Das grosse Streitgespräch zum Eigenmietwert
«Zuwanderung ist ein Preistreiber» – «Bullshit!»

Am 28. September entscheidet das Stimmvolk über die Abschaffung des Eigenmietwerts. Über das Für und Wider streiten SP-Frau Jacqueline Badran und SVP-Mann Gregor Rutz im Blick.
Publiziert: 00:03 Uhr
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SP-Nationalrätin Jacquelin Badran und SVP-Nationalrat Gregor Rutz trafen sich zum Blick-Streitgespräch.
Foto: Thomas Meier

Darum gehts

  • Eigenmietwert-Abstimmung wird knapp, Systemwechsel bei Wohnbesteuerung auf der Kippe
  • Badran und Rutz diskutieren Vor- und Nachteile der Vorlage
  • Bei Annahme: Jährlich 2 Milliarden Franken Steuerausfälle für Bund und Kantone
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Es wird knapp! Der Systemwechsel bei der Wohnbesteuerung steht gemäss jüngsten Umfragen auf der Kippe. Und damit auch die Abschaffung des Eigenmietwerts. Die beiden Seiten kämpfen um jede Stimme. So auch SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (63, ZH) sowie Hauseigentümerpräsident und SVP-Nationalrat Gregor Rutz (52, ZH). Im Blick-Streitgespräch kreuzen sie die Klingen.

Blick: Herr Rutz, die Eigenmietwert-Abstimmung wird zum Krimi. Schwimmen Ihnen die Felle davon?
Gregor Rutz: Die Umfragen ergeben eine Ja-Mehrheit. Dass die Vorlage umstritten ist und es knapp wird, war immer klar. Aber die Unterstützung ist breit: Ich bekomme viele Anfragen von Jungen, die gerne ein Eigenheim erwerben möchten. Oder von Rentnern, die sich durch den Eigenmietwert bestraft fühlen. Die Frage ist: Wollen wir weiterhin Anreize setzen, dass die Leute sich verschulden, um Steuern zu sparen? Selbst der frühere SP-Bundesrat Otto Stich hat sich deshalb für die Abschaffung des Eigenmietwerts starkgemacht. 

Frau Badran, die Linke hat 2016 einen Systemwechsel verlangt, wie er jetzt auf dem Tisch liegt – eine linke Traum-Variante!
Jacqueline Badran: Die Linke war immer gespalten, was den Systemwechsel betrifft. Aber ja, wenn man den Wechsel will, dann so, wie er jetzt vorliegt. Dafür habe ich mich in der Kommission eingesetzt.

Trotzdem kämpfen Sie nun für ein Nein. Weshalb?
Badran: Das Preisschild ist explodiert! Mit dem jetzigen Tiefzinsniveau fehlen uns jedes Jahr 2 Milliarden Franken an Steuereinnahmen. Die Tiefzinsphase wird aus verschiedenen Gründen andauern. Gerade auch aufgrund der hohen Verschuldung werden wir in den nächsten 20 oder 30 Jahren nie mehr einen Zins über 2 Prozent sehen, weil es sonst die Volkswirtschaft verbläst. Das Preisschild bleibt zu hoch. 

Darum geht es bei der Eigenmietwert-Abstimmung
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Abstimmung vom 28. September:Darum geht es bei der Eigenmietwert-Abstimmung

Solange das Zinsniveau tief bleibt, profitieren die Wohneigentümer mehrheitlich. Bei etwa 3 Prozent kippen sie auf die Verliererseite. Ein Spiel mit dem Feuer, Herr Rutz?
Rutz: Ich glaube auch, dass es kurz- bis mittelfristig keine grossen Zinserhöhungen geben wird. Entscheidend ist aber nicht, was es dem Einzelnen nützt, sondern dass wir das volkswirtschaftliche Risiko reduzieren, das durch die heutige Verschuldungssituation entsteht. Mit dem Systemwechsel stoppen wir den Anreiz, sich langfristig zu verschulden.
Badran: Wir haben diese massive Verschuldung von 150 Prozent des BIP doch nur, weil die Immobilienpreise explodiert sind. Für eine Million bekommst du in der Stadt Zürich nicht mal eine Besenkammer. Die Käufer werden ihre Schulden niemals tilgen können. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen die Lex Koller wieder verschärfen, damit weniger ausländisches Kapital ins Land kommt und die Bodenpreise nicht weiter explodieren. Zudem müssen wir die Geldwäscherei via Immobilienmarkt massiv bekämpfen. Wir brauchen preisdämpfende Massnahmen!

