Regierungsrat Pierre Alain Schnegg über das Gesamt-Tarifsystem
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«Es wird rumpeln»:Pierre Alain Schnegg über das Gesamt-Tarifsystem

13-Milliarden-Brocken
Jetzt kommt der neue Arzttarif

Ab 2026 löst der neue Arzttarif Tardoc den bisherigen Tarmed ab. Es geht um ein Kostenvolumen von 13 Milliarden Franken pro Jahr. Die Hausärzte sollen dabei gestärkt werden.
Publiziert: 30.04.2025 um 15:15 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2025 um 17:23 Uhr
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Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider machte Druck für das neue Tarifwerk.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Neues Tarifsystem für ambulante ärztliche Leistungen ab 2026 genehmigt
  • Hausärzte profitieren, Spezialärzte müssen Federn lassen
  • Gesamtkosten sollen jährlich nicht um mehr als 4 Prozent steigen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Nach einem jahrelangen Streit ist der Durchbruch definitiv geschafft! Nachdem sich Ärzte, Spitäler und Krankenkassen auf neues Tarifsystem für ambulante ärztliche Leistungen geeinigt haben, hat der Bundesrat die neuen Tarife nun definitiv genehmigt. Per 2026 treten diese in Kraft – vorerst befristet bis Ende 2028.

Insgesamt geht es um Kosten von rund 13 Milliarden Franken. Das neue System verspricht dabei gerechtere und transparentere Vergütungen und soll Fehlanreize beseitigen.

Der seit 2004 geltende Tarif Tarmed wird dabei ersetzt: Einerseits durch den Tardoc, der für rund 1400 ärztliche Einzelleistungen – zum Beispiel Blutdruckmessen oder eine Blutabnahme – eine Vergütung vorsieht. Andererseits werden für komplexe Behandlungen oder Operationen – beispielsweise eine Darmspiegelung – fixe Preise definiert, die künftig als ambulante Fallpauschalen abgerechnet werden. Dies betrifft 315 Positionen.

Baume-Schneider machte Druck

«Ein wichtiger Meilenstein ist geschafft», freut sich SP-Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61). Sie hatte die verschiedenen Player zum Kompromiss gedrängt und ihnen unverhohlen das Messer an den Hals gesetzt, sollten sie keine Einigung finden. Dann würde der Bundesrat den Tarif selber durchgeben, machte sie letztes Jahr unmissverständlich klar.

Vom neuen System profitieren in erster Linie die Hausärzte, weil Leistungen, die heute nicht kostendeckend sind, künftig besser bezahlt werden. So sollen Hausärzte mehr Geld für Gespräche mit Patienten, Angehörigen, Heimen und Spitex erhalten. Im Gegenzug sinken die Preise für gewisse Leistungen, für welche der alte Tarif überhöht ist. Das trifft vor allem Spezialärzte, die nun Federn lassen müssen.

Kostenanstieg begrenzen

Unter dem Strich soll der Systemwechsel aber kostenneutral sein. Will heissen: Die effektiven Gesamtkosten dürfen unter Berücksichtigung von Teuerung oder Demografie maximal um 4 Prozent jährlich wachsen – pro Kopf maximal um 3 Prozent.

Wird diese Grenze überschritten, müssen die Tarifpartner Korrekturmassnahmen ergreifen. Allerdings wird das Tarifsystem regelmässig analysiert und angepasst. Der Bund spricht von einem «lernenden System», welches regelmässig überarbeitet werden soll. «Das neue System wurde deutlich verbessert, ist aber nicht perfekt», so Baume-Schneider. Bei der Einführung werde es sicher auch noch rumpeln.

Für Patienten kaum spürbar

Für die Patientinnen und Prämienzahlenden sollte der Systemwechsel im Grunde keine grossen Auswirkungen haben. Am ehesten könnten Patienten mit hoher Franchise etwas spüren – abhängig von den Leistungen zahlen sie mal mehr, mal weniger aus dem eigenen Sack. Unter dem Strich dürfte sich das finanziell aber ausgleichen.

Für Diskussionsstoff sorgen hingegen Fallpauschalen, die im Vergleich zu Einzeltarifen weniger einschenken. Denkbar wäre hier, dass gewisse Ärzte nicht kostendeckende Behandlungen meiden und sich nur auf profitable Eingriffe konzentrieren. Baume-Schneider warnt die Ärzteschaft davor, das neue Tarifsystem derart auszunützen. Dass einem Patienten die Behandlung gar verweigert werden könnte, glaubt sie jedenfalls nicht.

Klar ist aber, dass das neue Tarifsystem die Grundversorger stärken soll. Das könnte Medizinern einen Anreiz bieten, sich für den Job als Hausärztin oder Kinderarzt zu entscheiden. Allerdings bleibt offen, ob damit dem Hausärztemangel entgegengewirkt werden kann. Immerhin ein Puzzlestück dazu könnte es sein.

30.04.2025, 16:08 Uhr

Könnten die Kosten aus dem Ruder laufen?

Die Krankenversicherung kostet insgesamt 52 Milliarden, zumindest im Jahr 2023 wurden Leistungen in diesem Umfang abgerechnet, das hat das Bundesamt für Statistik herausgegeben. Wie kann aber Kostenneutralität des neuen Tarifsystems garantiert werden, wenn die generelle Kostensteigerung der Krankenversicherung gar nicht vorhergesagt werden kann? 

Thomas Christen erklärt: Die Prämien der nächsten Jahre müssten auf jeden Fall eingepreist werden. «Wir haben eine gewisse Garantie, dass die Kostensteigerung nicht höher als 3 Prozent pro Person oder nicht höher als 4 Prozent insgesamt sein wird», sagt er.

