Darum gehts
- Alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz spricht über Sparpolitik und aktuelle Herausforderungen
- Merz betont Wichtigkeit von Beharrlichkeit in internationalen Verhandlungen
- Merz baute während seiner Amtszeit 20 Milliarden Franken Schulden ab
Kurz nach dem Klingeln steckt Hans-Rudolf Merz (82) den Kopf aus der Tür. «Ich chaufe nüt!», sagt der alt Bundesrat lachend. Seinen Schalk hat der ehemalige Finanzminister nicht verloren. 20 Milliarden Franken Schulden baute er während seiner Amtszeit ab. Heute ist die finanzielle Lage wieder angespannt. Seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter (61) hat ein milliardenschweres Sparpaket aufgegleist. Der Widerstand ist riesig.
Hans-Rudolf Merz, haben Sie Mitleid mit Ihrer Nachfolgerin, weil sie dieses Sparpaket umsetzen muss?
Hans-Rudolf Merz: Nein, Mitleid nicht, aber grossen Respekt.
Ab kommendem Jahr kann man mit dem Nachtzug nach Schweden fahren – dank Geldern, die der Bundesrat eigentlich streichen wollte. Warum fällt es uns so schwer zu sparen?
In der Politik ist es populärer, Geld auszugeben, als zu sparen. So lassen sich Wählerstimmen kaufen. Was wir jetzt machen, ist kein echtes Sparen – die Ausgaben steigen einfach weniger stark.
Der Herisauer Hans-Rudolf Merz (82) wurde 2003 als Nachfolger von Kaspar Villiger (84) in den Bundesrat gewählt. Merz betrieb als Finanzminister eine hartnäckige Sparpolitik. 2008 musste während der Finanzkrise die Grossbank UBS gerettet werden. Wegen Überlastung erlitt Merz einen Kreislaufkollaps. Doch er gab sich kämpferisch. 2009 kam es zur Libyen-Krise, wo Merz sich öffentlich entschuldigte – jedoch mit leeren Händen zurückkehrte.
In Erinnerungen bleiben wird sein legendärer Lachanfall im Parlament. Beim Versuch, «zum Beispiel Bündnerfleisch» zu sagen, war es um seine Selbstbeherrschung geschehen.
Der Herisauer Hans-Rudolf Merz (82) wurde 2003 als Nachfolger von Kaspar Villiger (84) in den Bundesrat gewählt. Merz betrieb als Finanzminister eine hartnäckige Sparpolitik. 2008 musste während der Finanzkrise die Grossbank UBS gerettet werden. Wegen Überlastung erlitt Merz einen Kreislaufkollaps. Doch er gab sich kämpferisch. 2009 kam es zur Libyen-Krise, wo Merz sich öffentlich entschuldigte – jedoch mit leeren Händen zurückkehrte.
In Erinnerungen bleiben wird sein legendärer Lachanfall im Parlament. Beim Versuch, «zum Beispiel Bündnerfleisch» zu sagen, war es um seine Selbstbeherrschung geschehen.
Sie haben in Ihrer Zeit als Finanzminister auch ein Entlastungspaket durchgebracht. Wie sind Sie vorgegangen?
Man muss den Teufel aus dem Detail holen. Das ist eine filigrane Kleinarbeit: jeden Budgetposten einzeln prüfen. Ich habe mit allen Bundesratskollegen einzeln zu Mittag gegessen und sie zu einer Klausur eingeladen. Am Ende muss der Bundesrat mit einer Stimme sprechen. Das Volk soll spüren, dass die Regierung sparen will.
Wie macht das der Bundesrat heute?
Frau Keller-Sutter macht einen brillanten Job.
Auch mit fast 83 Jahren ist Merz fit. Mühelos läuft er die vielen Treppen in seinem Haus in Herisau AR rauf und runter. «Die Bundesfinanzen sind ein Moloch», sagt er und zeigt zwei Dokumente. Die Staatsrechnung 2010 mit rund tausend Seiten und das erste Bundesbudget von 1849: 11 Seiten lang, es geht um 6 Millionen Franken. Den höchsten Lohn bekam damals nicht der Bundesrat, sondern der Botschafter in Paris: 16’000 Franken pro Jahr.
Kaum hatte die Finanzministerin das Sparpaket veröffentlicht, hagelte es Kritik. Wie geht man damit um?
Auch ich wurde zum Teil massiv kritisiert. Aber das ist okay. In der Schweiz braucht es jemanden, der schuld ist. Man muss verstehen, dass die Kritik die Sache meint, nicht die Person. Wer das nicht trennt, schläft schlecht.
