Es ist der Schatz jedes Journalisten: Das persönliche Adress- und Telefonbüchlein. In diesem Fall angelegt in grauen vor digitalen Zeiten, nachgeführt über Jahrzehnte, und nun, im Alter, ehrwürdig ausgefranst. Ein Unikat. Zwei schwarze Buchdeckel, an denen der Zahn der Zeit gehörig nagt. Dazwischen, auf lachsfarbenem Papier, stehen handschriftlich all jene Namen, mit denen Frank A. Meyer, Kurzformel FAM, im Laufe eines Journalistenlebens so verkehrt hat, womöglich immer noch verkehrt. Nur einer weiss wirklich, wer da alles drinsteht.
Zahllos sind dagegen die, die zu wissen glauben, wer da alles drinsteht. Sie glauben auch zu wissen, wovon sie sprechen. Sie sind oftmals im gleichen Metier tätig und führen auch so ein Büchlein. Sie glauben ganz sicher zu wissen, dass der Besitzer des ausgefransten schwarzen Büchleins mit diesem Schweizer Bundesrat vertraulich verkehrt, mit jenem deutschen Regierungsmitglied per Du ist, den einen oder anderen Unternehmer heimlich berät und mit seinem Verleger ein Verhältnis pflegt, das ein Buch mit sieben Siegeln darstellt. Der Protagonist dieser Geschichte lässt die Gläubigen alles glauben, was ihre Phantasie zulässt. Er dementiert nichts. Er bestätigt nichts. In diesem Vakuum des Nicht-Dementis, der Nicht-Bestätigung, wächst ein Mythos, der mit der Zeit seinen Journalistennamen umflort.
Wenn Frank A. Meyer mit seinen noch nicht 30 Jahren stets tadellos gewandet und durchaus gewichtigen Schrittes durch die Wandelhalle schreitet, sticht er heraus aus der meist gesichtslosen Masse der Bundeshausjournalisten. Während diese brav Pressekonferenzen rapportieren, sucht er sich seine Gesprächspartner handverlesen aus, und handverlesen notiert er solche in seinem schwarzen Büchlein. Unmerklich separiert er sich mit diesem Gebaren von seinen Berufskollegen – in der Masse ist noch keiner zur Marke geworden.
Seit 1982 entfesselt er sich auch am siebten Tag der Woche journalistisch derart regelmässig wie eigenwillig, dass sein Beitrag am Tage des Herrn in den Departementen in Bern als Sonntags-Messe im Pressespiegel abgelegt wird. Frank A. Meyers Kolumne im SonntagsBlick ist über 40 Jahre kommentierte Zeitgeschichte und würde in Buchform inzwischen zehn Bände à 400 Seiten umfassen – hat ein Berufskollege errechnet. Wer genau hinschaut, spürt freilich, dass auch dieser zum Solitär Emporgewachsene nicht frei ist von Beeinflussung beim Schreiben. Diese beginnt wirksam zu werden, als Frank A. Meyer 36 Jahresringe zählt, und trägt einen Namen: Lilith Frey, Moderedaktorin bei der Schweizer Illustrierten. Lilith Frey wird zur «Lebensfreundin», sagt er, zur «Seelenverwandten», sagt sie, und es finden zwei zusammen, die als Einzelgänger durchs Leben gehen und sich dennoch gegenseitig runden, weil beide am Stoff namens Leben sinnlich, jedoch mit unterschiedlichen Sinnen weben. Er: mit dem Intellekt des Journalisten, der Buchstaben produziert. Sie: mit dem Auge der Zeichnerin, die Bilder komponiert.
«Er kann nicht sehen», sagt sie, «schreibt nur, er sieht nichts.» Zumindest anfänglich. Inzwischen, im Heute, räumt die erste Kritikerin im Hause Meyer ein, sei auch der zweidimensional Buchstaben Produzierende etwas ein Sehender geworden, der das Dreidimensionale im Fluidum der Welt für sich entdeckt habe und in sein Schreiben einfliessen lasse. Er kolumniere heute mit Melodie, sagt sie, in Dur oder Moll. Und er sagt, sein Schreiben sei skulpturaler geworden und dies wirke bis in das optische Bild seiner Kolumnen hinein – Buchstaben, Worte, Sätze, Absätze ergeben eine Partitur, die fast schwerelos das Gewicht seiner Intellektualität in bildhafte Musikalität transformiert.
