Darum gehts
- Die Schweiz kann russische Drohnen nicht abwehren. Luftwaffe braucht Modernisierung
- Kriege werden durch technologische Entwicklungen schneller, komplexer und unberechenbarer
- Ab 2028 rechnet man mit einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs nach Westeuropa
Blick: Kann die Schweiz russische Drohnen abwehren?
Peter Merz: So, wie wir aktuell aufgestellt sind, würden wir das nicht schaffen. In Polen haben niederländische F-35-Kampfjets die Drohnen abgeschossen. Die F/A-18, die bei uns in Betrieb sind, können auf diese Distanz keine Drohnen orten. Wir könnten die Drohnen auch mit Kanonen vom Boden aus abschiessen, wenn sich die Drohnen in Reichweite einer Kanone befinden. Aber das wäre im Alltag eher zufällig.
Warum ist die Schweiz so schlecht auf Drohnen vorbereitet?
Der Ukraine-Krieg hat die Drohnen-Entwicklung massiv beschleunigt. Unter anderem deswegen bauen wir jetzt mit Hochdruck ein Kompetenzzentrum für Drohnen und Robotik auf.
Trainieren Ihre Piloten bereits jetzt eine Drohnenjagd?
Nein, das machen wir bislang nicht. Wir trainieren das im Rahmen der bodengestützten Luftverteidigung, also mit Kanonen. Drohnen sind so gebaut, dass man sie auf dem Radar nicht gut erkennen kann. Umso wichtiger ist es, dass wir die F-35 und die bodengestützten Systeme erhalten, vor denen die Drohnen nicht mehr sicher sind.
Könnten die russischen Drohnen auch aus Versehen in den polnischen Luftraum gelangt sein?
Dieses Szenario ist denkbar, ich halte es aber für unwahrscheinlich, weil es zu viele Drohnen gleichzeitig waren. Wir haben es mit einer neuen Eskalationsstufe zu tun. Schon jetzt nimmt Russland täglich Einfluss auf Europa im sogenannten hybriden Raum – mit Cyberangriffen, Spionage, Desinformation und Wahlmanipulation. Jetzt kommen Drohnen hinzu.
Wann brauchen wir Drohnen, wann einen bemannten Kampfjet?
Drohnen können Informationen sammeln und angreifen, ohne das Leben einer Pilotin oder eines Piloten zu gefährden. Aber für komplexe Situationen sind Drohnen noch ungeeignet. Nur eine Pilotin oder ein Pilot kann in Sekundenschnelle entscheiden, was in einer überraschenden Situation zu tun ist. Da gehts ja nicht nur um Technik, sondern auch um Recht, Ethik, Verhältnismässigkeit und Sinnhaftigkeit.
Die F-35 ist ein Supercomputer. Warum kann man den nicht vom Boden aus steuern?
Die Entwicklung ist noch nicht so weit. Ich rechne mit 30 oder 40 Jahren, bis Drohnen bemannte Kampfjets ersetzen werden.
Wie sehen die Kriege der Zukunft aus?
Kriege werden schneller, komplexer und unberechenbarer. Das hat vor allem mit der rasanten Entwicklung der Technik zu tun. Und zwar nicht nur bei den Drohnen, sondern auch im Cyberbereich, bei der künstlichen Intelligenz, bei Hyperschall-Lenkwaffen, die aus grosser Distanz in kürzester Zeit angreifen können. Hinzu kommt der Kampf im Weltraum.
Haben Sie sich bei Serge Gaillard bedankt, der in seinem Bericht an vielen Orten sparen will – nicht aber bei der Luftwaffe?
Ich kenne Herrn Gaillard nicht persönlich.
Herr Gaillard findet: Die Luftwaffe braucht mehr Geld, andere Bereiche der Armee weniger. Denn die Wahrscheinlichkeit eines Luftangriffs ist am grössten.