Jeder lobbyiert für seine eigenen Interessen. Haben wir in der Schweiz den Blick für das grosse Ganze verloren?
Die Verbände und Nichtregierungsorganisationen sind heute hochprofessionell. Droht weniger Geld, sprechen sie sofort von Existenzängsten und appellieren an die Moral. Dabei sollten sich alle Subventionsempfänger fragen: Braucht es uns wirklich? Brauchen wir dafür wirklich so viel Geld? Doch das passiert selten. Man rechnet lieber mit neuen Mitteln.
Auch Ihre eigene Partei droht schon mit dem Referendum. Verstehen Sie den Unmut?
Ach, das ist nichts Neues. Damit muss ein Finanzminister leben. Und noch ist es nicht so weit. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, die die Mehrheit trägt.
Merz ist politisch weiterhin interessiert. Doch hauptsächlich beschäftigt er sich mit den schönen Dingen des Lebens. Der Oper zum Beispiel. Oder seiner Sammlung von geschnitzten Holzkühen, die im ganzen Haus aufgestellt sind. «Zum Putzen brauche ich jeweils einen ganzen Tag.»
In Ihrer Abschiedsrede sprachen Sie von der «typisch schweizerische Mentalität im sorgsamen Umgang mit Geld». Gibt es die noch?
Ja. Das Volk ist klug. Es hat auch die Schuldenbremse angenommen und weiss, dass man nicht nur Geld ausgeben kann. Auch privat leben die meisten in geordneten Verhältnissen und legen Geld zur Seite. Nur 12 Prozent leben in einem Haushalt mit einem Zahlungsrückstand.
Der Bund musste zuletzt viel Geld ausgeben: für die UBS-Rettung, die Credit-Suisse-Abwicklung oder die Pandemie. Hat dies die Einstellung der Bevölkerung verändert?
Man muss unterscheiden. Dank der Covid-Kredite wurden Tausende von Unternehmen gerettet. Der Bund war vorbereitet. Die Bankenrettung hingegen sorgte für Unverständnis über die Boni der gescheiterten Banker. Gut möglich, dass daraus diese «Jetzt sind wir dran»-Mentalität entstand und darum die 13. AHV-Rente angenommen würde.
Die Armee braucht Milliarden, auch die 13. AHV-Rente kostet Geld. Wo setzen Sie die Prioritäten?
Alle Schweizer Generäle klagten, die Armee sei nicht kriegsbereit gewesen. Jetzt sollen die Armeeausgaben wieder steigen. Das ist in Ordnung. Ihre Ausgaben verlaufen immer in Zyklen. Aber die Maximalforderungen wird die Armee nicht erfüllt bekommen, das klappt in der Schweiz nie.
Muss man auch über neue Einnahmen diskutieren?
Nein. Wir haben 40 Steuern, von der Mehrwert- bis zur Hundesteuer. Wir Schweizer sind genug besteuert.
An der Wand hängt ein Bild, das Merz mit Michelle und Barack Obama zeigt. Er traf die beiden am gleichen Tag wie den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi. Lebhaft erzählt er von den Begegnungen im Ausland, genauso wie von teuren Geschenken: Aus Saudi-Arabien bekam er nach dem Staatsbesuch Schmuck im Wert von über 200’000 Franken. Behalten durfte er ihn nicht – er liegt jetzt im Landesmuseum.
Sie mussten hart verhandeln, etwa mit Gaddafi über die Freilassung von Geiseln. Aktuell sucht die Schweiz mit den USA eine Lösung im Zollstreit. Wie geht man mit jemandem um, der das Recht des Stärkeren durchsetzen will?
Gaddafi war ein gewaltbereiter Diktator. Wir lösten die Krise, indem wir beharrlich blieben. Ich telefonierte teils täglich mit Libyens Ministerpräsidenten. Während des Ramadans auch nachts um eins. Drohungen hätten nichts gebracht.
Keine Drohungen?
Womit hätten wir denn drohen sollen? Aber wenn man beharrlich bleibt, merkt der vermeintliche Starke, dass er zum Schwächeren wird. Ähnlich läuft es jetzt mit Trump. Am Ende werden wir der Stärkere sein.
Ihre Partei, die FDP, befindet sich im Sinkflug. Warum scheitert der Liberalismus gerade?
Heute nennt sich jede grosse Partei liberal. Die SP ist linksliberal, Christoph Blocher konservativ-liberal. Früher waren die Freisinnigen die Liberalen, jetzt will jeder das Label für sich beanspruchen. Umso wichtiger ist es, dass die FDP den Kurs hält: möglichst viel uns Privaten überlassen, auch die Verantwortung für uns selbst.