«Ich habe sehr wohl zugehört»
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Karin Keller-Sutter:«Ich habe sehr wohl zugehört»

Leak zu Keller-Sutters Zoll-Gespräch mit Trump
Jetzt wehren sich die Amerikaner!

Die Blick-Enthüllungen über Keller-Sutters Telefonat mit Donald Trump kommen in Washington schlecht an. Dort heisst es: Vermasselt hats die Bundespräsidentin. Sie soll den US-Präsidenten nachhaltiger verärgert haben als bislang bekannt.
Publiziert: 00:12 Uhr
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Im Orkan der Weltpolitik: Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter.
Foto: Sébastien Agnetti/13PHOTO
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Er nannte es Tag der Befreiung. Am «Liberation Day», dem 2. April, kündigte US-Präsident Donald Trump (79) der Welt seine Einfuhrzölle an. Ein paar Monate später erlebte die Schweiz den Tag des Zorns.

Seit dem 1. August drangsalieren uns die Amerikaner mit 39 Prozent Preisaufschlag für helvetische Exporte. Und die Nation fragt sich: Was hat Trump bloss gegen uns? Schlechter stehen nur Brasilien, Indien, Syrien, Laos und Myanmar da.

Jeder diplomatische Rettungsversuch war vergebens: Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) blieb nichts übrig, als lange Gesichter zu machen und der Öffentlichkeit diese aussenpolitische Pleite zu erklären.

Ärger im Umfeld des Weissen Hauses

Die Alpenrepublik hinterfragt in diesen Tagen ihr Selbstverständnis. In der kollektiven Nabelschau geht es immer wieder um Keller-Sutters 34-minütiges Telefonat mit dem US-Präsidenten vom 31. Juli. Am vergangenen Wochenende machte Blick Details aus diesem Gespräch publik: Der Amerikaner äusserte sich dabei unflätig gegenüber seiner Gesprächspartnerin, stellte Geldforderungen auf und äusserte sich herablassend über seine eigenen Unterhändler.

Die Enthüllung blieb nicht ohne Folgen. Personen, die sich im Umfeld der US-Regierung bewegen und direkt oder indirekt an den bilateralen Kontakten zwischen Washington und Bern mitgewirkt haben, reagieren verärgert auf das Leak. Nach dem Tenor: Die kolportierten Inhalte mögen zwar der Wahrheit entsprechen, aber: «There’s another side of the story.» Es gebe da noch eine andere Sicht der Dinge. Und zwar eine amerikanische.

Blick sprach mit Informanten, die persönlichen Zugang zu Mitgliedern von Trumps Kabinett haben – und zum Präsidenten selber. Die Auskunftspersonen hatten Einsicht in das Telefonprotokoll der Amerikaner. Laut dieser Darstellung spielt Keller-Sutters Intervention, ihr Telefongespräch mit Trump, eine weitaus entscheidendere Rolle beim Scheitern des Handelsdeals als bisher bekannt: Nach amerikanischer Deutung war es einzig dieser Anruf der Bundespräsidentin und nichts anderes, der zum Fiasko führte.

«Bill Clinton hätte nach zehn Minuten aufgehängt»

Was bereits aktenkundig ist: Keller-Sutter brachte den US-Präsidenten mit ihrer Reaktion auf dessen Hinweis zum 40-Milliarden-Defizit im Handel mit der Schweiz auf die Palme. Statt Trump zu schmeicheln und ein tieferes Defizit zu versprechen, korrigierte sie ihn – sachlich nachvollziehbar, dennoch ein fataler diplomatischer Fehler. «Sie hat mir nicht zugehört», klagte Trump später bei einem Auftritt. Die Folge dieser narzisstischen Kränkung: Die Eidgenossenschaft ist heute praktisch das einzige Land, das trotz intensivem Lobbying einen höheren Zollsatz hat als zuvor.