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Rutz: Die Preise sind eine Frage von Angebot und Nachfrage – und hier ist die Zuwanderung ein Preistreiber, gerade in Zürich. Alle Zuwanderer wollen in die Stadt, deshalb steigen die Preise überdimensional. Dieses Problem könnten wir lösen, wenn ihr endlich mithelft.
Badran: Bullshit! Hört mal auf mit eurer Steuerdumping-Politik, aufgrund der jedes Jahr tausend neue Konzerne kommen. Es fliesst zu viel Kapital in den Immobilienmarkt. 

Zurück zur Schuldenfrage. Können Neukäufer die Hypothek jemals zurückzahlen?
Rutz: Wer zum ersten Mal Wohneigentum kauft, darf während zehn Jahren einen Abzug machen. Das ist ein wichtiger Teil der Vorlage, um jungen Leuten den Erwerb von Wohneigentum zu ermöglichen. So verbessern wir die Situation für junge Leute und setzen gleichzeitig Anreize, die Schulden möglichst bald abzubauen.
Badran: Das Abbezahlen ist Geschichte, selbst mit überdurchschnittlich guten Löhnen. Heute können sich nur 10 Prozent der Mieter noch Wohneigentum leisten, noch in den Neunzigern waren es 60 Prozent. Und die Steuervorteile für Ersterwerber werden über höhere Immobilienpreise eingepreist – unter dem Strich haben sie nichts davon. Das ist ein Zückerchen, das nichts bringt.

Eigenmietwert-Abstimmung: Darum geht es

Es ist ein hochemotionales Thema: die Abschaffung des Eigenmietwerts. Eine Steuer auf ein fiktives Mieteinkommen für Wohneigentümer. Nach einem jahrelangen Feilschen im Parlament fand sich eine bürgerliche Mehrheit für den Systemwechsel. Am 28. September entscheidet das Stimmvolk darüber. Es handelt sich dabei um ein fiktives Einkommen, das Hauseigentümer zusätzlich zum tatsächlichen Einkommen versteuern müssen. Berechnet wird es unter anderem aufgrund von Grösse, Lage und Baujahr der Immobilie. Hier beantwortet Blick die wichtigsten Fragen zur Abstimmung.

Es ist ein hochemotionales Thema: die Abschaffung des Eigenmietwerts. Eine Steuer auf ein fiktives Mieteinkommen für Wohneigentümer. Nach einem jahrelangen Feilschen im Parlament fand sich eine bürgerliche Mehrheit für den Systemwechsel. Am 28. September entscheidet das Stimmvolk darüber. Es handelt sich dabei um ein fiktives Einkommen, das Hauseigentümer zusätzlich zum tatsächlichen Einkommen versteuern müssen. Berechnet wird es unter anderem aufgrund von Grösse, Lage und Baujahr der Immobilie. Hier beantwortet Blick die wichtigsten Fragen zur Abstimmung.

Gemäss Zahlen des Bundes würden aktuell gut vier Fünftel der Eigentümer profitieren. Wegen der Steuerprogression doch vor allem Gutbetuchte?
Rutz: Nein, die Vorlage ist vor allem für mittelständische Eigentümer wichtig, aber auch für Senioren, die gespart und auf Ferien verzichtet haben, um sich ein Häuschen leisten zu können. Die heutige Situation ist absurd: Eine Steuer auf ein fiktives Einkommen, das es nicht gibt. Das würde man sonst nirgendwo machen. Man rechnet niemandem, der 60 Prozent arbeitet, noch eine Freizeitsteuer von 40 Prozent darauf und sagt, er habe dafür mehr Ruhe und Lebensqualität und müsse das jetzt versteuern. 

