Darum gehts
- Behörden setzen auf Nudging statt Verbote bei Baustelle am Guisanplatz
- Öko-Schild appelliert ans Gewissen potenzieller Sprayer und Vandalen
- Bundesrat sieht Nudging als Alternative zu Verboten seit Ende 2020
Drohgebärden? Fehlanzeige! Hier werden Graffiti-Sprayer nicht mit Verboten eingedeckt. Auf der Grossbaustelle des Bürokomplexes des Bundes am Berner Guisanplatz setzen die Behörden auf einen Trick: Statt den üblichen Warntafeln prangt an der langen Bauwand ein ungewöhnliches Schild. Es spricht kein Verbot aus, sondern appelliert diskret ans Gewissen potenzieller Sprayerinnen und Vandalen.
Auf dem Titel des Schildes steht: «Ich bin öko!» Dazu der Text: «Diese Bauwand ist aus naturbelassenem Schweizer Vollholz. Wird sie versprayt oder beklebt, muss sie als Sondermüll entsorgt und verbrannt werden.» Der Bauherrschaft sei wichtig, nachhaltig zu bauen. Danach eine «Bitte», höflich formuliert: «Seid auch öko, lasst die Wand natürlich schön.» Und schliesslich wird auch noch gedankt. Angebracht hat die Tafel das zuständige Bundesamt für Bauten und Logistik.
Verhalten in bestimmte Richtung lenken
Nicht gleich ein Verbot aussprechen, nicht gleich Strafen androhen – sondern sanft und freundlich Hinweise setzen. Fachleute sprechen da auch von Nudging. Mit einem «Anstupser» soll ein Verhalten in eine bestimmte – das heisst: erwünschte – Richtung gelenkt werden.
Auf den ersten Blick mag das plump wirken. Doch Nudging ist eine psychologische Strategie, die als gut erprobt gilt. Der Ansatz stammt aus der sogenannten Verhaltensökonomie. Die Anstupser zielen auf Verhaltensmuster im Unterbewusstsein. Eine beliebte Spielart: das Wecken eines schlechten Gewissens.
Der Bundesrat sieht Nudging gar «als Alternative zu Regulierungen mit einem höheren Interventionsgrad wie Verbote oder Obligatorien», wie er bereits Ende 2020 festhielt. Im Fall der Tafel am Berner Guisanplatz könnte man es auch so formulieren: Eine Bauwand wird zum Prüfstein fürs grüne Gewissen stilisiert. Wer sprayt, begeht nicht nur eine Sachbeschädigung, sondern zerstört wertvolles Holz und schadet der Umwelt!
Die Prüfung fürs grüne Gewissen
Ähnliche Nudging-Strategien finden sich in anderen Bereichen. Auf städtischen Grünflächen etwa warnen Schilder mit Texten wie «Ich wachse für dein Klima» oder «Hier summt die Zukunft» vor dem Betreten – sie wirken harmloser als ein «Rasen betreten untersagt».
Ob die Botschaft ohne fettes «Verboten!» auch bei der Baustelle des Bundes wirkt? Momentan zumindest scheint alles intakt. Keiner will schuld sein, wenn die Öko-Wand im Ofen landet. Laut Bauherrschaft soll die Vollholzwand nicht einfach nur Absperrung und Schutzmassnahme gegen Lärm sein, sondern «die erste architektonische Visitenkarte für das dahinterstehende moderne Bürogebäude».