Megazoff um Pauschalen
Chirurgen feiern vor Gericht ersten Erfolg gegen den Bundesrat

Bei den ambulanten Pauschalen ist Feuer unter dem Dach. Der Schweizer Chirurgenverband warnt vor Fehlanreizen – und klagt nun vor Bundesverwaltungsgericht. Damit kommt es beim neuen Tarifsystem bereits zu ersten Verzögerungen.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Wie viel dürfen Ärztinnen und Ärzte abrechnen? Ab nächstem Jahr wird dies das Tarifsystem Tardoc festlegen. Die neue Lösung sorgt bei kaum jemandem für grosse Freudensprünge. Besonders die Chirurginnen und Chirurgen sind mit den neuen Abgeltungen alles andere als zufrieden.

Michele Genoni (68), Präsident des Schweizer Dachverbands aller chirurgisch und invasiv tätigen Spezialärztinnen und -ärzte (FMCH), äusserte sich bereits im Oktober gegenüber Blick deutlich: «Mit dem neuen Vergütungssystem droht ein Chaos!» Jetzt zieht der Chirurgenverband vor Gericht – und erreicht im Kampf einen ersten Teilerfolg.

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Die Schweizer Chirurgen ziehen wegen der ambulanten Pauschalen vor Gericht.
Foto: imago images/Westend61

Zwölf Pauschalen treten nicht in Kraft

Der Streitpunkt bleiben die ambulanten Pauschalen, die ab nächstem Jahr eingeführt werden sollen. Sie führen laut den Medizinern zu Fehlanreizen bei der Behandlung, seien ganz einfach nicht wirtschaftlich – und damit auch nicht gesetzeskonform.

Das Bundesverwaltungsgericht ist nun auf eine Beschwerde des FMCH gegen zwölf ausgewählte Pauschalen eingetreten. Dabei handelt es sich etwa um Abgeltungen bei Eingriffen am Hals oder bei Blinddarmentfernungen. Heisst: Das neue Abrechnungssystem tritt bei diesen vorerst nicht in Kraft.

«Der Gang vor Gericht ist unsere Ultima Ratio», sagt FMCH-Präsident Genoni. Weder die für die Pauschalen zuständige Tariforganisation OAAT noch Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61) hätten auf die Vorschläge des Chirurgenverbands reagiert. «Wir klagen auch nicht gegen das gesamte Tarifsystem, sondern nur gegen die extremsten Ausprägungen.»

Bundesrat reagiere trotz Mängeln nicht

Die angefochtenen Pauschalen würden die medizinische Realität und Komplexität der Leistungen nur unzureichend abbilden, so Genoni. «Hier werden einfache Eingriffe mit potenziell lebensbedrohlichen Situationen vermischt.» Gleichzeitig ziehe dies eine systematische Unter- oder Überfinanzierung nach sich.

Damit drohen dem gesamten Gesundheitssystem einschneidende Folgen: Zum einen könnte eine zu tiefe Abgeltung zu sinkender Behandlungsqualität und bei den Patienten zu längeren Ausfällen führen. Zum anderen würde eine Überbezahlung von Eingriffen beispielsweise die Krankenkassenprämien unnötig verteuern.

Im Visier haben die Mediziner nun besonders den Bundesrat: Er habe bereits im April festgestellt, dass die Tarifstrukturen mangelhaft seien und nach der Einführung korrigiert werden müssten. Damit habe er wissentlich ein System in Kraft gesetzt, das teilweise gesetzeswidrig sei, argumentiert FMCH.

Bund sieht sich nicht als zuständig

Beim Bund ist man über das Vorpreschen der Chirurgen alles andere erfreut. Sowieso könne der Bundesrat aktuell bei den Tarifen nicht eingreifen, gab das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gegenüber Blick kund.

Das BAG liess sich dabei zugleich auch noch zu einer verhaltenen Rüge hinreissen: «Die obligatorische Krankenversicherung zielt nicht darauf ab, den Leistungserbringern ein bestimmtes Einkommensniveau zu garantieren.»

Die Chirurgen wehrten sich bereits wiederholt gegen den Vorwurf, nur aufs eigene Portemonnaie zu schauen. Klar ist: Besonders bei den selbstständigen Ärztinnen und Ärzten ist das Einkommensgefälle gross.

Tariforganisation arbeitet bereits an der Revision

Gleichzeitig war sich der Verband im Streit nicht zu schade, auch gegen die Tariforganisation OAAT zu schiessen. Ihr fehle es an Ressourcen, den Ton bestimmten besonders Spital- und Versicherungsökonomen statt medizinische Fachpersonen.

«Der Haussegen zwischen den Chirurgen und der OAAT hängt schon länger schief», sagt FMCH-Vizepräsidentin Charlotte Meier Buenzli (66). Es fehle an einem Projektplan, die Kommunikation sei intransparent. «Eine funktionierende Zusammenarbeit bedingt einen Austausch auf Augenhöhe.»

Um nun zu verhindern, dass die Chirurgen mit ihrer Beschwerde für Abrechnungslücken sorgen, beantragt sie gleichzeitig eine vorsorgliche Massnahme: Statt als ambulante Pauschalen sollen die zwölf Fälle als Einzelleistungen gemäss Tardoc abgerechnet werden.

Dies solle gelten, bis die Pauschalen überarbeitet sind, so die Mediziner. Unabhängig vom Urteil plant die OAAT bereits eine Revision für 2027. Ob diese im Sinne der Chirurgen erfolgt, wird sich noch zeigen.

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