«Ein Vertrag ist ein Vertrag, sollte man meinen»
2:03
Rüstungschef Urs Loher:«Ein Vertrag ist ein Vertrag, sollte man meinen»

F-35-Debakel geht weiter – es wird nochmals teurer
Statt Kampfjets gibts nackte Flugzeuge

Anders als vom Bundesrat versprochen, ist im Fixpreis für die US-Kampfjets kaum Bewaffnung enthalten. Die vollständige Ausrüstung wird zusätzlich kosten. Derweil rechnet der Chef der Armee damit, dass Washington hart bleibt.
Publiziert: 00:35 Uhr
|
Aktualisiert: vor 11 Minuten
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/8
Trotz allem gut drauf: Viola Amherd und ihr Nachfolger Martin Pfister.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Viola Amherd verabschiedet sich als Bundesrätin, F-35-Debakel nicht thematisiert
  • Neue Ungereimtheiten beim F-35-Kauf: unzureichende Bewaffnung und steigende Kosten
  • USA fordern bis zu 1,3 Milliarden Franken mehr für F-35. Armeechef Thomas Süssli sieht wenig Chancen, das abzuwenden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Am Tag des Abschieds ertönt nur Gutes über die alt Bundesrätin: Die Mitte-Delegierten halten sich eisern an diese ungeschriebene Regel. Für Viola Amherd (63) gibt es in Bern Nettigkeiten und Standing Ovations. Die Walliserin zeigt sich an der Delegiertenversammlung bestens gelaunt. Sie gluckst ausgelassen mit alt Bundesrätin Doris Leuthard (62), plaudert mal mit dem abtretenden Parteichef Gerhard Pfister (62), mal mit ihrem Bundesratsnachfolger Martin Pfister (61).

Kritik? Gar Selbstkritik? Fehlanzeige! Das F-35-Debakel ist kein Thema. «Wir haben uns erfolgreich in die Europa- und Sicherheitspolitik eingebracht», sagt Gerhard Pfister und dankt Amherd für ihre Tätigkeit. Später sagt die Walliserin, sie habe ihr Amt «nach bestem Wissen und Gewissen» ausgeführt – «zum Wohl der Bevölkerung». 

«Die Warnungen der EFK müssen ernster genommen werden»

Bevor Amherd um 12.52 Uhr zusammen mit Doris Leuthard im Lift entschwindet, sagt sie zu Journalisten: «Der Bundesrat hat an der Medienkonferenz gesagt, was es zu sagen gibt.» Im Gespräch mit Blick lobt Gerhard Pfister den neuen Bundesrat Martin Pfister dafür, Robert Scheidegger (59) von der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) abgeworben und ins Verteidigungsdepartement (VBS) geholt zu haben. «Die Warnungen der EFK müssen künftig ernster genommen werden», findet Gerhard Pfister.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Der neue VBS-Chef Martin Pfister ist weniger als 100 Tage im Amt, aber längst in den Niederungen der Realität angekommen. Einen Honeymoon gabs nicht, bei der Amtsübergabe informierte ihn Amherd über die US-Forderungen nach mehr Geld für die F-35. Im April informierte Pfister den Gesamtbundesrat – und im Juni erneut, nachdem die USA eine Preisspanne genannt hatten.

Thomas Süssli: USA werden hart bleiben

Und jetzt? Der Chef der Armee, Thomas Süssli (58), rechnet damit, dass die Amerikaner hart bleiben und mehr Geld fordern werden. «Denken Sie, die amerikanischen Staatsbürger sind bereit, für die Schweiz eine Milliarde zu übernehmen? Die mit dem roten Käppli, wo MAGA (Make America Great Again) draufsteht?», fragte Süssli am Samstag bei einem Miliz-Anlass.

Die Antwort gab er selbst: «Nein, natürlich nicht. Die USA übernehmen nicht eine Milliarde für die Schweiz.» Zugleich verteidigte Süssli die F-35-Anschaffung. Es handle sich um den besten und billigsten Kampfjet. Die israelische Armee habe erst im Iran gezeigt, wie effizient die F-35 sei. Und italienische F-35-Kampfjets sicherten bereits heute im Baltikum den Luftraum an der russischen Aussengrenze. 

Diese Politiker versicherten uns den Fixpreis
1:19
Preis-Explosion bei Ami-Jet:Video zeigt, wie uns Politiker den Fixpreis versicherten

Nackter Kampfjet

Was Süssli und das VBS verschweigen: Das F-35-Debakel dürfte noch viel schlimmer werden, fast täglich kommen neue Ungereimtheiten ans Licht. Nicht nur, dass die Amerikaner bis zu 1,3 Milliarden Franken mehr verlangen: Im Paket ist auch manches nicht enthalten, was zu einem Kampfflugzeug gehört. Wie Blick-Recherchen zeigen, ist im Vertrag nur eine rudimentäre Bewaffnung vorgesehen.

