Darum gehts
- Chirurgen unzufrieden mit ambulanten Pauschalen, Patientensicherheit könnte gefährdet sein
- Bundesrat kann nicht direkt eingreifen, wirft den Ärzten jedoch Eigennutz vor
- OAAT arbeitet an Verbesserungen, erste Revision bis 2027 geplant
Die Unzufriedenheit der Schweizer Chirurginnen und Chirurgen wächst bereits seit Monaten. Die ambulanten Pauschalen, die ab Anfang nächstem Jahr in Kraft treten, seien in vielen Fällen nicht sachgerecht, monieren sie. Und sie gefährdeten gar die Patientensicherheit, etwa in der Anästhesie.
Im Fokus: die Organisation ambulante Arzttarife, kurz OAAT, ein Zusammenschluss der Tarifpartner. Heisst: Spitäler, Versicherer und Mediziner. Auch die Kantone haben Einsitz. In der Erarbeitung der neuen Vergütungen wurden rund 500 Änderungsanträge eingereicht – behandelt wurden sie bisher nur teilweise. Nimmt die Organisation die Bedenken zu wenig ernst? Oder geht es beim Unmut aus den Fachkreisen bloss ums eigene Geld? Klar ist: Im Zoff um die Arzttarife liegen die Nerven blank.
Bundesrat könne nicht eingreifen
Der Bund kann zwar nicht direkt in die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern eingreifen, muss jedoch ihre Entscheide genehmigen. Die Chirurginnen und Chirurgen fordern daher über ihren Verband FMCH von Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61, SP), dass sie sich stärker für gerechte Pauschalen einsetzt.
Ihr Departement will davon jedoch nichts wissen. «Eingriffe in den Tarif sind nur unter restriktiven Voraussetzungen möglich, die aktuell klarerweise nicht gegeben sind», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Anfrage.
Und: Es vermutet stattdessen, dass die Ärztinnen und Ärzte vor allem aus Eigennutz protestieren. «Die obligatorische Krankenversicherung zielt nicht darauf ab, den Leistungserbringern ein bestimmtes Einkommensniveau zu garantieren», so das Bundesamt. Das ist, wie es sich für eine Behörde gehört, zurückhaltend formuliert. Auf gut Deutsch heisst der Satz: Die Chirurgen haben bereits genug Geld.
Bei der Wahl der Behandlungen dürften die Mediziner also nicht nur aufs eigene Portemonnaie schauen, so das BAG. Für die Vergütung der Leistungen würden Tarife vereinbart, «die wirtschaftlich sind und dabei höchstens die Kosten einer effizienten Leistungserbringung decken».
Chirurgen monieren zu wenig Know-how
Genau das bemängeln die Chirurginnen und Chirurgen jedoch: Mit den neuen Pauschalen könnten viele Behandlungen nicht mehr wirtschaftlich und kostendeckend durchgeführt werden. Sie würden also direkt dem gesetzlichen Auftrag widersprechen. Wenn kleinere Praxen als kompliziertere Eingriffe nicht mehr stemmen könnten, würden diese in den Spitälern landen – und zu höheren Kosten führen.
Die Tariforganisation OAAT ist sich der Kritik bewusst – plädiert jedoch auf Geduld. «Wir arbeiten mit allen verfügbaren Ressourcen an der Weiterentwicklung der Pauschalen», schreibt sie auf Anfrage. Bereits im Juli überwies die Organisation gewisse Verbesserungen der Tarifstruktur an den Bundesrat. Die Forderungen der FMCH, beispielsweise im Bereich der Anästhesie, seien dabei zwar diskutiert, von den Tarifpartnern aber verworfen worden.
Laut FMCH zeige dies, dass es der Organisation an medizinischem Fachverständnis fehlt. «Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte versucht zwar ihr Bestes, stellt im Gremium jedoch eine Minderheit dar», kritisiert Michele Genoni (68), Präsident des Chirurgen-Verbands. Heisst: Den Ton bestimmten stattdessen die Spital- und Versicherungsökonomen. Zudem fehle es der OAAT ganz einfach an den Ressourcen, um effizient zu arbeiten.
Tariforganisation arbeitet an Verbesserungen
Die Tarifvereinigung gelobt Besserung. Sie befinde sich seit Januar 2024 im Aufbau und sei stetig daran, die personellen Ressourcen, auch im ärztlichen Bereich, zu erweitern. Sie stellt jedoch auch klar: «Die FMCH war und ist bei sämtlichen Arbeitstreffen vertreten und ist über den Stand der Arbeiten der Weiterentwicklung der Pauschalen in den betreffenden Bereichen sehr gut informiert.» Untätigkeit will sich die Organisation also nicht vorwerfen lassen.
Auch der Bundesrat habe bereits an mehreren Stellen an alle Akteure des Gesundheitswesens plädiert, den Tarifwechsel mit Geduld zu begleiten, so das BAG. «Das neue Tarifsystem ist dynamisch und entwickelt sich stets weiter.»
Die OAAT gibt den Fachärzten ebenfalls einen Hoffnungsschimmer: Eine erste Revision sei bereits in Arbeit und soll bis 2027 eingeführt werden. Laut ihrer «Roadmap», die durch die Tarifpartner gemeinsam bestimmt wurde, könnten auch bei der zweiten Revision bis 2028 einzelne ärztliche Fachgesellschaften noch vertiefter einbezogen werden.