Wir müssen auf die ganze Armee schauen. Es bringt nichts, einzelne Bereiche gegeneinander auszuspielen.
Das Parlament hat beim Armeebudget bislang keine Sprünge gemacht. Warum befinden wir uns in einem sicherheitspolitischen Winterschlaf?
Die Nato diskutiert ein Fünf-Prozent-Ziel – und wir bekommen in den nächsten Jahren nicht einmal ein Prozent hin. Das macht mir Sorgen und birgt Risiken für unsere Sicherheit. Ich habe das Gefühl, dass wir uns in einer gewissen Wohlstandssicherheit eingerichtet haben und weiterhin von einer vermeintlichen Unverwundbarkeit ausgehen. Dabei gibt es leider keinen Grund zur Entwarnung.
Trump will Putin und Selenski zu einem Waffenstillstand zwingen.
Die Sicherheitslage in Europa ist brandgefährlich. Wir rechnen ab 2028 mit einer Ausweitung des Kriegs in der Ukraine nach Westeuropa. Wir müssen handeln.
Sie verlassen die Luftwaffe, Ihr Verhältnis zum Armeechef Thomas Süssli gilt als angekratzt.
Das stimmt nicht. Ich pflege mit Korpskommandant Thomas Süssli einen sehr professionellen und wertschätzenden Umgang.
Haben Sie ihm verziehen, dass er die Flugshow «Air Spirit 24» aus finanziellen Gründen abgeblasen hat?
Natürlich. Meinungsverschiedenheiten sind ein natürlicher Bestandteil einer konstruktiven Zusammenarbeit.
Fiel es Ihnen schwer, die Kröte zu schlucken?
Das war keine Kröte. Der Entscheid wurde gefällt, und jetzt warten wir auf die Flugshow «Air Spirit 34» (lacht).
Warum wollten Sie nicht Chef der Armee werden?
Ich hatte mich vorher entschieden, eine neue berufliche Herausforderung bei Skyguide anzunehmen. Zudem liegt die Zuständigkeit für die Besetzung der CdA-Funktion einzig beim Bundesrat.
Haben Sie Ihren neuen Job dem Armee-Klüngel zu verdanken? Skyguide-Präsident Aldo C. Schellenberg war früher Vize-Armeechef.
Natürlich kenne ich ihn von früher, aber ich habe ein mehrstufiges Assessment durchlaufen, und schliesslich hat mich der Verwaltungsrat gewählt.
Sprechen wir über die F-35, die teurer wird als versprochen. Wie lange könnten wir noch mit der F/A-18 fliegen?
Technisch können Sie jeden Oldtimer noch Jahre weiter betreiben. Aber es ergibt keinen Sinn, Milliarden in ein altes Modell zu pumpen. Es hat eine halbe Milliarde Franken gekostet, um nach dem Gripen-Nein die Laufzeit der F/A-18 um 1000 Flugstunden zu erhöhen. Wir haben das nochmals angeschaut: Weitere 1000 Flugstunden pro Flugzeug würden uns 1,7 Milliarden kosten. Damit könnten wir zwar fünf Jahre fliegen, aber wir hätten einen Oldtimer, der modernen Bedrohungen nicht gewachsen ist. Das ergibt militärisch und ökonomisch keinen Sinn.
Wenn die F-35 so teuer wird: Wie wäre es mit einer europäischen Alternative?
Die F-35 ist der beste und zugleich günstigste Kampfjet. Der militärische Kampfwert steht im Vordergrund – hier ist die F-35 unschlagbar.
In den USA wird die F-35 auch «hangar queen» genannt, weil sie ständig in die Werkstatt muss.
Flugzeuge sind hochkomplex. Dass es Kinderkrankheiten gibt, ist normal. Die Luftwaffenchefs in Grossbritannien, Italien und den Niederlanden, die bereits F-35 betreiben, loben sie in den höchsten Tönen. Ich habe keine Bedenken.