Mit den sechs Milliarden Franken erhält die Schweiz nicht einmal für alle Flugzeuge eine Bombe. Nur für 24 Jets ist eine solche im Preis inbegriffen. Dies sagt ein Insider und ergänzt, dass zudem keine sogenannten Amraam-Raketen – radargelenkte Luft-Luft-Lenkwaffen mittlerer bis hoher Reichweite – bei der Ausrüstung dabei seien. «Diese müssen also später separat bezahlt werden.» Eine einzige als Sidewinder bezeichnete Luft-Luft-Rakete – diese dient für kurze Distanzen – werde pro Jet mitgeliefert.

Die USA liefern der Schweiz also in der Grundausstattung nicht Kampfjets, sondern ziemlich nackte Flugzeuge. Die Zürcher SP-Nationalrätin und Präsidentin der sicherheitspolitischen Kommission (SiK), Priska Seiler Graf (56), sagt dazu: «Die Kampfjets sind mit dieser Ausrüstung faktisch nahezu unbewaffnet.»

Andere Versprechen

Das steht im Widerspruch zu den Darstellungen des VBS, das auf seiner Website festhält, «nebst Flugzeugen auch einsatzspezifische Ausrüstung, Bewaffnung und Munition» sowie weitere Leistungen für die sechs Milliarden Franken zu erhalten. Das Bundesamt für Rüstung Armasuisse lässt dazu über Sprecher Kaj-Gunnar Sievert ausrichten: «Mit der Armeebotschaft 2022 sind 107 Millionen Franken für Kurzstrecken-Luft-Luft-Lenkwaffen sowie Präzisionsmunition für den Fähigkeitsaufbau für Luft-Boden-Einsätze budgetiert worden.» Gewisse Waffensysteme müssten nach der Ausmusterung der jetzt benutzten F/A-18-Kampfflugzeuge neu beschafft werden, sagt Sievert. «Das ist eingeplant.» Andere für die F/A-18 beschaffte Raketen könnten bis in die 2040er-Jahre weiterverwendet werden. 

Für die vollständige Ausrüstung aller Jets mit Bomben sowie den Kauf von Langstrecken-Lenkwaffen werden aber mehrere Hundert Millionen Franken nötig sein. Davon war laut SiK-Präsidentin Seiler Graf nicht die Rede, man sei von anderen Voraussetzungen ausgegangen.

Einbussen mit Offset-Geschäften

Das gilt auch für ein weiteres Feld: Als Gegenleistung für das F-35-Geschäft garantierten die USA einen Handel im Wert von 4,2 Milliarden Franken, von denen die Schweizer Rüstungsindustrie profitieren sollte. Weil der Dollar gegenüber dem Franken aber deutlich verlor, hätten sich über 600 Millionen Franken zulasten der Schweizer Rüstungsindustrie «in Luft aufgelöst», wie es ein Insider ausdrückt. Dabei sei es unüblich, dass Offset-Geschäfte in Dollar abgeschlossen würden.

Ignorante Aufsicht

Für den neuen Verteidigungsminister Martin Pfister wird der Kampfjet-Kauf unverschuldet zum Spiessrutenlauf. Seine Vorgängerin Viola Amherd hatte stets versichert, der Fixpreis sei von den Amerikanern garantiert. Bedenken der Finanzkontrolle hatten der Bundesrat und Armasuisse im Jahr 2022 als unbegründet taxiert.

Aber auch die parlamentarischen Aufsichtskommissionen sahen keinen Anlass, aktiv zu werden. Die SiK von National- und Ständerat waren grossmehrheitlich dagegen, Empfehlungen der Finanzkontrolle nachzugehen. Die beiden Finanzkommissionen sahen ebenso wenig Anlass dazu, und die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission verhedderte sich mit der parlamentarischen Finanzdelegation in der Frage über die Zuständigkeit.

Kein Ende in Sicht

Das rächt sich nun bitter. Zum steigenden, nicht mehr fixen Fixpreis, den Kosten für die Bewaffnung sowie den Währungsverlusten werden höhere Ausgaben für die Infrastruktur, den Betrieb und die Wartung kommen. Auch darauf hatte die Finanzkontrolle vor drei Jahren aufmerksam gemacht. 

Ein Blick über die Grenzen trägt wenig zur Beruhigung bei: In Dänemark fallen die Betriebskosten für den F-35 um 50 Prozent höher als erwartet aus, und Norwegen rechnet über einen Zeitraum von 30 Jahren mit Betriebsausgaben, die den Kaufpreis um den Faktor 2,5 übersteigen. Die Schweiz geht von einem Faktor von weniger als 2 aus.

Die F-35 dürfte Amherds Nachfolger Martin Pfister noch lange wie ein Fluch verfolgen.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?