Die Kolumne
Das Direktorium regiert

Publiziert: 00:02 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Wohl wahr, der Bundesrat ist eine langweilige Behörde: Gerade «droht der Welt», wie die journalistische Lieblingsformulierung lautet, der Untergang, ausserdem Niedergang von früh bis spät, wobei mit «Welt» natürlich vorab und vor allem die westliche gemeint ist – die Welt von Demokratie und Rechtsstaat. Und was geschieht derweil im Bundeshaus?

Der Bundesrat regiert.

Kann das einfach so sein – so simpel? In den Medien klingt es ganz anders. Jüngstes Beispiel: Es ist nicht der Bundesrat, der regiert. Die Wirtschaft regiert, wie die Wallfahrt von Schweizer Unternehmern zu Donald Trump doch eben gerade vorgeführt hat. Oder: Der Bundesrat regiert falsch, wie sein Hin und Her in der Europapolitik seit Jahren beweist. Auch streitet der Bundesrat, statt zu regieren, wie es die Konflikte zwischen linken und rechten und weltoffenen und weltverschlossenen Bundesräten unzweifelhaft belegen. Wenn es dann mal friedlich zugeht im intimsten Zimmer des Bundeshauses, sitzt der Bundesrat gar nicht drin – sondern absolviert seine jährliche Schulreise.

Ja, so liesse sich persiflieren, was das Schweizer Regierungskollegium nicht bietet: geschichtsträchtiges Geschehen, geheimes Gezänke, dramatische Konflikte.

Spannende Geschichten.

Jede europäische Regierung liefert den Medien und damit den Bürgern böseste Unterhaltung: Jeder Satz eines Ministers, zumal eines Ministerpräsidenten oder eines Kanzlers, lässt sich verdrehen – und deshalb hervorragend verwenden: gegen die Regierung, gegen die Minister, gegen die Politik ganz grundsätzlich. Es schallt und schrillt durch Europa, als stehe das Ende der Demokratie bevor.

Und in der Schweiz? Regiert der Bundesrat.

«Still vor sich hin», wie man wohl anfügen darf.

Irgendwie ist es tatsächlich so: Die Landesregierung erwägt die Probleme der Welt, ebenso wie die Probleme der Umwelt, ohne alle Dramatik, einfach nur als zuständiges Gremium, der Bürgerschaft gegenüber in der Pflicht.

Der Clou solch unspektakuläreren Regierens versteckt sich im Begriff «Kollegium»: sieben Minister, jeder gleich wie der andere, keine Regierungs-Hierarchie, sondern kollektive Verantwortung. Was beschlossen wird, trägt jeder einzelne Bundesrat mit, vertritt es vor dem Volk, mitunter ganz und gar gegen eigenes Gutdünken – aber eben dennoch.

Wie gelangt diese komplett unspektakuläre Regierung zu ihren Ratschlüssen? Das ist kein Geheimnis. Durch Beraten und Bereden und Bedenken – bis sich ein Konsens abzeichnet, den man bisweilen besser nicht in Beschluss-Worte fasst, so filigran ist er gewoben.

Jedes Wort mehr wäre ein Wort zu viel.

Und das klappt? Es klappt fürwahr, seit Jahrzehnten, in der buntesten Zusammensetzung, die lediglich Auftrumpfer nicht erträgt, wie vor einigen Jahren eine historisch äusserst seltene Wegwahl demonstrierte.

Der Bundesrat mag den Eindruck einer blassen Regierung erwecken, doch blass sind die sieben keineswegs: von Willi Ritschard über Hans Hürlimann und Kurt Furgler und Adolf Ogi bis zu Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter und Guy Parmelin – wer in dieser Reihe nicht genannt ist, fehlt ungerechterweise. Aus Platzgründen.

Der Bundesrat regiert. Das Siebnergremium personifiziert die Schweiz. Auch nur einen einzigen mehr würde die Zauberformel nicht ertragen – die Formel des Vertrauens.

In Zeiten digitaler Deals ist das Schweizer Direktorium ein Unikum: die kluge Kopie des Direktoriums der Französischen Revolution – konfliktfeindlich, konsensfreundlich.

Und langweilig.

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