Da ist einer, der tanzt scheinbar leichtfüssig durch Raum und Zeit. Trägt schon in jungen Jahren eine Rolex am Handgelenk und parkt seinen Jaguar ungeniert vor dem Bundeshaus. Da ist einer, der im Berner Bellevue residiert, jederzeit mit seinem Verleger konferiert und bei Bedarf Chefredaktoren aus dem Haus spediert. Da schreibt einer, der seine Eitelkeit vor sich herträgt. Nach Anerkennung, ja Bewunderung, nach Wirkung, ja Einfluss sucht. Einer, der gegenüber anderen ätzend sein kann und auch voller Bewunderung – Letzteres durchaus auch gegenüber sich selbst. All die Attribute dieses Charakters sind sorgfältig recherchiert: Sie stammen aus Frank A. Meyers Mund.
René Lüchinger ist Journalist und war von 2014 bis 2016 Chefredaktor vom Blick. Er schrieb zahlreiche Sachbücher und Biografien, unter anderem über die damalige Swissair, Lindt & Sprüngli, über Elisabeth Kopp, Rainer E. Gut oder Stephan Schmidheiny.
René Lüchinger ist Journalist und war von 2014 bis 2016 Chefredaktor vom Blick. Er schrieb zahlreiche Sachbücher und Biografien, unter anderem über die damalige Swissair, Lindt & Sprüngli, über Elisabeth Kopp, Rainer E. Gut oder Stephan Schmidheiny.
So viel Vielfalt, so viel Widerspruch in einer Person sind ein Phänomen. Auch ein journalistisches Phänomen. Weil Journalisten liebend gern über sich und ihr Metier schreiben, schreiben in diesem Falle die ganz Grossen der Zunft über ihn. Auf dem Papier bleibt das Bild von einem Mann mit Eigenschaften, die am Ende zu prägnanten Ein-Zwei-Wort-Urteilen gerinnen, die dem Lebenswerk des obsessiv Beobachteten kaum gerecht werden, aber zumindest an dessen Mythos weiterstricken. «Rasputin», ruft da die Doyenne des Schweizer Journalismus; «Schlossgespenst», notiert deren jüngere Nachfolgerin. «Graue Eminenz», schreibt der freisinnige Altjournalist; «Machtfaktor», echot dessen jüngerer Nachfolger.
Das zugrunde liegende Narrativ geht dann so: Arbeitersohn lernt Schriftsetzer. Weil er zu mehr nicht taugt, leidet er an seinem Akademikerkomplex. Wird Journalist, weil er mit mächtigen Publikationen im Rücken sich bei den Mächtigen beidseits des Rheins einschmeicheln kann. Die liegen ihm, weil er sie schwindlig redet, reihenweise zu Füssen. Und am Schluss quengelt der Emporkömmling so lange, bis ihm der deutsche Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz am Band verleiht. Eine saubere journalistische These zur Begründung für das für viele Berufskollegen unheimliche Wirken des Frank A. Meyer über fünf Jahrzehnte. Sie krankt nur an einem kleinen Detail: Es würde bedeuten, dass Bundesräte und Unternehmer in der Schweiz, Bundesminister und Staatspräsidenten in Deutschland und über 300 von Europas herausragenden Köpfen im TV einem Scharlatan und Hochstapler auf den Leim gekrochen wären. Kein Vorurteil eines Journalisten kann gross genug sein, um das ernsthaft glauben zu können.
Motivforschung lohnt sich durchaus bei diesem Mann. Sie beginnt beim Ursprung seiner Herkunft: Uhrmachersohn bedeutet Arbeiterklasse, gehobene, stolze Arbeiterklasse, die aber nach Bürgerlichkeit strebt, weil sie diese nicht dem Bürgertum überlassen will. Eine Gesellschaft ist wie eine Uhr, pflegt der Uhrmacher Max seinem Sohn Frank zu sagen, alle Teile sind gleich bedeutsam, weil die Uhr wie die Gesellschaft nur als Ganzes funktionieren kann. Dieses Bild wird für den Sohn zum Leitstern für sein politisches Denkgebäude – auch weil Frank A. Meyer, wie wohl jedes Kind, den vorgelebten Ansprüchen des Vaters genügen will.