Mit der Beantwortung dieser Frage ist die Medienkonferenz zum Thema beendet.

30.04.2025, 16:01 Uhr

«Von einer Feuerwehrübung kann man nicht sprechen»

«Von einer Feuerwehrübung kann man nicht sprechen, Tadoc wurde 2020 erstmals eingereicht, die Pauschalen erstmals 2021», so Thomas Christen, Stellvertretender Direktor des BAGs. Das BAG habe die beiden Strukturen gleich behandelt und zu beiden Tarifstrukturen Prüfberichte beziehungsweise Prüfbriefe eingereicht. «Wir haben stark darauf geachtet, Tardoc und Pauschalen gleich zu behandeln», so Christen.

30.04.2025, 15:56 Uhr

Einführung unter Kritik

Ist die Einführung im Jahr 2026 angesichts der vielen Vorwürfe – auch von Seiten der Ärztinnen und Ärzte – übereilt? «Ich habe mehrere Briefe bekommen, meine Kollegen aus dem Bundesrat auch. Ich akzeptiere die Einschätzung, ich sehe diese aber nicht als Vorwürfe.», kommentiert Baume-Schneider.

Diese Kritik würde aber auch mit einer Verantwortung kommen, so Baume-Schneider. Sie ruft die entsprechenden Akteure dazu auf, zu dokumentieren, festzuhalten und offenzulegen, was konkret am neuen Tarifsystem nicht funktioniere. Erst dann sei es möglich, die entsprechenden Punkte anzupassen.

Ausserdem betont die Bundesrätin, dass die Struktur wie sie eingeführt werden soll, in dieser Form von den Tarifpartnern vorgeschlagen und auch mitgetragen wurde.

30.04.2025, 15:50 Uhr

Könnte den Leuten künftig Behandlungen verweigert werden?

Eine weitere Frage eines Journalisten spricht die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger an. Muss man mit der Revision Angst haben, dass einem in der Arztpraxis die Behandlung verweigert wird? Die Bundesrätin verneint das klar. Sogar das Gegenteil sei der Fall, man wolle gute und faire Konditionen für alle erreichen. 

30.04.2025, 15:45 Uhr

Können Fehler schnell korrigiert werden?

Auf Nachfrage, ob eventuelle fehlerhafte Pauschalen vor dem neuen Jahr noch angepasst werden könnten, betont die Bundesrätin erneut den Meilenstein dieser Einführung der neuen Tarife. Auch betont sie nochmals, dass das neue System eben dynamisch sein soll. Innerhalb dieser drei befristeten Jahre – also bis 2028 – sollen Adaptionen stattfinden.

30.04.2025, 15:41 Uhr

Schnegg geht auf Listen-Spekulationen ein

Es würden bereits Listen kursieren, deren Behandlungen mit den Pauschalen nicht mehr kostendeckend seien. Diese Listen beinhalteten anscheinend auch Handlungsempfehlungen, welche Behandlungen in den Arztpraxen nicht mehr durchgeführt und demnach an Spitäler weitergegeben werden sollen. «Ich möchte hier explizit dafür plädieren, auf solche Reaktionen und Optimierungen zu verzichten», stellt Schnegg klar.

30.04.2025, 15:39 Uhr

«Akteure sollen das neue System nicht ausnützen»

Die OAAT würde alles daran setzen, die Tarife stets zu optimieren. Unterjährige Tarifänderungen seien aber nicht angezeigt, so Pierre Alain Schnegg. Änderungen benötigen eine solide Datengrundlage und auch der Prozess der Genehmigung der Tarifpartner und Bundesrat benötigten Zeit. Die ambulanten genehmigte Tarife müssten laufend angepasst werden, das wäre allen bewusst. «Die OAAT setzt darauf, dass nicht einzelne Akteure das neue System ausnützen oder zu Lasten der Patienten optimieren.» 

30.04.2025, 15:31 Uhr

OAAT erleichtert

Regierungsrat Pierre Alain Schnegg dankt dem Bundesrat im Namen der Organisation ambulante Arzttarife (OAAT) und ihrer Aktionäre. «Der heutige Entscheid ist ein weiterer wichtiger Schritt für das Gesundheitswesen.» Dennoch war es eine Herausforderung, alle Vorlagen umzusetzen und sich mit den Tarifpartnern auf eine Lösung zu einigen. «Und dies in Kenntnis der Kritik gewisser Kreise», merkt Schnegg an.

30.04.2025, 15:29 Uhr

Umsetzung wird herausfordernd

Trotz Herausforderung, die bei der Umsetzung der neuen Revision auf alle zukommen wird, appelliert die Gesundheitsministerin an alle Parteien des Gesundheitswesens, die Umsetzung der Tarife mitzutragen. «Die neue Tarifstruktur ist ein bedeutender Schritt. Aber eben nur ein Schritt.», wie Baume-Schneider es formuliert. Es könne nicht alles zur Zufriedenheit aller geregelt werden. Die Akteure sollen ihre Kritik anbringen, aber auch die nötigen Schritte unternehmen, um Mängel im System zu beseitigen.

30.04.2025, 15:26 Uhr

«Es ist nicht perfekt»

Baume-Schneider spricht beim Kompromiss um die neuen Tarifsysteme von einer deutlichen Verbesserung im Vergleich zum Jahr 2024. Dennoch müsse man ehrlich sein. «Es muss deutlich gesagt werden: Es ist nicht perfekt». Unter anderem deshalb habe der Bundesrat entschieden, die Revision befristet zu genehmigen.

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