«Auch Gurkensaft macht krank, wenn du zu viel nimmst»
Alkohol-Aufstand im Bundeshaus

Die WHO stuft schon moderaten Alkoholkonsum als gesundheitsschädlich ein – und der Bund will seine Empfehlungen entsprechend verschärfen. Doch das sorgt für einen Aufstand: Politiker kämpfen für den Genuss – und laden in Bern zum grossen Trinken ein.
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In Bundesbern wird über das abendliche Glas Wein diskutiert ...
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Widerstand gegen WHO-Empfehlungen zum Alkoholkonsum formiert sich in der Schweiz
  • Politiker und Verbände gründen Gaudium Suisse gegen Stigmatisierung des Alkoholkonsums
  • Schweizer Weinkonsum pro Kopf sank 2024 um fast 8 Prozent
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Céline ZahnoRedaktorin Politik

Er entschuldige sich, jetzt sei er vom heiligen Zorn ergriffen worden! Weinpapst Philippe Schwander (60) – ein Glas Chasselas vom Bielersee in der Hand – beendet seine «Wein-Predigt» und setzt sich wieder. «Es geht nicht darum, zum Saufen aufzurufen. Aber Leute, die gerne zusammen ein Glas trinken, sollen nicht kriminalisiert werden. Das ist das Dümmste überhaupt.» Mitte-Nationalrat Nicolò Paganini (59) traut sich nach dem furiosen Plädoyer kaum mehr, vor der Widerstandstruppe das Wort zu ergreifen.

In einem Privatrestaurant im Herzen Berns lauschen einige Nasen aus Politik und Verbandsschweiz den Kurzvorträgen. Es geht um Alkohol – und welche Mengen gesund sind und welche nicht. Die Stimmung ist gelöst, man ist unter sich. Begrüsst wird die Runde mit «Liebe Herren» – ausser der Blick-Journalistin sind keine Frauen anwesend.

Der Streit um die Details in Studien dient dem Grüppchen dabei eher als Vorwand. Die Anwesenden sind sich nämlich einig: Der Staat soll ihnen beim abendlichen Glas Wein nicht den Spass verderben. In Bundesbern tobt der Kampf um den Alkohol – die Debatte wird heute Donnerstag sogar den Ständerat beschäftigen.

Widerstand gegen die WHO

Grund für die Zusammenkunft: Der Bund will bald neue Empfehlungen zum Alkoholkonsum veröffentlichen – und es scheint, als würde er sich dabei an der Weltgesundheitsorganisation WHO orientieren. So sagte die zuständige Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61, SP) kürzlich im Nationalrat: «Wissenschaftliche Studien zeigen, dass bereits ein moderater Alkoholkonsum gesundheitsschädlich sein kann.»

Unter dem feierlich klingenden Namen «Gaudium Suisse – Genuss mit Haltung» formiert sich nun Widerstand gegen die «pauschale Stigmatisierung des Konsums». Zu den Gründungsmitgliedern gehören neben Paganini auch Mitte-Ständerat Benedikt Würth (57), Beat Imhof (53), Präsident von Gastro Suisse, der Weinhändler Philippe Schwander und der einflussreiche Lobbyist Lorenz Furrer (57). Würth hat mit einem breit unterstützten Vorstoss auch schon einen «Marschhalt» für die neuen Empfehlungen gefordert. 

Fax ans BAG

Gerade in der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie seien solche Empfehlungen schädlich, sagt Paganini: «Wenn wir das Gefühl haben, dass uns der Staat von der Wiege bis zur Bahre die Entscheidungen abnimmt, werden wir dazu erzogen, zu denken, dass wir unser Hirn ausschalten können.» Das Leben sei komplex, und Genuss gehöre dazu. 

Paganini wähnt sich als Teil einer stigmatisierten Gruppe: «Schon heute wird man schräg angeschaut, wenn man bei einem Geschäftsessen ein Glas Wein geniesst.»

Bei Käse- und Fleischhäppchen am anschliessenden Apéro riche nervt sich Weinhändler Schwander über die «übertriebene Panikmache». «Zu viel Saufen sei gefährlich, zu viel Essen sei gefährlich. Ja, du kannst vermutlich sogar vom Gurkensaft krank werden, wenn du zu viel nimmst!» 

Inwiefern ihn solche Empfehlungen in seinen Entscheidungen einschränken? Der Bund spricht weder von Verboten noch von Einschränkungen. Für Schwander ist aber klar: Ein Amt wolle hier seine Bedeutung ausbauen. Bei Empfehlungen werde es nicht bleiben. «Ich sage immer: Irgendwann muss man dem Bundesamt für Gesundheit ein Fax schicken und fragen, ob man noch ein Glas trinken darf.»

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Schweizer trinken weniger Wein

Kulturkämpfe rund um Essen und Trinken sind in der Schweiz nichts Neues. Fleischliebhaber fühlen sich von Vegi-Würsten provoziert, und kantonale Kantinen lösen mit fleischlosen Tagen regelmässig kleine Empörungsstürme aus.

Das Anliegen der Weinfreunde hat jedoch einen besonders ernsten Kern: Die Schweizer Weinbranche steckt seit Jahren in der Krise. Der Pro-Kopf-Konsum ist 2024 gegenüber dem Vorjahr um fast 8 Prozent gesunken – besonders stark beim Schweizer Wein. Gleichzeitig wächst der Druck durch günstigere Importe.

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SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard (57) hat deshalb einen Vorstoss eingereicht, der heute im Ständerat behandelt wird. Er verlangt vom Bundesrat Antworten darauf, ob kurzfristige Stützmassnahmen – etwa über Kreditreserven – möglich wären.

Den Konsum wieder in Schwung bringen

Auch der Bund sorgt sich um die Schweizer Weinbauern. Doch die Diskrepanz zwischen Gesundheitsprävention auf der einen und der Stützung des heimischen Weins auf der anderen Seite elegant zu überbrücken, ist ein politischer Balanceakt – und nicht allen gelingt dieser Spagat gleich gut.

Besorgt über den sinkenden Weinkonsum sagte Landwirtschaftsminister Guy Parmelin (66, SVP) – selbst ausgebildeter Winzer – während der Sommersession, man könne die Leute nicht zum Trinken zwingen, wenn sie das nicht wollten. «Auch wenn ich mir wünschen würde, dass sie mehr trinken. Wie können wir den Konsum – in erster Linie von Schweizer Weinen – wieder in Schwung bringen?», fragte er.

Das sorgte für einigen Unmut. Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (58) kritisierte: «Das Bundesamt für Gesundheit und die Kantone investieren viel Geld und Ressourcen, damit Jugendliche keinen Alkohol trinken und die Erwachsenen weniger.» Und dann komme ein Bundesrat aus einem anderen Departement und rufe zum Weintrinken auf.

Auch wenn das Parlament heute den Vorstoss zum Schweizer Wein behandelt: Trocken wird die Debatte sicher nicht.

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