Laut Blick-Informanten entwickelte sich der Eklat um einiges dramatischer als bisher bekannt. Keller-Sutter korrigierte Trump demnach nicht bloss, sondern demütigte ihn – so die Auffassung in Washington – mit einem gefühlt halbstündigen Crashkurs in Volkswirtschaft und politischer Ökonomie. Der Vortrag muss ihn dermassen in Zorn versetzt haben, dass er den Quellen gemäss unmittelbar nach dem Telefonat seinen Mitarbeitern signalisierte, nie mehr mit dieser Politikerin verhandeln zu wollen.

Im Weissen Haus sei an jenem Vorabend des 1. August klar gewesen: Solange Keller-Sutter Präsidentin ist, werde die Schweiz keine tieferen Zölle erhalten. «Er hat endgültig genug von ihr», sagt eine Auskunftsperson: «He’s done with her.» Und ein weiterer Insider erklärt: «Noch nie liess sich ein amtierender US-Präsident über eine halbe Stunde von der Präsidentin eines anderen Landes so behandeln. Bill Clinton hätte nach zehn Minuten aufgehängt. Auch Barack Obama hätte sich das nicht gefallen lassen.»

Trump: «Das ist ein persönliches Problem»

Die Kritik richtet sich auch gegen Keller-Sutters Äusserungen nach dem Gespräch mit Trump: Das Wort Diebstahl im Zusammenhang mit der negativen Handelsbilanz habe der Präsident nie in den Mund genommen, wie aus dem Protokoll hervorgehe.

Donald Trump nahm die Sache anscheinend sehr persönlich, wie er später mehrmals unterstrich. Sowohl intern wie auch bei Auftritten wiederholte er gemäss Quellen zum Zollstreit mit der Schweiz: «This is not a country problem. It's a personality problem.» Auf Deutsch: Das ist kein Länderproblem, sondern ein Persönlichkeitsproblem.

Es ist nicht auszuschliessen, das Trump mit seiner Aussage den Fall hinunterspielen will. In der Konsequenz würde sie aber bedeuten: Will die Schweiz noch einen Deal herausholen, sollte sie jemand anderen beauftragen. Wobei auch erwähnt werden muss, dass derselbe Donald Trump Keller-Sutter im Nachgang als «nett» bezeichnete und behauptete, er habe sich ursprünglich gar nicht an sie erinnern können («I did not know her»).

«Ich wusste nicht, wer sie ist»
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Zoll-Interview im Video:Trump über Keller-Sutter: «Ich wusste nicht, wer sie ist»

In einem Interview mit Blick im Juli sagte Keller-Sutter über ihren Umgang mit Männern mit grossen Egos: «Ich bin mit drei älteren Brüdern aufgewachsen. Wir teilten zusammen ein Zimmer. Das prägte mich. Ich musste mich unterordnen. Ich musste aber auch kämpfen. Ich musste immer gute Argumente haben.» An jenem denkwürdigen Abend des 31. Juli hatte sich die Vollblutpolitikerin verrechnet. Am Apparat war nicht einer ihrer Brüder, sondern der Jahrhundert-Zampano Donald Trump, der sich als Herr über Wolken und Gestirne sieht.

Gegenbeispiel Ursula von der Leyen

Nun stehen unangenehme Fragen im Raum: Brachte Keller-Sutter die Verhandlungen mit den USA im Alleingang zu Fall? Versetzte ein unbedachter Call von «KKS» die schweizerische Sonderfall-Mentalität ins Wanken? Das Trump-Telefonat könnte zum Fanal für die Karriere der erfolgsverwöhnten FDP-Magistratin werden, deren politischer Weg bisher immer nur bergauf ging – von ihren Tagen als St. Galler Sicherheitsdirektorin und Hooligan-Bekämpferin bis hin zur Abwicklung der CS-Krise als Finanzministerin.

Ein Gegenbeispiel zur schweizerischen Telefon-Pleite liefert Ursula von der Leyen (66). Die EU-Kommissionspräsidentin startete im Zollstreit ohne jeden Kredit im Weissen Haus. Der US-Präsident hält wenig von ihr. Anfänglich misslangen auch ihre Versuche, die Europäer auf eine gemeinsame Anti-Trump-Strategie einzuschwören. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (47), Deutschlands Kanzler Friedrich Merz (69) und Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni (48) reisten stattdessen selber ins Weisse Haus, gingen auf Distanz zu von der Leyen und schlugen wohlwollende Töne an. Worauf die Kommissionspräsidentin instinktsicher einen Kurswechsel einschlug, auf die Linie der Staatschefs umschwenkte und bewirkte, dass die in Washington gering geschätzte Europäische Union mit 15 Prozent Zöllen davonkommt.

