hatte zuvor gedroht, wegen der Juso-Initiative das Land zu verlassen. 

Nun, einen Sommer später, befindet sich Hostetmann voll in den Vorbereitungen für den Abstimmungskampf. Am 30. November stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die «Initiative für eine Zukunft» ab, die Erbschaften und Schenkungen von mehr als 50 Millionen zu 50 Prozent besteuern will. Neben Spuhler haben auch andere Unternehmer öffentlich erklärt, dass sie wegen des Volksbegehrens über einen Wegzug aus der Schweiz nachdenken.

Keine «netten, gütigen Patrons»

Hostetmann lässt sich davon kaum beeindrucken. Zwar entschuldigte sie sich einst dafür, Spuhlers Familie als «steuerkriminellen Familienclan» bezeichnet zu haben – doch die «Drohkulisse», die wohlhabende Kreise gegen ihre Initiative aufbauen, kritisiert sie weiterhin scharf. «Das Ganze ist ein Ablenkungsmanöver. Die Bürgerlichen wollen nicht über die Klimakrise sprechen und darüber, dass die Superreichen und der Kapitalismus dafür verantwortlich sind.»

In der Kampagne will die Jungpartei einzelne reiche Menschen in den Fokus rücken. «Diese Superreichen sind keine netten, gütigen Patrons», sagt Hostetmann. «Menschen wie zum Beispiel Andrej Melnitschenko investieren sehr viel Geld in klimaschädliche Bereiche wie die fossile Industrie, und sie stossen extrem viel CO2 aus.»

Überzeugungstäterin

Mirjam Hostetmann ist durch und durch ein politischer Mensch. Früher hat sie einmal Geige gespielt und gerudert, heute hat sie neben der Politik kaum mehr Zeit dafür. Wenn sie über sich selbst sprechen soll, mündet das ganz schnell in eine lange Kritik am wirtschaftlichen System. Und das politische Engagement gibt ihr auch Sicherheit im Leben: «Früher habe ich an Gott geglaubt», sagt sie. «Jetzt finde ich Halt und Hoffnung in der Politik.»

Trotz ihrer tiefen Überzeugungen kann Hostetmann gut mit anderen Meinungen umgehen. «Meine erweiterte Familie wählt SVP», sagt sie. Bei Familientreffen seien die politischen Differenzen der Elefant im Raum. «Aber zugunsten des Familienfriedens muss man manchmal nicht alles ausdiskutieren.»

Für ihre Politik sei dieser Hintergrund hilfreich. Heute lebt sie zwar unter der Woche in einer linken Stadt, in einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen Juso-Mitgliedern. Aber: «Ich weiss aus erster Hand, dass es sehr viele verschiedene Realitäten gibt in der Schweiz. Und dass ein Grossteil der Menschen anders denkt als ich.» 

«Es ist nicht Sexismus, aber eine Frage der Repräsentation»
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Juso-Präsidentin Hostetmann:«Nicht Sexismus, aber eine Frage der Repräsentation»

Freundliche Differenzen

Auch an diesem Samstag Anfang Juli nimmt sich Hostetmann Zeit für Politik. Vor 27 Menschen spricht sie an einem Podium über die Landwirtschafts- und Verkehrspolitik in Obwalden.

Wobei sie dort auf ziemlich verlorenem Posten steht. Mehrmals versucht sie, eine grundsätzliche Debatte über soziale Ungleichheiten und die Klimakrise anzustossen – doch die Runde hört nur höflich zu und lenkt das Gespräch dann rasch wieder zurück auf kantonale Nachhaltigkeitsprojekte oder die Kommunikationsstrategien von Verkehrsbetrieben. Nur einmal wird die Gesprächsrunde hitzig – natürlich geht es um die Juso-Initiative, es gibt sogar einen Zuruf aus dem Publikum.

Die Initiative bewegt Obwalden – der Kanton gilt als Steueroase. Podiumsteilnehmer und Regierungsrat Josef Hess (64, parteilos) sagt später: «Wir lehnen diese Initiative ab. Wenn man die sogenannten Superreichen undifferenziert schröpft, werden sie ihre Steuern anderswo bezahlen. Die Steuerausfälle müsste dann unser Mittelstand berappen.» Er spreche hier nicht «aus dem Märchenbuch», sagt Hess. «Menschen, die betroffen wären, haben mir das so gesagt.»

Politische Aussenseiterin

Hostetmann kommt gerne zurück in ihren Heimatkanton. Sie mag die Natur, und hier kann sie Energie tanken und entschleunigen. 

Auf Gegenseitigkeit dürfte das nicht beruhen: Hostetmann hält ihre Heimat ordentlich auf Trab. Ihre Positionen sind hier kaum mehrheitsfähig – auch die Chance, von den Obwaldnern und Obwaldnerinnen einmal in den Nationalrat gewählt zu werden, dürfte verschwindend klein sein. Und doch hat sie als Juso-Präsidentin einen anderen Weg gefunden, den Urkanton nervös zu machen.

In Sarnen ist der Dorfmarkt abgebaut, das Schwyzerörgeli verstummt. Jetzt mischt Hostetmann die Innerschweizer Politik mit ganz anderen Tönen auf.

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