Die Abzüge fallen auch weg. Rechnet sich das unter dem Strich?
Rutz: Ja. Man lässt das Geld bei den Leuten. Steuersenkungen führen dazu, dass die Leute mehr investieren. Die Schweizer wohnen gerne in Häusern, die intakt sind – darum werden sie auch künftig in den Unterhalt ihrer Wohnung oder ihres Hauses investieren.
Badran: Da werden viele Wohneigentümer brutal auf die Welt kommen. Eine Eigenmietwertbesteuerung bedeutet für Leute, die das Häuschen schon längst gekauft haben, gemäss Zahlen des Bundes, ein paar Hundert oder vielleicht Tausend Franken mehr Steuern pro Jahr. Wenn ich zum Beispiel ein Dach neu machen muss, kostet das schnell mal 100'000 bis 150'000 Franken. Die kann ich aber voll abziehen. In dem Moment, wo ich hohe Ausgaben habe, zahle ich quasi gar keine Steuern mehr. Das refinanziert einen Grossteil meiner Investitionen. Dies ist die glättende Funktion des heutigen Systems.
Rutz: Sie vergessen einen zentralen Punkt! Die Steuern werden massiv steigen – insbesondere für Wohneigentümer in der Romandie, wo die Eigenmietwerte heute viel tiefer sind. Bei einem Nein wird ihr Eigenmietwert und damit die Steuerlast in den kommenden Jahren deutlich steigen.

Die Vorlage dreht sich um Wohneigentümer. Was aber haben die Mietenden davon?
Badran: Jetzt haben wir die Situation, dass die Mietenden gegenüber den Wohneigentümern rechtlich, steuerlich und vor allem ökonomisch massiv schlechtergestellt sind. Die Mietenden werden die gigantischen Steuerausfälle jedes Jahr mitfinanzieren müssen. Wenn die kantonalen Einkommenssteuern und auf Bundesebene die Mehrwertsteuer wegen dieser Vorlage steigen, zahlen alle! Aber die Mietenden sind jetzt schon die Deppen.

Wieso?
Badran: Ihre Wohnkosten haben sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, die der Wohneigentümer haben sich jedoch halbiert. Gleichzeitig sind die Vermögenswerte der Wohneigentümer explodiert. Das wiederum finanzieren auch die Mietenden durch höhere Mieten. Steigende Immobilienpreise und steigende Mieten korrelieren.

Die Mieter gehen als Verlierer vom Feld, Herr Rutz?
Rutz: Nein, von dieser Vorlage profitieren alle. Sie reduziert den Anreiz zur Verschuldung. Das ist volkswirtschaftlich wichtig. Sie schafft Möglichkeiten für Ersterwerber, einfacher Eigentum erwerben zu können. Zweitens geht es hier um selbst bewohntes Wohneigentum, nicht um mietrechtliche Fragen. Es geht um Leute, die gespart haben, um eine Wohnung oder ein Haus kaufen zu können. Die sollen künftig nicht mehr mit dieser unseligen Steuer bestraft werden.

Bund und Kantonen gehen aber 2 Milliarden Franken flöten. Wer stopft diese Lücke?
Rutz: Steuersenkungen führen mittelfristig immer zu Mehreinnahmen für den Fiskus, weil es die Wirtschaft belebt. Der Kanton Graubünden beispielsweise rechnet mit etwa 90 Millionen Mindereinnahmen, 50 Millionen davon beim Kanton. Dies bei einem Budget von 2,7 Milliarden Franken. Das macht also etwa 2 Prozent aus. In der Privatwirtschaft ist es das Normalste der Welt, mal 2 Prozent einzusparen. In dieser Rechnung ist die Objektsteuer auf Zweitwohnungen, die der Kanton neu erheben könnte, noch gar nicht eingerechnet.
Badran: Es werden Steuererhöhungen kommen, das ist hundertprozentig klar. Über alle Haushalte berechnet sind es im Schnitt rund 500 Franken. Die bezahlen sowohl die Mietenden als auch die Wohneigentümer. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn man also mit dem Portemonnaie abstimmt, dann müssen alle Mietenden und mindestens ein Drittel der Hauseigentümerinnen Nein stimmen.

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