Auch die Gegenseite hat ihre Agenda

Politik ist allerdings nie schwarz-weiss, schon gar nicht in Bezug auf die heutigen USA. Auch die Gegenseite hat ihre Agenda: Zahlreiche Akteure, die am Dossier beteiligt sind, stehen nach dem Zollschock mit abgesägten Hosen da – nicht zuletzt Trumps Minister, die sich durch die veröffentlichten Gesprächspassagen desavouiert sehen. Sie haben lebhaftes Interesse daran, Bundespräsidentin Keller-Sutter die Verantwortung für das Scheitern zuzuschieben. Und bei aller Brisanz des Geschehens bleibt ein Fakt unumstösslich: Den Entscheid, einen 39-Prozent-Zoll gegen die Schweizer Wirtschaft zu erheben, fällte einzig und allein Donald Trump. Nicht US-Finanzminister Scott Bessent (63), nicht Handelsminister Howard Lutnick (64), nicht der US-Handelsbeauftragte Jamieson Greer (45), nicht Keller-Sutter und auch nicht SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (39), Bundesrat Beat Jans (61) oder dessen Ehefrau. Dazu gilt, was Keller-Sutter schon mehrfach selbst betonte: Sie handelte stets im Interesse ihres Landes. Auch während dieser 34 Minuten.

Besonders schmerzhaft ist die Ohrfeige aus Washington aber auch, weil die zwischenstaatlichen Verhandlungen im Vorfeld des Eklats auf beiden Seiten noch immer explizit gelobt werden. Sowohl das Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin (65), das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco als auch Keller-Sutters Finanzdepartement hätten ausgezeichnete Arbeit geleistet, heisst es im Umfeld der US-Regierung. Für die Schweiz sei ein Zoll zwischen 10 und 15 Prozent in greifbarer Nähe gewesen, ist man dort überzeugt.

Positive Signale im Streit um die Pharmabranche

Dass die Amerikaner durch Indiskretionen aus der Schweiz schlecht wegkommen, sorgt jetzt auf der anderen Seite des Atlantiks für Ärger – dem Vernehmen nach bis ins Umfeld von US-Finanzminister Bessent. Ebenso wenig hilfreich sind Gerüchte über Animositäten zwischen der Bundespräsidentin und Seco-Chefin Helene Budliger Artieda (60), die in Bern herumgereicht werden. Das angebliche US-Reiseverbot für Budliger, das Keller-Sutter verlangt haben soll, hat sich mittlerweile als Falschmeldung erwiesen.

Hoffnung liefern die Gespräche mit US-Quellen für die Pharmabranche: Ihre Erzeugnisse machen den Löwenanteil der Schweizer Exporte aus – und mit ihrer Strategie des «Onshoring», der Verlagerung der Produktion in die USA, bereiten sie den Boden für eine Einigung mit Washington. Zudem gibt es Signale dafür, dass die US-Regierung ab Herbst wieder beginnen will, sich mit den bisher unerledigten Handelsabkommen zu befassen. Auch das würde eine Chance für die Schweiz bedeuten.

Keller-Sutters Finanzdepartement hat abgelehnt, die neueren Entwicklungen zu kommentieren, und fügt an, dass man keine Indizien über eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Weissen Haus habe. Dass die Bundespräsidentin in Washington Persona non grata sei, wird in Schweizer Diplomatenkreisen bestritten. Der Eklat wird dort auch als möglicher Teil der US-Verhandlungstaktik gedeutet. Sicher ist ohnehin nur eines: Die Sache hängt ausschliesslich von Donald Trump ab, bei dem das neue Schweizer Angebot auf dem Tisch liegt. Und wie unberechenbar Trump ist, hat er der Welt x-fach bewiesen.

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